134 Das Buch für Alle.
„Gut, daß Ihre Gattin diesen Panegyrtkus auf ein
fremdes Augcnpaar nicht gehört hat/' bemerkte der
Landrath b. Weichen mit dem ihm eigenen trockenen
Humor — und Herr v. Mot zog den Grafen dichter
an sich heran.
„Man munkelt so allerlei über den Bankier Harte-
feld — Sie verstehen mich, was? DaS ist aber Wohl
nur Klatscherei?"
Artburg sah den Oberforstmeister groß an. „Ich
weiß wirklich nicht, was Sie meinen, lieber Baron,
die Darlehenskasse hat ihre Gegner, wie jedes Unter-
nehmen, selbst —"
„Davon spreche ich nicht, das ist natürlich, ich
meinte nur so, man erzählt sich allerlei. . . Himmel,
aber was erzählt man sich nicht!"
Artburg wurde in diesem Augenblick abgerufen,
und das war dem Oberforstmeister lieb; er war eine
sehr gutmüthige Seele und fürchtete schon, den Grafen
durch seine Worte gereizt zu haben.
Inzwischen hatte Karl Hartefeld auch die Gräfin
und die Comtesse begrüßt und sich dann zu Biesen,
Peck nnd Garbe zurückgezogen, die in der Fensternische
des Rauchkabinets Plauderten.
Karl hatte lange geschwankt, ob er der Einladung
des alten Grafen folgen sollte oder nicht, schließlich
hatte ihn der Umstand, daß bereits sein Vater und
Otty abgesagt, doch noch dazu bewogen. Seit jenem
verhängnißvollen Tage, an dem ein Zufall ihn zum
Geständniß feiner Liebe zu Hedwig geführt, hatte er
die Comtesse mehrere Male an dritten Orten wieder-
gesehen, und sie war ihm in alter, ungezwungener
Weise gegenübergetreten, als sei nichts zwischen ihnen
vorgefallen, was Ursache zu einem veränderten Be-
nehmen Hütte geben können. Hedwig wollte also ver-
gessen, oder sie hatte schon vergessen! Ein tiefer, nagen-
der Schmerz erfüllte Karl's Brust, und fast war's ihm
wie eine süße Oual, in selbstpeinigendem Raffinement
diesen Schmerz dadurch zu nähren, daß er jede Ge-
legenheit suchte, mit der Geliebten znsammenzutreffen.
So hatte er auch feines Vaters und Otty's Absage für
den heutigen Abend mit Freuden begrüßt, weil er da-
durch einen Grund gefunden hatte, seinen eigenen Be-
such der Gesellschaft bei Artburg vor sich selber zu
entschuldigen.
Während Karl mit dem Rittmeister v. Carbe und
Herrn v. Biesen sich in ein Gespräch über gleichgültige
Dinge einließ, wurde Graf Peck durch einen Diener
abgerufen: Fräulein v. Hagen wolle ihn auf einen
Augenblick sprechen.
Der kleine Husar seufzte affektirt, um damit den
anderen Herren anznzeigen, wie sehr er durch die be-
ständigen Aufmerksamkeiten der Damenwelt zu leiden
habe, warf dann einen flehenden Blick zu dem Stuck
am Plafond empor und schlich endlich mit trübseligem
Gesicht zu dem Sessel, in dem Agnes Hagen thronte,
als sei sie die Königin Elisabeth, die den Grafen Lei-
cester erwarte.
„Gnädiges Fräulein haben befohlen — ?"
Agnes schaute den Grafen von der Seite an. „Wenn
Sie meinen, daß ich befohlen habe, und nur diesem
Befehle gefolgt sind, als Sie zu mir kamen, dann
können Sie gleich wieder gehen."
„Ei bewahre, gnädiges Fräulein, seien Sie doch
nicht immer so böse! Ich meinte es ja nicht schlimm."
„Doch, in Ihrer Frage lag eine versteckte Be-
leidigung. Nicht befohlen habe ich, sondern gebeten."
„Jede Bitte aus schönem Munde ist ein Befehl,"
lächelte Peck.
„Das ist nichts als eine von der Männerwelt er-
fundene Phrase, um sich durch sie als die Träger eines
schweren Martyriums hinzustellen."
„Eines süßen Martyriums, wollten Sie sagen."
„Meinetwegen auch so. Aber sehen Sie sich doch,
es braucht nicht alle Welt zu hören, was wir zu
sprechen haben."
Agnes deutete auf das Tabouret vor ihr.
„Ich danke gehorsamst," entgegnete Peck mit dem
Ausdruck des Entsetzens, „diese niedrigen Folterschemel
wecken höchst qualvolle Reminiscenzen in mir." Er
rollte sich einen Fauteuil heran und ließ sich auf
diesem nieder. „Gnädiges Fräulein haben mir wahr-
scheinlich sehr Wichtiges mitzutheilen?"
„Sind Sie verschwiegen?"
Der Graf legte die Hand auf die rechte Seite seiner
Attila und erwiederte mit dumpfer Stimme: „Wie
das Grab."
„So hören sie. Der junge Hartefeld kann nicht
zum Reserve-Offizier bei Ihrem Regiment befördert
werden; wissen Sie, warum?"
„Ahnungslos, Gnädigste."
Agnes beugte ihren Lockenkopf näher an den Hu-
saren heran.
„Des alten Bankiers wegen," flüsterte sie, „der einst
im Zuchthaus, im Gefängnis; — was weiß ich — ge-
sessen haben soll!"
Der Graf mußte an sich halten, um nicht einen
lauten Ruf des Erstaunens auszustoßen. Dann lächelte
er lustig und schob sich das Monocle in's Auge.
„Famose Geschichte," sagte er. „Wer ist denn der
Autor?"
„Ich konnte mir denken, daß Sie nicht an die Sache
glauben würden," gab Agnes zurück, „aber ich versichere
Ihnen, es ist Wahres daran, wenn ich auch nicht im
Stande bin, Ihnen die Details mitzutheilen. Sie
wissen, daß Papa einen glühenden Haß gegen diesen
Hartefeld hegt, weniger nur der Persönlichkeit willen,
als wegen seiner Darlehenskasse oder wie das Ding
heißt, das er für ein den Staat und die Armee ge-
fährdendes Unternehmen hält. Papa hat nun heraus-
gebracht, daß der alte Bankier vor dreißig Jahren oder
mehr einmal ein Verbrechen begangen hat — fragen
Sie mich nicht, was, denn ich weiß nichts Genaueres —
und daß er infolge dieses Verbrechens mit einer schweren
und ehrenrührigen Strafe belegt worden ist. Papa hat ge-
hört, daß der Sohn Hartefeld's nahe daran war, Reserve-
lieutenant bei Ihnen zu werden und hat nun zunächst
dem Oberst v. Puller, Ihrem Kommandeur, Mitthei-
lung von der Thatsache gemacht. Papa wollte sich erst
ganz genau orientiren, ehe er die Angelegenheit an die
Oeffentlichkeit bringt, selbstverständlich soll auch der
arme Graf Artburg vorher gewarnt werden, damit er
noch rechtzeitig seine Beziehungen zu Hartefeld löst.
Ich erzähle Ihnen die ganze Affaire übrigens nur,
weil ich weiß, daß auch Sie in dem Hause des Bankiers
verkehrt haben und ich Ihnen Unannehmlichkeiten er-
sparen möchte."
Graf Peck saß mit finster zusammengezogenen
Augenbrauen auf seinem Sessel und zog die Spitzen
seines berühmten Weißen Schnurrbartes durch seine
Lippen.
„Das ist ja eine tolle Geschichte," sagte er endlich,
„eine so unglaubliche Geschichte, daß ich vor Verwun-
derung gar nicht weiß, was ich antworten soll. Wenn
es sich wirklich so verhält, wie Sie erzählen, dann ist
es ja die höchste Zeit, daß man zum Rückzüge bläst.
Wer hätte das gedacht! Am meisten thun mir Die-
jenigen leid, die nichtsahnend mit Hartefeld intimen
Verkehr gepflogen haben, Biesen, der Bedauernswerthe,
Artburg, Carbe, ich selbst...!"
„Deshalb will Papa, bevor er die Geschichte an die
große Glocke hängt, erst mit dem Grafen Artburg
Rücksprache nehmen... Ich meinerseits wünschte, ehrlich
und offen, er hätte die ganze unselige Sache nicht erst
aufberührt; Sie kennen ja aber Papa, er ist ein Fa-
natiker des guten Rechts und würde selbst über die
Leichen seiner Freunde hinüber das Ziel zu erreichen
suchen, das er sich gesteckt... Jedenfalls, Gras Peck:
Verschwiegenheit, so lange es nothwendig ist! Sie
machen mir ganz das Gesicht, als wollten Sie sofort
aller Welt die tragische Historie erzählen."
„I Gott bewähre," brummte Peck; er war so in
Gedanken, daß er nur die Hälfte von dem gehört hatte,
was Agnes zuletzt gesagt. Die junge Dame rollte den
Fächer auf und schaute hinter dem niedlichen Bollwerk
verstohlen zu dem kleinen Grafen herüber.
„Weshalb sehen Sie denn auf einmal so trübselig
aus?" schmollte sie. „Mein Gott, geht Ihnen denn
die Geschichte so nahe — oder oder gehören vielleicht
auch Sie zu den Unglücklichen, denen das schöne Fräu-
lein Hartefeld das Herz gebrochen hat?"
„Nein, gnädiges Fräulein, ich will Ihnen sogar
gestehen, daß ich nie einen Funken Sympathie für die
Tochter des Bankiers gehabt habe. Ich glaube, daß
sie Herz- und gemüthlos ist, und für solche Menschen
kann ich mich nicht begeistern."
„Das begreife ich — das ist doch endlich ein Wort,
über das man sich freuen kann!" Agnesens Augen
leuchteten hell. „Sehen Sie, Graf Peck, wie Ihnen,
so geht es auch mir. Ich verstehe die Leute nicht, die
ganz allein nach dem Aeußeren zu urtheilen Pflegen und
über die Herzensbildung flüchtig hinwegsehen. Dabei
spielt doch das Herz die Hauptrolle im Organismus
der Kreatur..."
Peck sah nicht den halb ernsthaften, halb schelmi-
schen Blick, den Agnes ihm bei den letzten Worten zu-
warf, er dachte an hunderterlei Anderes, nur nicht an
das „Herz der Kreatur". —
Wenige Minuten später ging man zur Tafel. Da
verschiedene Gäste noch in den letzten Stunden abgesagt,
hatte Graf Artburg den erst entworfenen Schlacht-
plan für das Placement wieder umfloßen müßen,
und nun traf es sich zufällig, daß Comtesse Hedwig,
die von dem Lieutenant v. Hagen geführt wurde, als
rechten Nachbar Karl Hartefeld erhielt. Derselbe Zu-
fall wollte auch, daß Ernesta die Nachbarin des
"Rittmeisters v. Carbe wurde, und daß der arme
Biesen mit einer mageren, aber sehr ästhetisch gebil-
deten alten Dame ganz an das Ende der Tafel ge-
bracht wurde, von wo aus er nicht einmal das schwarze
Lockenköpfchen seiner Angebeteten erschauen konnte.
Die anfänglich etwas kühle Stimmung wurde bald
lebhafter und das Geplauder der Gäste begann das
häßlich Prosaische Klappern der Messer und Gabeln zu
übertönen. Das Souper war vorzüglich, und die Weine
trugen nicht zum wenigsteil zu der stetig steigenden
Laune der Allgemeinheit bei. Schon beim zweiten
Gange nähmen die Toaste ihren Anfang. Artburg war
selig. Mit strahlendem Gesicht saß er zwischen zwei
weiblichen Ercellenzen und ließ, wenn die beiden über-
aus sprachgewandten Damen ihm einmal Zeit dazu
gabendas freudetrunkene Auge über die Gesellschaft
schweifen. Seine Freude war aufrichtiger Natur; er
war glücklich darüber, daß seine Gäste sich bei ihm ge-
fielen, er konnte sich nur dann amüsiren, Wenn auch
seiner Umgebung die Stimmung nicht fehlte. Ganz
in der Nähe des Grafen, hinter einem Arrangement
von Blattpflanzen, Levkoyen und Schneeglöckchen, saß
Biesen, und je Heller das Antlitz Artburg's aufleuch-
tete, um so mehr verfinsterte sich das seine. Er grollte
dem Grafen ob des Marterplatzes, der ihm angewiesen
worden war, und wünschte sehnlichst das Ende des
Soupers herbei. Die alte Dame neben ihm hatte sich
als eine begeisterte Anhängerin Zöllner's entpuppt und
sprach von nichts als von spiritistischen Experimenten
und dämonomagischen Erscheinungen. Biesen, der nicht
wußte, ob er alle diese unheimlichen Geschichten als
Ernst oder Scherz auffassen sollte, beschränkte sich schließ-
lich darauf, nur durch ein energisches Kopfnicken seine
Zustimmung zu geben. Seine keineswegs rosige Laune
wäre wahrscheinlich noch erheblich schlechter geworden,
wenn er die intime Unterhaltung zwischen Ernesta und
Carbe gehört und das glückglänzende Gesicht der Letz-
teren gesehen hätte. In der That war Ernesta heute
von einer Frische und Lebendigkeit, die sie eigenthüm-
lich verschönte. Auf ihren Wangen lag ein purpurner
Farbenton, und ihre Augen strahlten ein berückendes
Feuer aus. Die rothen Lippen lachten und Plauderten
unaufhörlich, und der entblößte Arm streifte mehr als
einmal wie zufällig die Hand des Rittmeisters, der
das ernste Augenpaar, das ihn von der Seite gegenüber
beobachtete, gar nicht zu bemerken schien.
Carbe und Ernesta fast gegenüber saß der Lieute-
nant v. Hagen, zwischen diesem und Karl Hartefeld
Comtesse Hedwig. Karl und die Comtesse unterhielten
sich in ungezwungener und harmloser Weise über ober-
flächliche Tagesfragen. Die ungetheilte Aufmerksamkeit,
die Hedwig anscheinend der Konversation Karl's schenkte,
schien dem jungen Hagen zu mißfallen. Zwar hatte
die Comtesse eine diesbezügliche ziemlich scharfe Be-
merkung des Lieutenants überhört, Karl hatte dieselbe
aber verstanden und sich von ihr um so schärfer ge-
trosten gefühlt, als er bereits zu verschiedenen Malen
am heutigen Abend in dem Benehmen Hagen's die
Höflichkeit zu vermissen gemeint hatte, die der gesell-
schaftliche Kodex erfordert. Um indessen keine pein-
liche Scene hervorzurufen, hatte Karl sich vorgenom-
men, das eigenthümliche Verhalten des Lieutenants zu
ignoriren, ihn jedoch bei geeigneterer Gelegenheit zur
Rede zu stellen.
Je mehr das Souper sich seinem Ende näherte, um
so animirter wurde die Stimmung und um so lebhafter
die Unterhaltung. Die jüngeren Herren hatten schon
lange die Wein- und Bowlengläser bei Seite geschoben
und dafür die flachen Krystallschalen mit dem flim-
mernden Gold der Wittwe Cliquot näher an sich heran-
gezogen.
So blieb ein kleiner Kreis denn auch noch sitzen,
als die Gräfin Artburg die Tafel bereits offiziell auf-
gehoben, und verschiedene Herren kehrten zu diesem in-
timen Cirkel zurück, nachdem sie ihre Damen in den
Nebengemächern Placirt hatten. Der große Tisch
war nach englischer Sitte von allem überflüssigen
Service befreit worden, nur die blinkenden Eisbehälter
standen noch vor der lustigen Gruppe, die das äußerste
Ende der Tafel umrahmte. Man hatte von dem Rauch-
recht Gebrauch gemacht und sich Cigarren angesteckt;
Herr v. Callam ritt rücklings auf einem Stuhle und
Parodirte den Jockey des Rittmeisters v. Carbe bei der
Carridre und beim Hürdensprung, Graf Peck erzählte
eine Anekdote aus dem Coulissenleben, Hagen moquirte
sich über Verschiedenes aus der Gesellschaft, und die
übrigen Herren lachten und tranken dazu.
„Der Carbe hat seit einiger Zeit Pech mit seinen
Gäulen," meinte ein junger Ulanenoffizier im Anschluß
an die Parodie des Baron Callam.
„Es scheint mir überhaupt, als schütte Fortuna
nicht mehr so freigebig ihr Füllhorn über ihn aus, wie
sonst," siet ein Zweiter ein. „Er hat kürzlich wo
war es doch gleich — irr' ich nicht, im Garde-Club —
mit entschiedenem Unglück gespielt!"
„Vorübergehendes Stadium!" bemerkte Graf Kru-
seneck. „Carbe ist der verhätschelte Liebling der Götter
und wird cs bleiben, denn er ist schlau genug, dem
durch den ,Ring des Polykrates' bekannt gewordenen Neid
besagter Götter hin und wieder ein Opfer zu bringen."
„Sollte es mit diesem Opfer zusammenhängen, daß
er der kleinen Hartefeld seit Kurzem so gewaltig den
Hof macht?"
„Glauben Sie wirklich, daß eine gewisse Opfer-
freudigkeit dazu gehört, einem so niedlichen" — der
Sprechende schaute sich vorsichtig um — „einem so nied-
lichen Wurm ein wenig die Cour zu schneiden?"
Ottokar v. Hagen hatte bei Nennung des Namens
Hartefeld den weinglühcnden Kopf erhoben-
„Gut, daß Ihre Gattin diesen Panegyrtkus auf ein
fremdes Augcnpaar nicht gehört hat/' bemerkte der
Landrath b. Weichen mit dem ihm eigenen trockenen
Humor — und Herr v. Mot zog den Grafen dichter
an sich heran.
„Man munkelt so allerlei über den Bankier Harte-
feld — Sie verstehen mich, was? DaS ist aber Wohl
nur Klatscherei?"
Artburg sah den Oberforstmeister groß an. „Ich
weiß wirklich nicht, was Sie meinen, lieber Baron,
die Darlehenskasse hat ihre Gegner, wie jedes Unter-
nehmen, selbst —"
„Davon spreche ich nicht, das ist natürlich, ich
meinte nur so, man erzählt sich allerlei. . . Himmel,
aber was erzählt man sich nicht!"
Artburg wurde in diesem Augenblick abgerufen,
und das war dem Oberforstmeister lieb; er war eine
sehr gutmüthige Seele und fürchtete schon, den Grafen
durch seine Worte gereizt zu haben.
Inzwischen hatte Karl Hartefeld auch die Gräfin
und die Comtesse begrüßt und sich dann zu Biesen,
Peck nnd Garbe zurückgezogen, die in der Fensternische
des Rauchkabinets Plauderten.
Karl hatte lange geschwankt, ob er der Einladung
des alten Grafen folgen sollte oder nicht, schließlich
hatte ihn der Umstand, daß bereits sein Vater und
Otty abgesagt, doch noch dazu bewogen. Seit jenem
verhängnißvollen Tage, an dem ein Zufall ihn zum
Geständniß feiner Liebe zu Hedwig geführt, hatte er
die Comtesse mehrere Male an dritten Orten wieder-
gesehen, und sie war ihm in alter, ungezwungener
Weise gegenübergetreten, als sei nichts zwischen ihnen
vorgefallen, was Ursache zu einem veränderten Be-
nehmen Hütte geben können. Hedwig wollte also ver-
gessen, oder sie hatte schon vergessen! Ein tiefer, nagen-
der Schmerz erfüllte Karl's Brust, und fast war's ihm
wie eine süße Oual, in selbstpeinigendem Raffinement
diesen Schmerz dadurch zu nähren, daß er jede Ge-
legenheit suchte, mit der Geliebten znsammenzutreffen.
So hatte er auch feines Vaters und Otty's Absage für
den heutigen Abend mit Freuden begrüßt, weil er da-
durch einen Grund gefunden hatte, seinen eigenen Be-
such der Gesellschaft bei Artburg vor sich selber zu
entschuldigen.
Während Karl mit dem Rittmeister v. Carbe und
Herrn v. Biesen sich in ein Gespräch über gleichgültige
Dinge einließ, wurde Graf Peck durch einen Diener
abgerufen: Fräulein v. Hagen wolle ihn auf einen
Augenblick sprechen.
Der kleine Husar seufzte affektirt, um damit den
anderen Herren anznzeigen, wie sehr er durch die be-
ständigen Aufmerksamkeiten der Damenwelt zu leiden
habe, warf dann einen flehenden Blick zu dem Stuck
am Plafond empor und schlich endlich mit trübseligem
Gesicht zu dem Sessel, in dem Agnes Hagen thronte,
als sei sie die Königin Elisabeth, die den Grafen Lei-
cester erwarte.
„Gnädiges Fräulein haben befohlen — ?"
Agnes schaute den Grafen von der Seite an. „Wenn
Sie meinen, daß ich befohlen habe, und nur diesem
Befehle gefolgt sind, als Sie zu mir kamen, dann
können Sie gleich wieder gehen."
„Ei bewahre, gnädiges Fräulein, seien Sie doch
nicht immer so böse! Ich meinte es ja nicht schlimm."
„Doch, in Ihrer Frage lag eine versteckte Be-
leidigung. Nicht befohlen habe ich, sondern gebeten."
„Jede Bitte aus schönem Munde ist ein Befehl,"
lächelte Peck.
„Das ist nichts als eine von der Männerwelt er-
fundene Phrase, um sich durch sie als die Träger eines
schweren Martyriums hinzustellen."
„Eines süßen Martyriums, wollten Sie sagen."
„Meinetwegen auch so. Aber sehen Sie sich doch,
es braucht nicht alle Welt zu hören, was wir zu
sprechen haben."
Agnes deutete auf das Tabouret vor ihr.
„Ich danke gehorsamst," entgegnete Peck mit dem
Ausdruck des Entsetzens, „diese niedrigen Folterschemel
wecken höchst qualvolle Reminiscenzen in mir." Er
rollte sich einen Fauteuil heran und ließ sich auf
diesem nieder. „Gnädiges Fräulein haben mir wahr-
scheinlich sehr Wichtiges mitzutheilen?"
„Sind Sie verschwiegen?"
Der Graf legte die Hand auf die rechte Seite seiner
Attila und erwiederte mit dumpfer Stimme: „Wie
das Grab."
„So hören sie. Der junge Hartefeld kann nicht
zum Reserve-Offizier bei Ihrem Regiment befördert
werden; wissen Sie, warum?"
„Ahnungslos, Gnädigste."
Agnes beugte ihren Lockenkopf näher an den Hu-
saren heran.
„Des alten Bankiers wegen," flüsterte sie, „der einst
im Zuchthaus, im Gefängnis; — was weiß ich — ge-
sessen haben soll!"
Der Graf mußte an sich halten, um nicht einen
lauten Ruf des Erstaunens auszustoßen. Dann lächelte
er lustig und schob sich das Monocle in's Auge.
„Famose Geschichte," sagte er. „Wer ist denn der
Autor?"
„Ich konnte mir denken, daß Sie nicht an die Sache
glauben würden," gab Agnes zurück, „aber ich versichere
Ihnen, es ist Wahres daran, wenn ich auch nicht im
Stande bin, Ihnen die Details mitzutheilen. Sie
wissen, daß Papa einen glühenden Haß gegen diesen
Hartefeld hegt, weniger nur der Persönlichkeit willen,
als wegen seiner Darlehenskasse oder wie das Ding
heißt, das er für ein den Staat und die Armee ge-
fährdendes Unternehmen hält. Papa hat nun heraus-
gebracht, daß der alte Bankier vor dreißig Jahren oder
mehr einmal ein Verbrechen begangen hat — fragen
Sie mich nicht, was, denn ich weiß nichts Genaueres —
und daß er infolge dieses Verbrechens mit einer schweren
und ehrenrührigen Strafe belegt worden ist. Papa hat ge-
hört, daß der Sohn Hartefeld's nahe daran war, Reserve-
lieutenant bei Ihnen zu werden und hat nun zunächst
dem Oberst v. Puller, Ihrem Kommandeur, Mitthei-
lung von der Thatsache gemacht. Papa wollte sich erst
ganz genau orientiren, ehe er die Angelegenheit an die
Oeffentlichkeit bringt, selbstverständlich soll auch der
arme Graf Artburg vorher gewarnt werden, damit er
noch rechtzeitig seine Beziehungen zu Hartefeld löst.
Ich erzähle Ihnen die ganze Affaire übrigens nur,
weil ich weiß, daß auch Sie in dem Hause des Bankiers
verkehrt haben und ich Ihnen Unannehmlichkeiten er-
sparen möchte."
Graf Peck saß mit finster zusammengezogenen
Augenbrauen auf seinem Sessel und zog die Spitzen
seines berühmten Weißen Schnurrbartes durch seine
Lippen.
„Das ist ja eine tolle Geschichte," sagte er endlich,
„eine so unglaubliche Geschichte, daß ich vor Verwun-
derung gar nicht weiß, was ich antworten soll. Wenn
es sich wirklich so verhält, wie Sie erzählen, dann ist
es ja die höchste Zeit, daß man zum Rückzüge bläst.
Wer hätte das gedacht! Am meisten thun mir Die-
jenigen leid, die nichtsahnend mit Hartefeld intimen
Verkehr gepflogen haben, Biesen, der Bedauernswerthe,
Artburg, Carbe, ich selbst...!"
„Deshalb will Papa, bevor er die Geschichte an die
große Glocke hängt, erst mit dem Grafen Artburg
Rücksprache nehmen... Ich meinerseits wünschte, ehrlich
und offen, er hätte die ganze unselige Sache nicht erst
aufberührt; Sie kennen ja aber Papa, er ist ein Fa-
natiker des guten Rechts und würde selbst über die
Leichen seiner Freunde hinüber das Ziel zu erreichen
suchen, das er sich gesteckt... Jedenfalls, Gras Peck:
Verschwiegenheit, so lange es nothwendig ist! Sie
machen mir ganz das Gesicht, als wollten Sie sofort
aller Welt die tragische Historie erzählen."
„I Gott bewähre," brummte Peck; er war so in
Gedanken, daß er nur die Hälfte von dem gehört hatte,
was Agnes zuletzt gesagt. Die junge Dame rollte den
Fächer auf und schaute hinter dem niedlichen Bollwerk
verstohlen zu dem kleinen Grafen herüber.
„Weshalb sehen Sie denn auf einmal so trübselig
aus?" schmollte sie. „Mein Gott, geht Ihnen denn
die Geschichte so nahe — oder oder gehören vielleicht
auch Sie zu den Unglücklichen, denen das schöne Fräu-
lein Hartefeld das Herz gebrochen hat?"
„Nein, gnädiges Fräulein, ich will Ihnen sogar
gestehen, daß ich nie einen Funken Sympathie für die
Tochter des Bankiers gehabt habe. Ich glaube, daß
sie Herz- und gemüthlos ist, und für solche Menschen
kann ich mich nicht begeistern."
„Das begreife ich — das ist doch endlich ein Wort,
über das man sich freuen kann!" Agnesens Augen
leuchteten hell. „Sehen Sie, Graf Peck, wie Ihnen,
so geht es auch mir. Ich verstehe die Leute nicht, die
ganz allein nach dem Aeußeren zu urtheilen Pflegen und
über die Herzensbildung flüchtig hinwegsehen. Dabei
spielt doch das Herz die Hauptrolle im Organismus
der Kreatur..."
Peck sah nicht den halb ernsthaften, halb schelmi-
schen Blick, den Agnes ihm bei den letzten Worten zu-
warf, er dachte an hunderterlei Anderes, nur nicht an
das „Herz der Kreatur". —
Wenige Minuten später ging man zur Tafel. Da
verschiedene Gäste noch in den letzten Stunden abgesagt,
hatte Graf Artburg den erst entworfenen Schlacht-
plan für das Placement wieder umfloßen müßen,
und nun traf es sich zufällig, daß Comtesse Hedwig,
die von dem Lieutenant v. Hagen geführt wurde, als
rechten Nachbar Karl Hartefeld erhielt. Derselbe Zu-
fall wollte auch, daß Ernesta die Nachbarin des
"Rittmeisters v. Carbe wurde, und daß der arme
Biesen mit einer mageren, aber sehr ästhetisch gebil-
deten alten Dame ganz an das Ende der Tafel ge-
bracht wurde, von wo aus er nicht einmal das schwarze
Lockenköpfchen seiner Angebeteten erschauen konnte.
Die anfänglich etwas kühle Stimmung wurde bald
lebhafter und das Geplauder der Gäste begann das
häßlich Prosaische Klappern der Messer und Gabeln zu
übertönen. Das Souper war vorzüglich, und die Weine
trugen nicht zum wenigsteil zu der stetig steigenden
Laune der Allgemeinheit bei. Schon beim zweiten
Gange nähmen die Toaste ihren Anfang. Artburg war
selig. Mit strahlendem Gesicht saß er zwischen zwei
weiblichen Ercellenzen und ließ, wenn die beiden über-
aus sprachgewandten Damen ihm einmal Zeit dazu
gabendas freudetrunkene Auge über die Gesellschaft
schweifen. Seine Freude war aufrichtiger Natur; er
war glücklich darüber, daß seine Gäste sich bei ihm ge-
fielen, er konnte sich nur dann amüsiren, Wenn auch
seiner Umgebung die Stimmung nicht fehlte. Ganz
in der Nähe des Grafen, hinter einem Arrangement
von Blattpflanzen, Levkoyen und Schneeglöckchen, saß
Biesen, und je Heller das Antlitz Artburg's aufleuch-
tete, um so mehr verfinsterte sich das seine. Er grollte
dem Grafen ob des Marterplatzes, der ihm angewiesen
worden war, und wünschte sehnlichst das Ende des
Soupers herbei. Die alte Dame neben ihm hatte sich
als eine begeisterte Anhängerin Zöllner's entpuppt und
sprach von nichts als von spiritistischen Experimenten
und dämonomagischen Erscheinungen. Biesen, der nicht
wußte, ob er alle diese unheimlichen Geschichten als
Ernst oder Scherz auffassen sollte, beschränkte sich schließ-
lich darauf, nur durch ein energisches Kopfnicken seine
Zustimmung zu geben. Seine keineswegs rosige Laune
wäre wahrscheinlich noch erheblich schlechter geworden,
wenn er die intime Unterhaltung zwischen Ernesta und
Carbe gehört und das glückglänzende Gesicht der Letz-
teren gesehen hätte. In der That war Ernesta heute
von einer Frische und Lebendigkeit, die sie eigenthüm-
lich verschönte. Auf ihren Wangen lag ein purpurner
Farbenton, und ihre Augen strahlten ein berückendes
Feuer aus. Die rothen Lippen lachten und Plauderten
unaufhörlich, und der entblößte Arm streifte mehr als
einmal wie zufällig die Hand des Rittmeisters, der
das ernste Augenpaar, das ihn von der Seite gegenüber
beobachtete, gar nicht zu bemerken schien.
Carbe und Ernesta fast gegenüber saß der Lieute-
nant v. Hagen, zwischen diesem und Karl Hartefeld
Comtesse Hedwig. Karl und die Comtesse unterhielten
sich in ungezwungener und harmloser Weise über ober-
flächliche Tagesfragen. Die ungetheilte Aufmerksamkeit,
die Hedwig anscheinend der Konversation Karl's schenkte,
schien dem jungen Hagen zu mißfallen. Zwar hatte
die Comtesse eine diesbezügliche ziemlich scharfe Be-
merkung des Lieutenants überhört, Karl hatte dieselbe
aber verstanden und sich von ihr um so schärfer ge-
trosten gefühlt, als er bereits zu verschiedenen Malen
am heutigen Abend in dem Benehmen Hagen's die
Höflichkeit zu vermissen gemeint hatte, die der gesell-
schaftliche Kodex erfordert. Um indessen keine pein-
liche Scene hervorzurufen, hatte Karl sich vorgenom-
men, das eigenthümliche Verhalten des Lieutenants zu
ignoriren, ihn jedoch bei geeigneterer Gelegenheit zur
Rede zu stellen.
Je mehr das Souper sich seinem Ende näherte, um
so animirter wurde die Stimmung und um so lebhafter
die Unterhaltung. Die jüngeren Herren hatten schon
lange die Wein- und Bowlengläser bei Seite geschoben
und dafür die flachen Krystallschalen mit dem flim-
mernden Gold der Wittwe Cliquot näher an sich heran-
gezogen.
So blieb ein kleiner Kreis denn auch noch sitzen,
als die Gräfin Artburg die Tafel bereits offiziell auf-
gehoben, und verschiedene Herren kehrten zu diesem in-
timen Cirkel zurück, nachdem sie ihre Damen in den
Nebengemächern Placirt hatten. Der große Tisch
war nach englischer Sitte von allem überflüssigen
Service befreit worden, nur die blinkenden Eisbehälter
standen noch vor der lustigen Gruppe, die das äußerste
Ende der Tafel umrahmte. Man hatte von dem Rauch-
recht Gebrauch gemacht und sich Cigarren angesteckt;
Herr v. Callam ritt rücklings auf einem Stuhle und
Parodirte den Jockey des Rittmeisters v. Carbe bei der
Carridre und beim Hürdensprung, Graf Peck erzählte
eine Anekdote aus dem Coulissenleben, Hagen moquirte
sich über Verschiedenes aus der Gesellschaft, und die
übrigen Herren lachten und tranken dazu.
„Der Carbe hat seit einiger Zeit Pech mit seinen
Gäulen," meinte ein junger Ulanenoffizier im Anschluß
an die Parodie des Baron Callam.
„Es scheint mir überhaupt, als schütte Fortuna
nicht mehr so freigebig ihr Füllhorn über ihn aus, wie
sonst," siet ein Zweiter ein. „Er hat kürzlich wo
war es doch gleich — irr' ich nicht, im Garde-Club —
mit entschiedenem Unglück gespielt!"
„Vorübergehendes Stadium!" bemerkte Graf Kru-
seneck. „Carbe ist der verhätschelte Liebling der Götter
und wird cs bleiben, denn er ist schlau genug, dem
durch den ,Ring des Polykrates' bekannt gewordenen Neid
besagter Götter hin und wieder ein Opfer zu bringen."
„Sollte es mit diesem Opfer zusammenhängen, daß
er der kleinen Hartefeld seit Kurzem so gewaltig den
Hof macht?"
„Glauben Sie wirklich, daß eine gewisse Opfer-
freudigkeit dazu gehört, einem so niedlichen" — der
Sprechende schaute sich vorsichtig um — „einem so nied-
lichen Wurm ein wenig die Cour zu schneiden?"
Ottokar v. Hagen hatte bei Nennung des Namens
Hartefeld den weinglühcnden Kopf erhoben-