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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 20.1885

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Heft 10
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https://doi.org/10.11588/diglit.61341#0217
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(Nachdruck verboten.)

Ans höheren Regionen.
. Roman
von
Adolph Streckfuß.
AI ME (Fortsclznng.)
"^^W/'^ aronin v. Merzbach schien gar nicht über-
rascht, als sie auf dem Papier die Hand-
schrift ihres verstorbenen Gatten gewahrte;
eD-> sw nahm das Blatt und küßte es. „Sein
Namenszug! Du selbst hast ihn ge-
schrieben, Geliebter! So kann ihn Nie-
mand schreiben, als Du allein."
„Wollen Sie selbst den Geist fragen,
gnädige Frau?" sagte der Professor,
„Sie bedürfen schwerlich einer Ver-
mittelung. Er wird Ihnen gewiß ant-
worten."
„Sage mir, Geliebter, träumte ich
oder wachte ich," flüsterte die Baronin,
„Du weißt, was ich meine, gib mir
Gewißheit."
Wieder huschte der Bleistift über das
Papier, nur die Hand des Barons be-
wegte sich, sein ganzer Körper blieb
regungslos, seine Augen blickten starr,
wie vorher.
„Weshalb zweifelst Du noch, hast
Du doch heute schon die Gewißheit er-
halten!" so lauteten die mit fester, siche-
rer Hand geschriebenen Worte.
„Verzeihe mir meinen Kleinmuth.
Wie oft habe ich in diesen letzten acht
Tagen Dich angefleht, mir noch einmal
zu erscheinen, die Worte zu bestätigen,
die Du damals zu mir gesprochen. Es
war vergeblich. Du hörtest mein Flehen
nicht. Da schlich der Zweifel mir in's
Herz, da glaubte ich, ich hätte nur
geträumt oder Du habest mich ver-
lassen."
Die ruhende Hand erhob sich wieder,
sie schrieb: „Ich bin immer und überall
hei Dir, aber nicht immer ist mir ge-
stattet, Dir sichtbar zu nahen, denn
nicht immer ist Deine Seele so losgelöst
vom Irdischen, daß sie das Ueberirdische
zu erkennen vermag. Des höchsten Glückes
wird der Mensch nur in seltenen Augen-
blicken theilhaftig. Freue Dich, daß
Dir dies einmal vergönnt war." .
„Ich danke mit demüthigem Herzen
für diese Gnade!"
„Willst Du nicht unseren theuren
Karl fragen, wer in Deinem Hause Dich
verrathen hat, wer betheiligt ist an dem
ruchlosen Einbruch?" flüsterte die Gene-
ralin ihrer Schwägerin zu.

Die Generalin schaute bei diesen Worten vielleicht
unwillkürlich Helene an, die Baronin bemerkte es.
„Jetzt verstehe ich Dich," sagte sie, ihre Schwägerin
finster .anblickend. „Ich glaubte, Du habest Deine
thörichte Abneigung überwunden; aber ich überzeuge
mich, daß Du sie noch immer im Herzen hast. Wohl,
ich Will Deinen Wunsch erfüllen, Du sollst Dich über-
zeugen, wie thöricht Dein Argwohn und Deine Abneigung
sind!"
Die Hände faltend und den Blick zu Boden sen-
kend fuhr sie mit leiser Stimme fort. „Du vermagst
in meiner Seele zu lesen, Geliebter. Es ist nicht
nöthig, daß ich meine Frage, meine Bitte in Worten
aussprcche."
Auf's Neue bewegte sich die Hand des Barons,
nachdem kaum das letzte Wort gesprochen worden war,
schrieb sie: „Dein Vertrauen wird be-
trogen, aber nicht von Derjenigen, auf
welche tückische List einen falschen Ver-
dacht leiten möchte; sie ist würdig der
Liebe, die Du ihr erweisest. Du weißt
es, wie innig sie mit Dir verbunden ist,
die Gnade des Himmels hat sie zu Dir
geführt, um Dir die letzten Lebenstage
zu erheitern, um Dir ein spätes Glück
zu gewähren. Genieße Dein Glück in
Dankbarkeit und Vertrauen. Mehr zu
wissen verlange nicht! Leb'wohl! Heute
ist es mir nicht vergönnt, Dir mehr zu
sagen. Leb' Wohl!"
Der Bleistift entfiel der Hand des
Barons, nachdem sie das letzte Wort
geschrieben hatte, der gehobene Arm sank
schlaff herunter, die weitgeöffneten Augen
schlossen sich.
Der Professor, welcher mit dem Blick
die entstehenden Schriftzüge verfolgt hatte,
vermochte kaum die Ueberraschung zu
verbergen, Welche ihm der Inhalt des-
geschriebenen Satzes erregte; er ergriff
das Papier. „Die Kraft des Mediums
scheint nachzulasfen," sagte er, die Hand
auf des Barons Stirne legend, „der
geistmagnetische Strom ist unterbrochen.
In solchen Zuständen entstehen leider
oft Erzeugnisse einer irregeleiteten Phan-
tasie, die wir nicht als Geisteroffen-
barungen betrachten dürfen, da sie nicht
von dem Geiste, sondern von der Phan-
tasie des Mediums ausgehen. Der Baron
ist erschöpft, Wir müssen eine bessere Zeit
äbwarten, bis er wieder im Vollbesitz
seiner geistigen Kraft ist, dann, gnädige
Frau, wollen-Sie Ihre Frage wieder-
holen. Ich möchte Sie nicht irre-
leiten. Ich weiß zwar nicht, welchen
Inhalt die Schrift hat, welche soeben
entstanden ist, aber da ich gesehen,
daß, während sie entstand, die Kraft
des Mediums verschwand, ist sie keine
Geisteroffenbarnng und deshalb nicht

„Ich wünsche es nicht zu wissen," antwortete die
Baronin. „Ich glaube nicht daran, daß ein Ner-
rath stattgefunden hat, es erscheint mir ein Frevel
gegen die treuen Menschen, die mir dienen, wenn
ich auch nur den Schatten eines Mißtrauens gegen
sie hegte."
„Und doch wird sich dieses Mißtrauen unwillkür-
lich in Deine Seele schleichen und dann vielleicht einen
Unschuldigen treffen. Du bist es nicht nur Dir selbst,
Du bist es denen, die wirklich Dein Vertrauen ver-
dienen, schuldig, sie Von einem möglichen ungerechten
Verdacht zu reinigen. Ich bitte Dich, thue es mir zu
Liebe, um mir eine schwere Sorge vom Herzen zu
nehmen. Frage wenigstens, ob Alle, die jetzt in Dei-
nem Hause leben, das Vertrauen und die Liebe, die
Du ihnen widmest, verdienen."

Mazda Jrschick «Baronin Perfall).
Nach einer Photographie gezeichnet von C. Kolb (S. 223)
 
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