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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 20.1885

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Heft 15
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338

Herzen, ans ihrer Begeisterung für das Wunder der Ver-
bindung mit dem Geisterreich, und die mangelnde Kennt-
nis; hotte sie bald nach, denn die Baronin borgte ihr gern
die besten spiritistischen Werke. Zum Dank dafür konnte
die Generalin auch den glühendsten Wunsch ihrer
Schwägerin erfüllen, sie führte ihr den Professor Mond-
berger zu, den herrlichen, mit wunderbarer mcdiumisti-
scher Kraft begabten Mann, der lediglich getrieben von
reiner Begeisterung, ohne irgend dabei einen weltlichen
Vortheil zu suchen, als Apostel des Spiritismus von
New-Port nach Berlin gezogen war, und der sich
freudig bereit erklärte, den Verkehr der Baronin mit
der Geisterwelt zu vermitteln.
Ein neues Leben begann jetzt für die Baronin. Der
Professor besuchteste oft; mit überzeugender Klarheit legte
er die spiritistischen Lehren feines eigenen Systems
dar. Er war ein Jünger der Kardec'schen Re'incar-
nationstheorie, aber er hatte die uralte Lehre von der
Scelcnwanderung zu einem eigenen System ausgebildet
und sich dadurch, wie er selbst sagte, die Feindschaft
vieler amerikanischer Spiritisten zugezogen, die ihn für
einen Abtrünnigen hielten, weit er unbarmherzig den
Schwindel verfolgt hatte, mit welchem verworfene Sub-
jekte die heilige Lehre zu ihrem persönlichen Vortheil
auszubenten suchten.
Mit Entzücken lauschte die Baronin den beredten
Worten des Professors. Es war für sie ein beseligen-
der Gedanke, daß die himmlische Gnade der Menschen-
seele gestatten könne, nach dem Tode wieder geboren
zu werden zu einem neuen irdischen Leben. Selbst auf
Erden konnten dann Diejenigen, welche das Unglück
hatten, ihre Lieben um viele, viele Jahre zu über-
leben, dieselben noch einmal treffen, noch einmal mit
ihnen in eine innige irdische Verbindung treten. Viel-
leicht wandelte schon Helene in anderer Gestalt auf
Erden? Sie verdiente doch vor Allen nach ihrem
kurzen, traurigen irdischen Dasein ein zweites, länge-
res, glücklicheres Leben!
Der Professor wurde mit jedem Tage der Baronin
lieber, sie war eine überzeugte Anhängerin seiner Leh-
ren, und sie verehrte den Lehrer, der edelherzig seine
ganze Zeit, seine ganze reiche Thätigkeit dem Wohl
der Menschheit widmete. Der Professor wurde der
Vermittler der Wohlthaten, welche die Baronin den
Armen zukommen ließ. Wie oft war früher ihr Ver-
trauen betrogen worden, wie oft hatte sie an Unwür-
dige bedeutende Summen verschwendet, um einer Noth
abzuhelfen, die sich dann später als schmachvolles Ver-
schulden entschleierte. Jetzt fand sie in dem Professor
eine treue Stütze, er suchte die Armen in ihrer Ver-
borgenheit auf, und sein höchstes Glück war es, wenn
er mit eigenen Opfern die Noth der Unglücklichen lin-
dern konnte, aber er war auch freudig bereit, für die
Baronin der Vermittler ihrer Wohlthütigkeit zu sein.
Und noch mehr that der herrliche Mann! Er er-
füllte den höchsten Wunsch, den die Baronin hegte;
sie hatte ihm diesen Wunsch oft ausgesprochen, aber
immer hatte er gezögert „Ja" zu sagen. Die Ver-
bindung mit der Geisterwelt sei nicht gefahrlos, die
Baronin sei körperlich zu angegriffen, um die Auf-
regung zu ertragen, welche aus der Theilnahme an spiri-
tistischen Experimenten ersprieße; so hatte er sich entschul-
digt, und erst nach Monaten hatte er sich bereit finden
lassen, eine auserlesene kleine Gesellschaft in das Haus
der Baronin zu dem ersten spiritistischen Cirkel zu
laden.
Schon dieser erste spiritistische Cirkel, bei welchem
die schöne Elise als Medium mitwirken mußte, er-
füllte die süßeste Hoffnung der gläubigen Frau Es
wurde ihr vergönnt, mit dein Geiste ihres geliebten
Gatten in Verbindung zu treten, er beantwortete ihre
Fragen, er versicherte ihr, daß er ihr auch im anderen
Leben mit unerschütterlicher Liebe treu sei, daß er sie
stets umschwebe und daß er glücklich sei in ihrer treuen
Liebe. Und sie konnte nicht zweifeln, daß es der Geist
des Geliebten sei, der ihr durch die Hand des Mediums
solche Antworten gab, sprach er doch oft durch Andeu-
tungen von Lebensverhältnissen, in welche kein Frem-
der einen Einblick haben konnte, über welche sie selbst
mit dem Professor niemals gesprochen hatte.
Die spiritistischen Cirkel im Speisesaale wiederholten
sich ost, und immer erschien bereitwillig der Geist des
Themen, fast an jedem Abend sprach er der Gattin Trost
zu, bezeugte er ihr, wie glücklich er sich fühle, daß sie jetzt
in inniger, freundschaftlicher Verbindung mit der theuren
Schwester lebe, alle ihre Fragen beantwortete er, manche
allerdings nur mit räthselhaften, kaum verständlichen
Andeutungen, andere klar und deutlich, nur auf die
von ihr, allerdings nur in Andeutungen ausgesprochene
Frage, ob er im Tode versöhnt sei mit Helene, gab er
niemals eine verständliche Antwort, und gerade diese
Frage hätte die Baronin am liebsten beantwortet ge-
sehen.
Auch ein anderer Wunsch blieb ihr versagt. Sie
hätte so gern auch mit dem Geiste, ihrer verstorbenen
Tochter gesprochen, aber dieser Geist ließ sich nicht er-
bitten, der Professor versnchte es ost, ihn zu rufen,
aber er antwortete ans keine Frage. Weshalb? Der

Das Buch für Alle.

Professor wußte cs nicht — in die Tiefen der Geheim-
nisse des Geisterreiches zu dringen sei dem sterblichen
Menschen nicht gestattet, so erklärte er. Die Baronin
wagte es endlich, den Geist ihres Gatten zu fragen,
weshalb Helenens Geist ihr niemals antworte, da er-
hielt sie denn einen überraschenden Aufschluß. „Der
Geist, den des Herrn Wille wieder an eine körperliche
Hülle gebunden, schwebt nicht mehr frei im Weltall;
er kann sich nur mit dem neuen Tode wieder losreißen
von dem Körper, der ihn umfangen hält. Nur der
körperfreie Geist kann Dir antworten."
Helene war dem Leben wiedergegeben! Jetzt wußte
es die Baronin, und nun keimte in ihrem Herzen die
Hoffnung auf, das geliebte Kind noch in diesem irdi-
schen Leben wiederzusehen. Obgleich Jahre dahin-
schwanden, ohne daß die süße Hoffnung sich erfüllte,
blieb diese doch lebendig in ihr, bis endlich wirklich
die Stunde ihrer Erfüllung schlug!
Es war ein Blitzstrahl der Erkenntniß, der plötz-
lich durch die dunkle Nacht zuckte, als sie in der jungen
Gesellschafterin, welche sie engagiren wollte, die ver-
storbene Tochter mit untrüglicher Gewißheit wieder zu
erkennen glaubte. Wie schwer war es ihr damals ge-
worden, sich zu beherrschen, den Jubelrnf zu unter-
drücken, der ihr auf den Lippen schwebte! Ihr heißes
Gebet war erhört, eine wunderbare Fügung führte die
Tochter in das Haus der Mutter zurück, diese Tochter, die
nicht ahnte, daß dereinst ihre Seele in einem anderen
Körper gewohnt hatte, der keine Erinnerung an ihr
früheres Leben zurückgeblieben war, und die deshalb
auch die Mutter nicht zu erkennen vermochte.
Wohl stieg schon im ersten Moment, fast unmittel-
bar nach denc Erkennen, ein banger Zweifel in der
Glücklichen auf. Täuschte sie sich auch nicht? War
diese wunderbare Aehnlichkeit nicht ein Spiel des Zu-
falls? Ein Zufall? Nein, es gibt keinen Zufall!
Nicht eine Aehnlichkeit hatte diese Helene mit der ver-
storbenen Helene, sie war cs selbst. Dasselbe sonnige
Lächeln, welches die Mutter so oft erfreut hatte, ver-
schönte ihre reizenden Züge, und Wenn sie die Augen
aufschlug, diese wunderbar schönen, reinen Augen, dann
sprach aus ihnen derselbe Ausdruck!
Sie war wieder vereint mit ihrer Tochter. Jeder
Zweifel war ihr gelöst, selbst der, ob sie nach dem
Eide, Helenen nie im Leben zu verzeihen, die Wieder-
erstandene mit voller Mutterliebe in ihr Haus auf-
nehmen dürfe. Er selbst, der Theure, hatte es ihr ge-
stattet, als in heiliger Stunde auf ihr heißes Gebet
sein Geist zu ihr ohne die Vermittlung eines irdi-
schen Mediums gesprochen hatte. Mit mildcn Worten
hatte er ihr gesagt, daß die Liebe ewig sei, der Haß
aber mit dem Tode erlösche. Was Helene gegen ihn
gesündigt, das habe sie gesühnt durch ihren Tod. Er
hatte den auf seinem Sterbebette ausgestoßenen Fluch
zurückgenommen, die zu neuem Leben Erstandene hatte er
der Liebe der Mutter empfohlen. So hatte er be-
stätigt, was sie geahnt und gehofft hatte, und was er
mit eigenem Munde ihr in jener Stunde gesagt hatte,
das war von ihm in nur ihr allein verständlicher
Andeutung wiederholt worden in seinem Briefe am
gestrigen Abend.
Aber war dieser Brief auch echt? War er nicht
doch vielleicht ein betrügerisches Kunststück des Herrn
Professor Mondberger? „Mondberger L Compagnie",
das verächtliche Wort des Geheimraths tönte der Ba-
ronin wieder in's Ohr, und alle die bösen Zweifel, die
sie kaum überwunden hatte, erwachten anf's Neue.
Das Herz der Baronin zog sich krampfhaft zusam-
men, mit zitternder Hand blätterte sie in den Schrift-
stücken der auf ihrem Schoß liegenden Mappe. Sprach
nicht ihres Gatten letzter Brief, den sie eben in der
Hand hielt, klar und unwiderleglich für den tiefen Haß,
den der Verstorbene gegen die entartete Tochter ge-
fühlt hatte, und dieser Haß sollte plötzlich aus seiner
Seele gewichen sein? Widersprachen nicht die Worte
des Geistes denen des Lebenden? Wie oft hatte der
Professor nicht gelehrt: „Der Tod bildet keinen Ab-
schluß im Seelenleben; wenn die Seele sich vom Körper
scheidet, geht sie nicht Plötzlich in einen Zustand flecken-
loser Reinheit und Vollkommenheit über, nur nach
und nach vermag sie sich zu reinigen von den Schlacken
böser Charaktereigenschaften, die dem Lebenden eigen
waren. Zur Vollkommenheit freilich gelangt sie nie-
mals, denn vollkommen ist nur Gott, aber zur Gott-
ähnlichkeit sich zu entwickeln ist ihr Ziel, zu dessen Er-
reichung sie fast der Ewigkeit bedarf." War diese
Lehre richtig, dann konnte der Geist des Verstorbenen
nicht so milde und liebevoll sprechen, wie er gesprochen
hatte — war sie falsch, dann war auch die Seelen-
wanderung ein Traum, dann brach morsch auch der
Glaube an eine seelische Verbindung mit den Geistern
der Verstorbenen zusammen.
O, diese bösen, unseligen Zweifel, die der grübelnde
Verstand immer aufls Neue heraufbeschwor!
Wenn sie damals nicht geträumt hatte, wenn ihr
wirklich auf ihr heißes Gebet die Gnade geworden
war, den Geist des Verstorbenen zu sich rufen zu
können, dann gelang es ihrer Bitte vielleicht noch ein-

iskft Ifi.
mal, ihn zu rufen in diesen: Augenblick, in welchem
sic des Rathes und Trostes bedürftiger war als jemals.
Sie betete mit heißer Inbrunst, sie hob verzweif-
lungsvoll die zitternd gefalteten Hände empor und
flehte um Erleuchtung, sie betete, bis sie tief erschöpft
in den Lehnsessel zurücksank. —
Der hohen geistigen Erregung folgte eine tiefe Ab-
spannung, das müde Haupt senkte sich auf die Brust, die
zitternde Hand auf die im Schoße liegende geöffnete Brief-
mappe, die Augen schlossen sich und chaotisch wogten die
wirren Gedanken durcheinander, sie vermochte keinen ein-
zelnen Gedanken mehr zu verfolgen. Sie wollte die Augen
öffnen, um sich diesen: unbehaglichen Zustand zu ent-
ziehen, aber sie vermochte es nicht, die Augenlider
hingen mit bleierner Schwere herab. Sie hörte ein stür-
misches Brausen, einen dumpfen und doch lauten selt-
samen Ton, wie sic ihn nie gehört hatte, und trotz der
geschlossenen Augen sah sie, wie rings um sie dichte
Nebelmassen sich zusammenzogen, sich ballten, wieder
auflösten und in: rastlosen Wirbel sie umflutheten.
Da beruhigten sich nach und nach die wirbelnd
durcheinander schießenden Nebelwolken, ein schimmern-
der Schein floß von ihnen aus, die Baronin fühlte,
wie er sie selbst durchdrang, wie ihr verworrenes
Denken sich klärte, sich wieder zu dem einen brennen-
den Wunsch, der ihre Seele erfüllte, emporschwang.
Aus dem Nebel entwickelte sich, wie damals, die
Gestalt des geliebten Mannes, in voller Mannesfchöne
stand er vor ihr und blickte sie traurig liebevoll an.
Sie wollte die Augen öffnen, aber sie vermochte es
nicht, und doch sah sie ihn so deutlich, so klar, nicht
eine Bewegung seiner schönen Züge ging ihr verloren.
Durch das stürmische Brausen, welches noch immer ihr
Ohr erfüllte, tönten seine leisen Worte: „Glaube und
liebe! Banne die tückischen Zweifel!"
Er hatte die Hand nach ihr ausgestreckt, sie richtete
sich auf, um sie zu ergreifen, da hörte sie plötzlich ein
Krachen und Knattern, die geliebte Gestalt verschwand,
mit starren, weitgeöfsneten Augen schaute die Baronin
in das von lichten: Sonnenschein hell erleuchtete Zim-
mer. Zu ihren Füßen lag die Briefmaple, die Papiere
lagen auf dem Boden umher verstreut.
Hatte sie geträumt? Nein, sie hatte gar nicht ge-
schlafen! Ihr Gebet war doch endlich erhört worden.
„Glaube und liebe! Banne die tückischen Zweifel!"
So wenige Worte und doch enthielten sie Alles!
Solche Trostesworte vermag ein menschlicher Mund
nicht zu sprechen. „Glaube und liebe! — Ja,
Du Theurer, ich glaube und liebe!" flüsterte die Ba-
ronin, die gefalteten Hände erhebend. „Ich glaube an
die Wunder, die ich zu schauen gewürdigt worden bin,
ich glaube an die Gnade, die mir mein theures Kind
wieder gegeben hat, und ich liebe es mit ganzem, vollen:
Herzen, Dein und mein Kind! — Banne die tücki-
schen Zweifel! — Sie sind verbannt! Mag auch
der Prophet ein irrender, sündiger Mensch sein, seine
Lehre ist doch reine Wahrheit. Ich zweifle nicht mehr,
ich glaube und liebe!"
24.
Ewald v. Ogorin hatte schwere Tage verlebt. Er
war aus seinen:, strenger Pflichterfüllung und ernster,
wissenschaftlicher Arbeit gewidmeten Leben unsanft
herausgcrissen worden, die Ruhe des Gemüthes, welche
ihn: die redliche, angestrengte Berufsarbeit gewährt hatte,
war zerstört, er befand sich in einer fast fieberhaften Aufre-
gung, die es ihm unmöglich machte, mit der ruhigen Klar-
heit des Denkens, deren er zur Vollendung seines kriegs-
wissenschaftlichen Werkes bedurfte, die letzte bessernde
Hand an sein Manuscript zu legen. Wenn er nach
dein eine geistige Anstrengung nicht verursachenden Prak-
tischen Dienst sich an den Schreibtisch setzte, uni in
ernste Geistesarbeit sich zu vertiefen, dann vermochte
er die Gedanken nicht zu fesseln, sie sprengten die
Bande seines Willens und flogen hin zu ihr, deren
liebliches Bild seine Seele erfüllte; dann mußte er
sinnen und grübeln über das Räthsel, welches sie umhüllte,
dessen Lösung er trotz alles Grübelns nicht zu finden
vermochte. Eine Peinigende Unruhe ergriff ihn dann,
er mußte die Feder fortwerfen. Es litt ihn nicht im
Zimmer, er mußte hinaus in's Freie, um bei einem
einsamen Spaziergange die aufgeregten Nerven zu be-
ruhigen. Und auch dies gelang ihm nicht, denn überall,
wo er sich auch befinden mochte, verfolgte ihn der
Peinliche, immer wieder in ihm erwachende Zweifel,
der einen dunklen Flecken warf auf das liebreizende Bild,
welches ihn umschwebte.
Er war nach seinem Besuch beim Geheimrath Ritter
sogleich nach dem Polizeipräsidium zum Kriminal-
kommissär v. Welser geeilt, um diesem Mittheilung zu
machen von seinen letzten Erlebnissen und von den
Aufklärungen, die er durch den Geheimrath erhalten
hatte.
Mit stetig wachsendem Staunen hatte ihn Welser
angehört, Ewald's Aufforderung,' seine Meinung aus-
zusprechen, hatte er so lange abgelchnt, bis ihn: von
Ewald Alles, was dieser zu erzählen hatte, mitgetheilt
Worden war; er hatte sich während der Erzählung
 
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