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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 20.1885

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Heft 3
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Hrst 3.

Das Buch für Alle.

51

für etwas, das ich nicht zu begreifen vermag, zu
gebrauchen. Kannst Du etwa beweisen, daß es keine
Geister gibt; kannst Du die vielen wunderbaren Er-
scheinungen, von denen ich oft Zeuge gewesen bin, er-
klären, wenn Du nicht annehmen willst, daß höhere,
von der plumpen Körperlichkeit losgelöste Wesen bei
denselben thätig gewesen sind? Wenn Du an die unS
umschwebende Geisterwelt nicht glauben willst, weil
Dein nüchterner Verstand sich dagegen anflehnt, das
Dir widernatürlich Erscheinende zu glauben, dann gib
mir Erklärung sür Erscheinungen, die gar nicht wider-
natürlich sind, wenn wir sie durch die Mitwirkung der
Geister erklären, die aber jedem bisher als unumstöß-
lich geltenden Naturgesetz Hohn sprechen, wenn wir die
Existenz der Geister verneinen."
„Geschickte Taschenspielerei, Kunststücke, berechnet
auf Täuschung der Sinne!"
„Wer solchen Vorwurf so leichthin ausspricht, hätte
Wohl eigentlich die Pflicht, seine Wahrheit zu beweisen.
Du beschränkst Dich darauf, verächtlich die Lehren des
Spiritismus mit einem leichten Wort abzufertigen, aber
noch niemals hast Du es, trotz aller Aufforderungen
der Tante Helene, der Mühe Werth erachtet, einem
spiritistischen Cirkel bei ihr beizuwohnen. Komm doch
einmal, sieh Dir, nur Deinen Ausdruck zu gebrauchen,
den Schwindel au und beweise dann, daß es ein
Schwindel, daß der Professor Mondberger ein Taschen-
spieler, Kunststückmacher und Betrüger ist! Du wirst
Dir damit ein Verdienst um die Tante Helene er-
werben."
„Sage, Ferdinand, offen und ehrlich, kommt dieser
Vorschlag von Dir?" fragte der Hauptmann, den Vetter
lächelnd anschauend.
„Natürlich, weshalb zweifelst Du daran?" erwi-
derte der Major, der bei der Antwort dem Hauptmann
nicht ganz offen in die Augen zu schauen vermochte.
„Weil mir aus demselben die mir wohlbekannten
Absichten Deiner Frau Mutter zu sprechen scheinen.
Ich soll einem spiritistischen Cirkel beiwohnen, soll den
Versuch machen, den Professor zu entlarven, uni mir
dadurch den höchsten Unwillen der in ihrem Glauben
tiefverlehten Tante Helene zuzuziehen und Dir Gelegen-
heit zu geben, Dir die Dankbarkeit der Tante durch
eine energische Vertheidigung ihres Lieblings zu ge-
winnen. Ist dies nicht der Kern Deines Vorschlages,
der ganz aus dem Geiste Deiner Mutter heraus ge-
macht ist? Offen und ehrlich, ist es so?"
Ter Major lachte Hell auf.
„Wahrhaftig," rief er, „stille Wasser sind tief! Du
bist schlauer, als meine Mama denkt. Kannst Du es
ihr verargen, wenn sie eine Gelegenheit sucht, die Tante
Helene für mich zu gewinnen?"
„Nein, aber ich habe nicht Lust, mich für ihre
Zwecke mißbrauchen zu lassen. Ich frage nichts da-
nach, wem dereinst die Tante Helene ihre Reichthümer !
vererben will, aber wenn gegen mich unlautere Mittel
aufgeboten werden, um mir die Liebe und Achtung der ;
Tante zu entziehen, sür die ich eine unbegrenzte Ver- j
ehrung fühle, dann werde ich nicht zögern, auch meiner-
seits den Kampf aufzunchmen. Dies bitte ich Dich, !
Deiner Frau Mutter zu sagen und es auch selbst zu !
beherzigen."
Der Hauptmann hatte die letzten Worte sehr ernst !
gesprochen und scharf betont, sie verscheuchten das
Lächeln von den Lippen des Majors.
„Willst Du mir den Vorwurf machen, daß ich ,
unlautere Mittel gegen Dich gebrauche?" fragte er
verletzt.
„Du bist zu gutmüthig und im Grunde der Seele
zu ehrlich, als daß ich ein solches Mißtrauen gegen
Dich haben könnte; aber Du stehst andererseits unter
dem Einfluß Deiner Mutter, und hast eben bewiesen,
daß Du ihre Pläne zu fördern geneigt bist; da darfst
Du Dich nicht wundern, wenn mein Wort Dir wie !
ihr galt. Ich mußte es sprechen, denn ich wünsche !
nicht, daß unser verwandtschaftliches Verhältnis; ge-
trübt werde durch eine Gegnerschaft, die für mich um
so widerwärtiger ist, als sie ihre ursprüngliche Ver-
anlassung in eineni Streit um ein Erbtheil findet, auf
welches wir Beide keinen Anspruch haben."
„Du hast Recht, Ewald!" erwiederte der Major
gutmüthig, dem Vetter die Hand über den Tisch rei-
chend. „Hol' der Henker diese ganze verwünschte Erb-
schaftsgeschichte. Es wäre eine Niederträchtigkeit, wenn !
sie Dich, der Du mir immer ein guter Vetter und
treuer Kamerad gewesen bist, zu meinem Feinde ma- I
chen sollte. Ich will Dir keine Veranlassung dazu ,
geben, darauf hast Du mein Wort. Und nun sprechen j
wir von anderen Dingen, laß uns noch eine, die letzte
Flasche darauf leeren', daß wir trotz unserer Erbneben-
buhlerschaft Freunde bleiben wollen; darauf gib mir
die Haud!"
Der Hauptmann schlug ein, kein Wort wurde mehr
bei der dritten Flasche von der Tante Helene und der
Erbschaft gesprochen, dafür aber entschädigte sich der
Major durch die Erzählung der wunderbarsten Ge-
schichten, die er alle selbst erlebt hatte und die für ihn
eine unerschöpfliche Fundgrube der Unterhaltung waren.

6.
Weit hinaus vor dem Thore, an der äußersten
Grenze des städtischen Weichbildes, fast näher bei dem
nächsten Dorfe als bei Berlin liegt ein kleines Haus,
welches durch einen großen, baumreicheu Vorgarten von
der staubigen Chaussee getrennt ist. Das Haus ist rings
umgeben von dicht verwachsenem Gebüsch, in welchem
es so versteckt liegt, daß es von der belebten Chaussee
aus kaum gesehen werden kann, nur in der Nacht ver-
räth ein schwacher Lichtschein, der aus einem erleuchteten
Zimmer durch das Buschwerk schimmert, daß hier eine
menschliche Wohnstätte ist.
Vor einem halben Jahrhundert, damals, als das
Haus gebaut wurde, dachte Wohl der Erbauer nicht
daran, daß jemals in dieser von dem hauptstädtischen
Gewühl weit entfernten Gegend der Grund und Boden
einen höheren Werth erhalten könnte, als den des
sandigen Ackerlandes. Er hatte für billigen Preis eine
Sandscholle in der Größe einiger Morgen gekauft
und mit verhältnißmäßig geringen Kosten in einen
Garten umgewandelt, in dessen Mitte er sich das ein-
fache Häuschen als eine stille, von dem Lärm des
großstädtischen Lebens weit entfernte Ruhestätte ge-
baut hatte. Er hatte den Garten umfriedigt nut einer
undurchdringlichen Lyciumhecke, die nur an der Chaussee
durchbrochen war, um von dieser aus in das Grund-
stück einen Eingang zu gewähren, der durch eine feste
Thüre verschlossen wurde. Von dieser Thüre aus führte
ein gewundener Fußweg durch das Gebüsch nach dein
Hause.
Ein menschenscheuer Privatgelehrter hatte das Haus
für sich seinem Bedürfniß gemäß gebaut. Ihm ge-
nügte ein großes dreisensteriges, saalartiges Zimmer,
in welchem er, umgeben von seinem größten Schatz,
seiner Bibliothek, arbeiten konnte, ohne jemals durch
Straßenlärm gestört zu werden, ein zweites großes zwei-
fensteriges Zimmer, in welchem seine naturwissenschaft-
lichen Sammlungen aufbewahrt waren und ein Schlaf-
zimmer im ersten Stockwerke; dieselben Räumlichkeiten
im Erdgeschoß waren zu einer Küche mit Speisekammer
und zwei kleinen Wohnungen für die Wirthschasterin
und den Gärtner eingerichtet.
Fast fünfzig Jahre hatte der Erbauer in seinem
kleinen Hause als ein Einsiedler gelebt, nie hatte der
Fuß eines Fremden das Haus betreten; der Professor
Mondberger, so hieß der einsame Gelehrte, wollte keine
fremden Gesichter sehen; außer einem Gärtner, der aber
auch das obere Stockwerk des Gebäudes nicht betreten
durste, und der tauben Wirthschasterin duldete er Nie-
mand in seiner Nähe.
Eines Morgens fand die Wirthschasterin den alten
Professor todt in seinem Bette; sic machte Anzeige bei
der Polizei, und nun wurden zum ersten Male seit fast
fünfzig Jahren die so lange vor fremden Augen ver-
schlossenen Räume einer gründlichen Durchforschung
unterworfen; die Papiere des Verstorbenen, die dieser
stets so ängstlich gehütet hatte, das; die Wirthschasterin
dieselben nicht einmal anrühren durfte, wurden genau
durchgesehen, die Behörde suchte nach einem Testament
oder nach anderen Dokumenten, aus denen ersehen
werden konnte, wem der Nachlaß des Entschlafenen
zufallen sollte. Ein Testament fand man nicht, Wohl
aber Dokumente und Briefe, aus denen hervorging,
daß der Professor einen einzigen erbberechtigten Ver-
wandten habe, einen Neffen Eduard Mondbcrger, der in
recht traurigen Verhältnissen in Amerika lebte. Es
fand sich ein fast drei Jahrzehnte umfassender Brief-
wechsel zwischen Onkel und Neffen, die Briefe des On-
kels in Abschriften, die des Neffen im Original, die
letzteren enthielten Bitten um Unterstützungen, die
ersteren kalte Abweisungen, die sich stets fast mit den-
selben Worten wiederholten.
Herr Eduard Mondberger in New-Orleans war,
dies ging aus den vorgefundenen Papieren unzweifel-
haft hervor, der einzige berechtigte Erbe des Professors,
es wurde ihm vom Gericht dies mitgetheilt und er be-
eilte sich, die Erbschaft zu übernehmen, die allerdings
nicht so bedeutend war, wie er Wohl gehofft hatte, denn
der alte Professor hatte fein ursprünglich nicht unbe-
trächtliches Vermögen nach und nach aufgezehrt; er !
hinterließ nur das Haus, welches noch obenein mit
einer allerdings nicht hohen Hypothek belastet war,
das werthlose Mobiliar, seine Bibliothek und ein großes
Herbarium, sowie einige andere wenig werthvolle
Sammlungen.
Eduard Mondberger übernahm sein Erbe, er zog !
in das kleine Haus, er behielt den alten Gärtner und
die taube Wirthschasterin bei, die schon seinem Onkel >
gedient hatten, und fast wollte es scheinen, als ob er
Willens sei, ganz in die Fußtapfen des Verstorbenen zu
treten, denn er lebte anfangs ebenso eingezogen und
einsam, wie der alte Professor. Er sei wie dieser ein !
Gelehrter und Naturforscher, so erzählte der Gärtner
dem Briefträger, seinem Spezialfreunde; den ganzen
Tag und oft bis spät in die Nacht hinein arbeite der
Herr Professor in dem Studirzimmer, er habe schon
die ganzen Sammlungen durchgestöbert, die halbe !

Bibliothek und alle die feingcschriebenen ManuscriPte,
die der Verstorbene hinterlassen, durchgclesen. Er müsse
Wohl in dem Studirzimmer das viele Geld gefunden
haben, welches der alte geizige Professor dort gut ver-
steckt gehalten habe, denn er lasse sich gar nichts ab-
gehen und darin unterscheide er sich von dem Alten,
der kaum gewußt habe, was er esse und trinke, und
der Wohl kann; in seinem Leben eine Flasche Wein ge-
sehen habe, während der jetzige von der Haushälterin
gute, leckere Speisen verlange, Mittags und Abends regel-
mäßig seine Flasche feinen Wein trinke und mit einer
oft nicht genug habe. Auch so finster und menschen-
scheu, wie der alte Professor, sei der junge nicht, er
spreche doch wenigstens mit dem Gärtner ein freund-
liches Wort, wenn er ihn im Garten sehe, er hänge
auch nicht so sehr am Gelde, cs komme ihm auf einen
Thaler mehr oder weniger und auf ein gutes Trink-
geld, wenn ihm ein Dienst geleistet worden war, nicht an.
Die Mittheilungen des Gärtners erregten bei den we-
nigen Nachbarn ein großes Interesse für den Professor,
diesen Titel legte man ohne Weiteres Herrn Eduard
Mondberger bei, und bald verbreitete sich das Gerücht,
daß er große Schätze, die von seinem alten geizigen
Onkel im Laufe der Jahn nach und nach gesammelt
worden seien, unter den Pflanzensammlungen versteckt
aufgefunden habe und daß er ein steinreicher Mann sei,
der auch aus Amerika große Reichthümer mitgebracht
habe. Ein solches Gerücht konnte nur dazu beitragen,
dem Professor Mondberger Ansehen in dein entlegenen
Stadttheile zu verschaffen, und als er, nachdem er
einige Wochen ganz einsam in seinem kleinen Hayse
gelebt hatte, zum ersten Male Abends in dem Berger'-
schen Bierhaus erschien, in welchem allabendlich eine
ziemlich zahlreiche Gesellschaft von angesehenen Bürgern
des Bezirks sich versammelte, wurde er nicht nur mit
Neugierde, sondern mit einer gewissen Achtung, die
man dem reichen Gelehrten glaubte zollen zu müssen,
empfangen. Der Bezirksvorsteher lud ihn ein, an dem
runden Stammtisch Platz zu nehmen, der für die an-
gesehensten Stammgäste reservirt war und an dem auch
der Polizeilieutenant und ein Pensionirter Hauptmann,
ein Magistratssekretär und ein geheimer Rechnungs-
rath fast allabendlich regelmäßig sich zusammenfanden.
Der Professor wurde von dieser auserlesenen Gesell-
schaft sehr zuvorkommend empfangen und bald zeigte
er, daß er einen solchen Empfang auch verdiene, denn
er war, obgleich er aus Amerika kam, ein echter
Patriot, ein erbitterter Feind jedes republikanischen
Schwindels, ein entschiedener Gegner aller umstürz-
lerischen Bestrebungen, ein gläubiger, frommer Christ,
kurz ein Mann ganz nach dem Herzen des geheimen
Rechnungsrathes Schnaufe und des Polizeilieutenants
Signier, ein Verehrer der bestehenden Ordnung und
Dcmokratcnhasser von: reinsten Wasser, und dabei
nicht etwa ein engherziger Bourgeois, sondern ein
Mann, der ein warmes Herz hatte .für. alle Volks-
beglückungsideen. Das höchste Interesse fühlte er für
den Verein zur Besserung entlassener Strafgefangener,
für das Magdalenenstift und andere ähnliche Anstalten,
deren eifriges und thütiges Mitglied er zu werden
versprach.
Ein solcher Mann, der außerdem in Amerika viel
erlebt hatte und der das Erlebte interessant zu erzählen
wußte, war eine Zierde jeder Gesellschaft; er wurde
bald der Mittelpunkt des kleinen Kreises, der Gegen-
stand der Verehrung der alten Stammgäste. Man
lauschte seinen Worten mit wahrer Andacht und be-
sonders, wenn er von den Wundern erzählte, welche er
selbst in New-Hork in den Versammlungen eines spiri-
tistischen Vereins erlebt hatte, wenn er in der ihm
eigenen überzeugenden Wärme von der Gnade sprach,
die Gott der Menschheit durch die neuesten Entdeckungen
des Spiritismus erwiesen habe, dann fühlten alle seine
Zuhörer sich unwillkürlich gefesselt, selbst der Haupt-
mann, der ein wenig von einem Freigeist in sich fühlte
und der bisher niemals an den Spiritismus geglaubt
hatte, konnte nicht umhin, dem Apostel der neuen Lehre
Glauben zu schenken, war dieser doch ein gelehrter
Naturforscher, der die Sache gründlich studirt hatte und
der sich also sicherlich nicht von Schwindlern betrügen ließ.
Einer der gläubigsten Jünger des Professors war
der geheime Rechnungsrath Schnaufe, nut tiefer An-
dacht lauschte er, wenn der gelehrte Herr von den
wunderbaren Kundgebungen der Geister längst Ver-
storbener, von den Unterhaltungen erzählte, die er selbst
und seine Freunde mit ihren thcuren vor Jahren ent-
schlafenen Lieben gehabt hatten; der Geheiinrath war
seit Jahren Wittwer, er hatte seine verstorbene Fran
sehr geliebt, und sein glühendster Wunsch war cs, mit
ihr in die seelische Verbindung treten zu dürfem in
welcher die amerikanischen Spiritisten mit den Geistern
standen. Er äußerte diesen Wunsch, aber Professor
Mondbcrger schüttelte bedenklich den Kopf, er erklärte
zwar, daß er gewiß gern bereit sein werde, jeden Wunsch
seiner hochverehrten Freunde zu erfüllen, leider aber
sei der Verkehr mit den Geistern an Bedingungen ge-
bunden, die in dem materiellen, freigeistigen Berlin
nicht leicht zu lösen seien. Wo solle man in Berlin
 
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