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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 20.1885

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Heft 25
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https://doi.org/10.11588/diglit.61341#0564
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Der Chevalier de Jener.
Kriminal-Novelle
von
Johannes Emmer.
(ovetsclzung.) (Nachdruck verboten.)
ch komme Wohl zu spät," begann van Son
zu dem Vater Klotildens, „der Chevalier — "
„Wie!" entgegnete der alte Baron, „Sie
wußten, was den Chevalier zu mir führte —"
„Es braucht nicht viel Scharfsinn, um
das zu errathen," unterbrach ihn van Son.
„Und Sie kommen in derselben Absicht," fuhr der
Baron fort, „das hätte ich bei Gott nie, niemals ge-
dacht! Vorhin glaubte ich, der Chevalier
wolle sich einen schlechten Scherz machen,
was soll ich gar von Ihnen denken!"
„Ich meine, es sei doch nichts Außer-
ordentliches dabei, wenn ich — und zudem
— da bereits gestern — unsere Herzen —
die Zusage der gnädigen Baronesse - "
Van Son war vollständig verwirrt
geworden, denn der Freiherr sah ihn mit
einem strengen, mißbilligenden Blick an,
den er sich nicht zu deuten vermochte.
„Zusage? Meine Tochter hat Ihnen eine
Zusage gegeben? Wann zum Kukuk haben
Sie denn mit Anna darüber gesprochen?"
„Mit Baronesse Klotilde," berichtigte
der Lieutenant; „nach dem Diner im Parke."
DerLreiherr schlug sich mit der flachen
Hand vor die Stirne. „Daß ich doch —
warum sagten Sie nicht gleich, um wen
cs sich handle!"
Der Lieutenant sah ihn verblüfft an.
„Es konnte doch kein Zufall sein —"
„Ja, ja," unterbrach ihn der Baron.
„Unter anderen Umständen freilich nicht.
Der Chevalier hat mich ganz und gar in
Verwirrung gebracht. Er hat nämlich
soeben um Anna's Hand angehalten."
Ein Stein von Centnerschwere fiel nun
dem Lieutenant vom Herzen, und nun ver-
mochte er auch allmählig seine Fassung
wiederzugewinuen, nur wenigstens nach-
träglich noch die feierliche Form zu wahren,
mit der man solche Dinge zur Sprache
bringt.
„Herzlich gerne nehme ich Sie als
Sohn an," erwiederte der Freiherr, nach-
dem van Son seine Ansprache beendet hatte.
„Wenn Klotilde Ihnen gut ist, meiner
Zustimmung können Sie gewiß sein. Ich
gebe sie jedenfalls beruhigter, als in dem
anderen Falle vorhin. Nun sei es denn;
vielleicht schlägt es auch für Anna zum
Glück aus, ans das ich freilich niemals
gehofft hatte."

sohn willkommen zu heißen wäre. Der Freiherr hatte
in der That es fast als einen beleidigenden Scherz aus-
genommen, als der Chevalier ihm seine Absicht erklärte.
Es war doch etwas schwer begreiflich, daß ein Mann,
wie der Chevalier, eine Dame zur Frau wähle, die
weder durch Schönheit noch durch Geist, noch auch
durch Reichthum glänzte. Dieser erklärte jedoch, daß er
weder eine reiche, noch eine schöne Frau suche, sondern
eine fanftmüthige, tüchtige Hausfrau. Er sei endlich
des ewigen Herumwanderns müde und wünsche ruhige
und bequeme Häuslichkeit zu genießen. Er habe Ba-
ronesse Anna beobachtet, und namentlich ihr Verhalten
beim Spiele habe ihm gezeigt, daß sie jenes Tempera-
ment und jenen Charakter besitze, den er wünsche.
Das klang Alles so plausibel und ganz und gar
nicht unwahrscheinlich; überdies konnte man ja dem
Chevalier auch Eigenheiten und Marotten zutrauen, da
ihm ohnehin etwas Räthselhaftes an-
haftete. Der Freiherr gab trotz alledem
nur bedingt seine Zustimmung; erstens
sollte überhaupt Baronesse Anna ent-
scheiden — denn der Chevalier hatte noch
nicht mit ihr gesprochen, da er vorerst
die väterliche Zusage haben wollte —
zweitens wünschte der Freiherr noch ge-
nauere Erkundigungen über den Eidam
cinzuziehen. Eine bestimmte bindende Ant-
wort sollte der Chevalier daher erst später
erhalten.
Dieser Umstand brachte es auch mit
sich, daß die förmliche Verlobung Klo-
tildens mit van Son ebenfalls erst später
gefeiert werden sollte, da der Freiherr doch
vermeiden wollte, daß der Chevalier sich
etwa verletzt fühle, wenn der Bewerber
um die zweite Tochter sofort angenommen,
ihm dagegen gewissermaßen eine Probezeit
auferlegt worden wäre. Eventuell sollte
cs natürlich ein Doppelfest werden, die
Verlobung beider Schwestern gleichzeitig
gefeiert werden.
Für die Zukunft entwarf man nun
Pläne; van Son erklärte, seine Entlassung
ans der Armee nehmen zu wollen, da er
des Dienstes ohnehin schon müde sei. Van
Son war der jüngste Sprosse eines ziem-
lich reichen und angesehenen Hauses, das
in der Handelswclt eine bedeutende Stelle
cinnahm. Der bereits verstorbene Vater
hatte jedoch, um den Bestand der Firma
zu sichern, die Bestimmung getroffen, daß
die zwei jüngsten Söhne nur eine Art
Apanage, ein Jahrgeld erhalten sollten,
das nicht einmal sehr hoch bemessen war.
Als alleinstehender Mann hatte van Son
freilich sehr bequem leben können; das
Jahrgeld reichte jedoch nicht hin, um eine
Familie, die an die Gesellschaft Ansprüche
stellen wollte, zu erhalten. Indessen
war ihm von seinen Brüdern die Stelle
eines Direktors einer neuen Bahnlinie

Man konnte es dem Freiherrn nicht verdenken, daß
er noch im Banne der Ueberraschung stand, welche ihm
die Werbung des Chevaliers bereitet hatte. De Ferrer
war vor etwa zwei Monaten mit Oberst Seebach in
die Gegend gekommen. Noch in Nizza hatte der Cheva-
lier geäußert, es würde ihn interessiren, die Heimath
des „Freundes" kennen zu lernen, und der Oberst hatte
daraufhin sofort ihn eingeladen, sein Gast zu sein. Sie
waren von Nizza geradewegs heimgefahren, und See-
bach hatte sich beeilt, den Freund in die Gesellschaft
des Kreises einzuführen. Die Beiden schienen über-
haupt unzertrennlich geworden zu sein, der Oberst war
nur in Begleitung des Chevaliers zu sehen. Letzterer
hatte so ziemlich überall gute Aufnahme gefunden, da
er es namentlich verstand, sich die Sympathien der
älteren Damen zu erwerben.
Ein Anderes freilich war es, ob er als Schwieger-

Franz v. Schöntha».
Nach einer Photographie gezeichnet von C. Kolb. (S. 583)
 
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