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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 20.1885

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Heft 17
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https://doi.org/10.11588/diglit.61341#0380
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Ms höhere» Regionen.
R o in a n
von
Adolph Strerkfnst.
(Fortsetzung.)
(Nachdruck verboten.)
rill in Arm schritt«! die beiden Vettern
v. Welser nach ihrem Besuche bei der
Baronin dem Potsdamer Thore zu.
„Weißt Du, Moritz," sagte Benno
v. Welser, „mir ist es, als sei eine Eent-
nerlast von mir abgewälzt, eine Last, die
mich schier erdrücken wollte, so lange ich
dort oben der alten würdigen Dame gegenübersaß und
fühlte, daß ihr klares Auge nach dem" meinen suchte,
während ich scheu und beschämt ihrem Blicke auswich."
„Du bist zu sensitiv, Benno."
„Ich versichere Dir, in meinem ganzen
Leben bin ich mir noch niemals so falsch
nnd so nichtswürdig vorgekommen, wie
soeben dort oben, als ich die vortreffliche,
nichts ahnende Frau belügen mußte."
„Du hast nicht gelogen!"
„Doch! Man kann auch lügen, wenn
man die Wahrheit spricht. Habe ich etwa
den Schuft, den Mondberger, in Amerika
nicht gekannt? Seinen Namen habe ich
dort nicht gehört, das ist wahr; aber
als Doktor Johnson habe ich ihn gekannt.
Ich habe die alte Dame belogen, so gut
wie Du es gethan hast, obgleich Du keine
direkte Unwahrheit ausgesprochen hast. Und
gestehe es nur, auch Du warst nicht der-
selbe, wie sonst, dort oben, auch Du
fühltest Dich gedrückt und verlegen unter
dein Bewußtsein, daß Du ein Spiel mit
der vertrauenden alten Dame triebst."
„Nun ja, ich kann es nicht leugnen.
Es wandelte mich auch mitunter eine solche
Schwäche an, die ein Kriminalkommissar
längst überwunden haben sollte!"
„Ein trauriges Amt!"
„Nein, Benno, ein verantwortungs-
volles, ein großes Amt! Dereinst hat mich
die Noth gezwungen, in den Dienst der
Kriminalpolizei zu treten, heute würde ich
mein Amt nicht niederlegen, auch wenn ich
die Mittel hätte, als Privatmann zu leben.
Es ist ein großer, nützlicher Beruf, der
Wächter des Gesetzes zu sein, zum Schutze
der durch die Verbrecher gefährdeten Ge-
sellschaft den Verächtern des Gesetzes zu
folgen auf ihren dunklen Wegen, alle Kräfte
des grübelnden Verstandes aufzubieten, um
die Listigen zu überlisten, alle die Winkel-
züge zu erforschen, mit welchen sie schlau
ihre Spuren zu verdecken trachten, sie end-
lich zu entdecken, zur Strafe zu ziehen und

unschädlich zu machen für die Menschheit! Ich bin
stolz auf meinen Beruf, wenn er auch, wie jeder andere,
seine Schattenseiten hat. Es war mir heute nicht leicht,
die alte Frau zu täuschen, aber das Bewußtsein tröstet
mich, daß es zu ihrem eigenen Besten geschah."
27.
Es war ein bewegter Tag für die Baronin; sie
hatte so viel zu denken und zu überlegen, aber sie
konnte zu keinem ruhigen Alleinsein kommen. Kaum
hatten die beiden Herren v. Welser sie seit einer Viertel-
stunde verlassen, da erschien schon ein neuer Besuch,
der Major Ferdinand v. Ohlcu.
Im tadellosen schwarzen Leibrock, im eleganten
Visitenkostüm, mit weißer Halsbinde und den Cylinder-
hut in der Hand, erschien der Major, nachdem er sich
durch Walter hatte anmelden lassen, obgleich ihm die
Tante ebenso wie ihrem zweiten Neffen Ewald die Er-
laubniß ertheilt hatte, unangemeldet zu ihr zn kommen.

Welchen Zweck Ferdinand's feierlicher Besuch hatte,
darüber konnte die Baronin nicht zweifelhaft sein, sie
erinnerte sich des Gespräches, welches sie vor kaum
einer Stunde mit dem Professor gehabt hatte. Daß
sie so schnell gemahnt werden solle, die ihr auferlegte
Pflicht zn erfüllen, hatte sie doch nicht gedacht, nnd
es berührte sie Peinlich, daß der Major offenbar auf
eine Verabredung mit dem Professor schon jetzt kam.
So eilig war doch seine Werbung nicht, er hätte Wohl
warten können, bis sie ruhig und reiflich nachzudenken
vermocht hatte. Diese Eile war unzart nnd erschien
fast als Zudringlichkeit. Und wie alt und häßlich sah
er aus! Konnte Wohl Helene, das frische wunder-
schöne Mädchen, glücklich werden an der Seite eines
Gatten, der um mehr als zwanzig Jahre älter War,
der so gar nichts äußerlich Bestechendes hatte und
dessen Charakter doch keineswegs eine Garantie dafür
bot, daß er geeignet sei für ein die Frau beglückendes
häusliches Leben?
Solche Gedanken waren nicht geeignet,
dein Major einen freundlichen Empfang
bei der Tante zu bewirken; sie blickte
ihn, als er im Lehnstuhl am Sopha bei
ihr Platz nahm, so kalt und forschend an,
und ihr kurzer Gruß klang so kühl und
zurückweisend, daß die unbehagliche Stim-
mung, in welcher sich der arme Major
befand, sich noch vergrößerte.
Hätte er ein gutes Gewissen gehabt,
dann würde er leichter den unbequemen,
auf ihm lastenden Druck überwunden ha-
ben, leider aber fühlte er nur zu tief,
daß er als Marionette des Professors und
seiner Mutter handle; dies Bewußtsein
vermehrte seine Unsicherheit und Verlegen-
heit. Er wußte durchaus nicht, wie er
auf eine zarte und passende Weise der
Tante seine Werbung um die Hand der
schönen Helene vortragen solle. Um nur
Zeit zu gewinnen erkundigte er sich über-
mäßig eingehend nach dem Befinden der
Tante, sprach die Hoffnung aus, das
schöne Sommerwetter werde wohlthätig
auf die angegriffenen Nerven wirken, und
an diese scharfsinnigen Bemerkungen knüpfte
er andere über die Wetteraussichten in der
nächsten Zeit. Er sprach, nur um zu
sprechen und während des Schwatzens einen
Gedanken zu finden, der cs ihm möglich
machte, das Gespräch aus den eigentlichen
Zweck seines heutigen Besuches zu leiten.
Die Baronin half ihm endlich aus der
Noth; des langweiligen Geschwätzes müde,
sagte sie in nicht eben freundlichem Tone:
„Du hast mir nun genug von den Wetter-
aussichten erzählt, die ich eben so falsch,
wie Du sie prophezeit, täglich in der
Zeitung lesen kann. Ich glaube nicht,
daß Du Dich in volle Gala geworfen hast,
um mir diese interessanten Mittheilungen
zu machen. Komme endlich auf den eigent-

Wilhelm v. Wedell-Piesdorf, Präsident des deutschen Reichstages.
Nach einer Photographie gezeichnet von C. Kolb. lS. 3911
 
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