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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 20.1885

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Heft 12
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https://doi.org/10.11588/diglit.61341#0264
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266

Neffen zu hinterlassen, wenn die bedeutenden Zuschüsse
fortfielen, welche sie der Schwägerin gewährte, dann trat
wirklich Elend und Noth ein, denn der Major konnte die
Mutter nicht unterstützen, er verbrauchte seine karge Pen-
sion selbst und machte dabei noch Schulden. Das Elend!
Die Generalin hatte es kennen gelernt, sie wußte, wie
schwer sie hatte kämpfen müssen gegen die sich ihr täglich
aufdrängenden Sorgen. Ein Schauer überrieselte sie bei
dem Gedanken, daß solche Zeit wiederkehren könne; aber
die Röthe des Zornes flammte wieder in ihren Wangen
auf, als sie daran dachte, wodurch sie sich den Genuß
des Reichthums erkaufen sollte. Und doch lag viel
Wahres in den Worten des Professors. Konnte nicht
wirklich Ewald v. Ogorin auf den Gedanken kommen,
um Helenens Hand zu werben? Das wäre das
Schlimmste vom Schlimmen!
Minuten vergingen, die Generalin stand schweigend,
sinnend am Fenster, der Professor ließ sie gewähren;
er drängte sie nicht zu einer Antwort. Er kannte seine
alte Freundin und wußte, daß, wenn auch das heiße
Blut in ihr aufwallte, sie doch nach dem Verrauchen
der Gefühlsbewegung ruhiger Ueberlcgung und Be-
rechnung zugänglich war.
Nach langem Schweigen wendete sich die Generalin
plötzlich mit der Frage an den Professor: „Sind Sie
sicher, daß Helene wirklich der Person ihr Vermögen
zuwendet, wenn Ferdinand sich herbeiläßt, dieselbe zu
heirathen? Kennen Sie denn dies hergelaufene Ge-
schöpf? Wissen Sie, woher sie stammt, wer ihre Ver-
wandten sind? Sie verlangten noch eben selbst von
mir Auskunft darüber und doch sprechen Sie von einer
nahen Verwandtschaft, in welcher meine Schwägerin
mit der Person stehen soll. Hat Ihnen etwa der Geist
meines Herrn Bruders verrathen, welcher Art diese
mir ganz unbekannte Verwandtschaft ist?"
„Wollen Sie wieder spotten? Sie wissen, daß ich
dies nicht ertrage."
„Nein, ich frage in allem Ernste. Es ist mir
wichtig, zu erfahren, ob Ihre merkwürdige Behauptung,
Helene sei eine Verwandte meiner Schwägerin, aus
dem Geisterreich stammt — ihre Glaubwürdigkeit wird
hiedurch für mich bedingt."
„Ich sollte Ihnen auf eine in solchem Tone ge-
stellte Frage gar nicht antworten; aber ich will Nach-
sicht mit Ihnen haben und der Aufregung, in welcher
Sie sich befinden, Rechnung tragen, lieber die Person
der jungen Dame und über das Verhältniß, in wel-
chem sie zur Frau Baronin steht, habe ich leider keine
Offenbarung erhalten; ich habe selbst forschen, Erkun-
digungen einziehen und auf das, was ich erfahren habe,
meine Schlüsse bauen müssen."
„Das ist mir lieber, als eine Geisteroffenbarung,"
erwiederte die Generalin. „Ich vertraue Ihrer Schlau-
heit mehr, als der Allwissenheit der Geister. Was
haben Sie also erfahren?"
„Fräulein Helene Müller ist meiner innigsten Ueber-
zeugung nach die Enkelin der Frau Baronin v. Merz-
bach!"
„Wie kommen Sie auf diese seltsame Vermuthung?"
„Standen Sie zur Zeit, als der Baron Merzbach
starb, in einem genauen, vertrauten Verkehr mit Ihrer
Frau Schwägerin?"
„Nein, ich habe Ihnen ja-schon gesagt, daß wir
verfeindet waren, uns niemals sahen, kaum von ein-
ander hörten."
„Sie werden trotzdem wissen, daß die Baronin eine
Tochter hatte —"
„Ja, sie ist bald nach dem Tode des Vaters ge-
storben. Es schwebt über dem Tod dieser Tochter, die
in Oesterreich verhnrathet war, ein Dunkel, welches
ich nicht habe aufklären können. Helene spricht nie
von ihrer Tochter, und als ich einmal eine Frage nach
ihr wagte, hat sie mich heftig zurückgewiesen und mir-
streng verboten, jemals eine gleiche Frage zu thun."
„Es. schwebt überhaupt ein tiefes Dunkel über jener
ganzen Lebensperiode der Frau Baronin; aber dieses
Dunkel wird sich auch für Sie lichten, wenn Sie mir
auf dem Wege meiner Schlußfolgerungen nachgehen.
In dem Speisesaal der Frau Baronin hängt in einer
Ecke, so verborgen, daß cs keinem fremden Besucher in
die Augen fällt, das sprechend ähnliche Bild der ver-
storbenen Tochter der Baronin, diese Tochter aber war
das jugendliche Ebenbild ihrer schönen Mutter. Nun
ist dies Bild das wohlgetroffenc, in jedem Zuge wohl-
getroffene Porträt des Fräulein Helene Müller. Eine
zufällige Aehnlichkcit, werden Sie sagen! Der Zufall
spielt freilich oft seltsam, aber ist es etwa auch ein
Zufall, daß dieses der Frau Baronin sprechend ähnliche
junge Mädchen, welches merkwürdigerweise den Namen
Helene, den Vornamen der Frau Baronin trägt, von
dem Herrn Geheimrath Ritter, dem alten vertrauten
Freund der Dame gerade aus jener in ein tiefes
Dunkel gehüllten Zeit, jetzt plötzlich in das Haus der
Baronin eingeführt wird? Ist es ein Zufall, daß die
adelsstolze, schwer zugängliche Frau die Fremde sofort
mit dem zärtlichen Tochternamen begrüßt, sie Du
nennt, sich von ihr Mutter nennen läßt? Ist dies
Alles ein Spiel des Zufalls?"

Das Buch für Alle.

„Seltsam! In der That höchst seltsam!" sagte
die Generalin, immer nachdenklicher werdend.
„Finden Sie das auch? Nun, daun werden Sie
bald mit mir nicht mehr an ein Walten des blinden
Zufalls glauben und meinem Jdeengange folgen können.
Werfen wir einmal zusammen einen Blick zurück in
die Vergangenheit, sie ist nicht so dunkel, daß ein
scharfes Auge es nicht vermöchte, die Thatsachen zu er-
schauen. Die Baronin liebte und verehrte ihren Gatten
geradezu abgöttisch, sie theilte selbst seine Vorurtheile,
welche für sie keine Vorurtheile waren, weil ihr Alles,
was er dachte, als groß und edel erschien. Den maß-
losen Adelsstolz, den er besaß, hatte auch sie in sich
ausgenommen, und als er die einzige Tochter verfluchte
und verstieß, weil sie einem Bürgerlichen gegen seinen
Willen die Hand gereicht hatte, riß sie der Liebe zum
Gatten wegen die Liebe zur Tochter aus ihrem Herzen.
Er starb, auf dem Todtenbette noch wiederholte er den
Fluch gegen die in seinen Augen Entartete, er ent-
erbte die Tochter und legte in seinem Testamente der
Gattin die Pflicht auf, ihr nie zu verzeihen."
„Woher wissen Sie dies Alles? Vielleicht durch
Geisteroffenbarungen?"
„Ich habe noch andere Quellen des Wissens; lassen
Sie es sich genügen, daß ich es weiß und mich fort-
fahren. Kurze Zeit nach dem Tode des Vaters stirbt
die Tochter, nachdem sie einem Kinde das Leben ge-
geben ! Das unglückliche Wesen ist Vater- und mutter-
los, der Vater hat sich das Leben genommen, nachdem
er sein Vermögen verspielt hatte; das Kind ist dem
tiefsten Elend preisgegeben, wenn sich nicht die Groß-
mutter seiner annimmt. Die Baronin hat dem ster-
benden Gatten geschworen, niemals der Tochter zu
verzeihen, sein letzter Wille ist für sie das höchste Ge-
setz, aber ganz meint sie von dem unschuldigen Kinde
der Tochter doch die Hand nicht abziehen zu dürfen.
Sie überträgt dem treuen Freunde und Hausärzte, dem
Geheimrath Ritter, die Aufgabe, das Kind, welches sie
selbst nicht sehen will, irgendwo in einer anständigen
Familie unterzubringen, es im Verborgenen erziehen zu
lassen; Ritter brachte denn auch das Kind, ein Mädchen,
in der Familie eines befreundeten Pensionirten Offiziers
unter. Als die Tochter des Hauptmanns Müller wurde
die kleine Helene erzogen."
„Haben Sie irgend einen Beweis dafür, daß jene
Person nicht wirklich die Tochter des Hauptmanns
Müller ist, den sie ihren Vater nennt?"
„Nein, noch fehlen mir die strengen Beweise, aber
ich habe der Andeutungen so viele und so gewichtige,
daß ich von der Wahrheit meiner Kombinationen völlig
überzeugt bin. Hören Sie aber weiter: Helene wird
von dem Hauptmann als seine Tochter erzogen, sie ist
ein reizendes, liebenswürdiges Kind, trotzdem zeigt der
Hauptmann bei jeder Gelegenheit, daß er seinen Sohn,
einen nichtsnutzigen, von Grund auf verdorbenen Buben,
der reizenden kleinen Tochter weit vorzieht. Den Sohu
liebt er zärtlich, für die Tochter spricht in seinem
Herzen kein Gefühl. Er gibt ihr eine gute Erziehung,
er erfüllt seine Pflicht gegen sie, aber er bleibt ihr
gegenüber- kalt und fremd. Die Kinder wachsen heran,
der Sohn wird ein ehrloser Taugenichts, selbst der
zärtlichste Vater muß ihm seine Liebe entziehen; die
Tochter ist ein wunderschönes, hochtalentvolles Mädchen.
Sie liebt den Vater mit glühender Schwärmerei, sie
opfert sich für ihn, mit unermüdlicher Zärtlichkeit sitzt
sie an seinem Krankenbette und Pflegt ihn, sie gewinnt
hiedurch seine Liebe. Das Verhältniß zwischen ihr
und dem Vater, der von dem ehrlosen, ungerathenen
Sohne nichts mehr wissen will, wird mit jedem Tage
inniger; trotzdem aber hinterläßt der Hauptmann, als
er stirbt, sein ganzes, allerdings nicht bedeutendes
Vermögen dem Sohne, die Tochter wird mit einer-
kleinen, den Pflichttheil nicht erreichenden Geldsumme
abgefunden. Wäre sie noch nicht mündig gewesen, dann
würde ein Vormund eine so ungerechte Erbtheilung
nicht geduldet haben, aber sie war, als der Hauptmann
Müller starb, einundzwanzig Jahre alt und hatte da-
her die selbstständige Vermögensverfügung. Der Wille
des Vaters war ihr heilig, sie verzichtete auf jeden An-
spruch und verließ Lieberose, wo sie bis zum Tode des
Vaters gelebt hatte, um hier in Berlin Musik zu
studiren, vermochte aber diese Absicht nicht durchzuführen,
weil sie das geringe, ihr gehörige Kapital auf eine
mir nicht bekannte Art verlor; ich glaube, ihr unge-
rathener Bruder, der sein eigenes Erbtheil^ in kürzester
Zeit verjubelt hatte, wird wohl die Schwester bestohlen
haben."
„Sie glauben? Alles, was Sie mir hier erzählt
haben, ist also eine Kombination!"
„Nicht Alles! Das Leben der schönen Helene im
väterlichen Hause und die Geschichte ihrer Erbschaft
habe ich vollkommen der Wahrheit getreu geschildert;
jetzt aber komme ich wieder zu den Kombinationen.
Die Baronin ist inzwischen eine alte kranke Frau
geworden. Sie fühlt, daß sie nicht lange mehr leben
wird. Sie sehnt sich nach der Enkelin, aber noch
immer ist sie zu stolz, diese als solche vor aller Welt
anzuerkennen; sie kann die Enkelin nicht in ihr Haus

Hrst 12.
aufnehmen, wenn nicht eine besondere Form dafür ge-
funden wird. Wieder ist es der alte Freund, der Ge-
heimrath Ritter, der seine hilfreiche Hand bietet. Er
verabredet mit der Baronin einen klug ausgcsonnenen
Plan. Das Zeitungsinserat wird erlassen, Fräulein
Helene meldet sich daraufhin und wird von der Frau
Baronin nicht nur sofort engagirt, sondern auch in
eine Vertrauensstellung ausgenommen, wie sie niemals
eine gewöhnliche Gesellschafterin erhalten haben würde.
Begreifen Sie jetzt, weshalb der Einfluß des Geheim-
raths Ritter auf die Baronin unerschütterlich ist, wes-
halb das Engagement gegen Ihren Widerspruch er-
folgte?"
„Ich kann vor Staunen noch immer nicht zu mir
selbst kommen!" sagte die Generalin kopfschüttelnd.
„Was Sie da auseinandersetzen, klingt Alles sehr ein-
leuchtend und natürlich, aber doch ist es ganz un-
möglich."
„Sie werden bei ruhigem Nachdenken anderer An-
sicht werden, dann aber auch begreifen, daß Sie Ihren
Widerwillen gegen eine Verbindung Ihres Sohnes mit
Fräulein Helene Müller aufgeben müssen, wenn Sic
nicht jeder Hoffnung auf eine Erbschaft für sich und
den Herrn Major entsagen wollen."
„Ich fürchte, hierin wenigstens haben Sie Recht,"
erwiederte die Generalin seufzend.
„Mit dem Aufgeben des Widerstandes ist es aber
nicht genug! Sie müssen in Verbindung mit Ihrem
treuesten Freunde Ihre ganze Kraft anstrengen, alle
sich Ihnen bietenden^Mittel in Bewegung setzen, um
diese Verbindung zu Stande zu bringen! Diese Aufgabe
ist nicht so leicht zu erfüllen, wie Sie vielleicht glauben.
Der Hauptmann v. Ogorin ist ein gefährlicher Gegner,
die Frau Baronin schätzt ihn, und ich müßte mich sehr-
irren, wenn es nicht ihr Herzenswunsch wäre, ihre
Enkelin mit ihm zu verbinden. Sie Hütte dann gar
nicht nöthig, ein Testament zu machen, denn der Haupt-
mann ist ja ihr natürlicher Erbe. Glauben Sie mir,
Sophie, wie klug, wie berechnend, wie geschickt Sie auch
sein mögen, Ihnen allein wird es niemals gelingen,
den Hauptmann v. Ogorin in der Gunst der Baronin
zu stürzen. Sie bedürfen dazu meiner Hilfe!"
„Die Sie mir schon oft versprochen haben."
„Und die Ihnen im weitesten Umfange werden soll!
Daß ich aber auch einen Anspruch darauf erhebe, beim
Gelingen unseres Planes aus dem reichen, Ihrem
Sohne zufallenden Erbtheil für meine Mühe einiger-
maßen entschädigt zu werden, müssen Sie natürlich
finden."
„Ich habe Ihnen dies längst versprochen."
„Versprochen! Ja; aber Werden Sie im Stande
sein, dies nur mündlich gegebene Versprechen zu halten?
Wenn nun der Herr Major sich weigerte, eine einiger-
maßen bedeutende Summe zu opfern, um das nur von
der Mutter und nur mündlich gegebene Versprechen zu
erfüllen?"
„Was verlangen Sie?"
„Einen einfachen schriftlichen Revers, von Ihnen
ausgestellt und unterschrieben, nach welchem Sie sich
verpflichten, mir zehn Prozent des Erbtheils zu zahlen,
welches aus dem Nachlaß der Frau Baronin v. Merz-
bach Ihnen, Ihrem Herrn Sohn und der Gemahlin
desselben — wenn nämlich Fräulein Helene Müller
die Gemahlin Ihres Sohnes wird — dereinst zufallen
wird. Ein solcher Revers würde jedoch nur eine sehr-
zweifelhafte gerichtliche Giltigkeit haben, ich bedarf des-
halb zu meiner Sicherung noch eines von Ihnen aus-
gestellten, von Ihrem Herrn Sohn acceptirten Wechsels
von fünfzigtauscnd Mark. Ich gebe Ihnen dagegen
einen Revers, nach welchem ich mich verpflichte, Ihnen
den Wechsel ohne alle Entschädigung zurückzugeben,
wenn nicht ein großer Theil der Erbschaft der Frau
Baronin Ihrem Herrn Sohne und dessen Gemahlin
zufällt. Durch diesen zweiten Revers sind Sie ge-
sichert, daß ich Alles thue, was irgend in meinen
Kräften steht, um unsere Pläne zur Ausführung zu
bringen."
„Was wird der Geist meines Bruders zu diesen
Schriftstücken sagen?" fragte die Generalin spöttisch.
„Seien Sie unbesorgt. Der theure Verstorbene
wünscht das Glück seiner Schwester und seines Neffen
zu begründen. Ich glaube dafür einstehen zu können,
daß er unseren Plan unterstützen wird, wenn dieser
dahin geht, eine Verbindung zwischen dem Herrn Major
und Fräulein Helene zu Stande zu bringen."
„Und wenn ich Ihnen Wechsel und Revers nicht
gebe?"
Der Professor zuckte die Achseln. „Ich würde dies
bedauern, denn Sie Würden mich dann zwingen, in Er-
wägung zu ziehen, ob es nicht doch vielleicht lcichter
und Vortheilhafter für mich ist, eine Verbindung
zwischen dem Hauptmann v. Ogorin und Fräulein Helene
zu vermitteln. Ich bin Ihr Freund, theure Sophie,
aber in unserem Alter hat die Freundschaft ihre Gren-
zen, man wird Egoist, und wo der eigene Vortheil und
der des Freundes in Zwiespalt kommen, ist die Entschei-
dung nicht zweifelhaft. Ich will Sie zu keiner Ent-
scheidung drängen, überlegen Sie, was ich Ihnen ge-
 
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