274
Der Dämon des Hauses.
Roman
von
F. v. Zobcltitz.
«Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.)
Drciundzwanzigstes Kapitel.
Ä iH Der Dämon des Kaufes.
" dcv H)üre zum Arbeitszimmer des
Bankiers Hartefeld klopfte es leise, dann
huschte geräuschlos die hagere dunkle Ge-
statt der Frau Reiherstein in das Gemach.
„Hanno!"
Die Eintretcnde blieb dicht an der
Thüre stehen und schaute mit einem Gemisch von
«staunen und Schrecken auf die in einem Fauteuil zu-
sammengekauerte, mit Plaids und Decken umhüllte
Greisenfigur.
„Bist Du krank, Hanno?" fragte Frau Reiherstein
und trat einige Schritte näher, so daß sie dem Ban-
kier voll in das gelbe Gesicht sehen konnte, ein Gesicht,
das in diesem Augenblick wie die Todtenlarve eines
Verbrechers erschien.
Hartefeld nickte stumm, und Frau Rosa rollte sich
einen Stuhl heran und ließ sich ihrem Bruder gegen-
über nieder. Auch auf dem steinernen Antlitz dieser
Frau lagen Linien des Kummers, aber ihrem ganzen
Wesen merkte man kaum an, welche seelischen Einflüsse
sie bestürmten. Jede ihrer Bewegungen war ruhig und
abgemessen wie sonst, und ihre Stimme klang fest und kalt,
als sei sie nur der Widerhall eines marmornen Herzens.
„Ich gestehe zu, daß es schwer halten mag, in
diesen ercignißreichen Tagen die alte Ruhe zu bewahren,"
sagte sie und ihr Blick streifte mit Verachtung die Ge-
stalt des vor ihr Kauernden, „aber es ist nothwendig,
und deshalb begreife ich wirklich nicht, wie Du Dich so
ganz aus der Fassung bringen lassen kannst. Nimm' Ver-
nunft an, Hanno — ein Unglück kommt selten allein,
und das, was ich Dir mitzutheilen habe, ist nicht ge-
rade geeignet, als Balsam zu wirken für die Wunden
der letzten Tage."
Hartefeld lachte dumpf auf und zog die Zipfel des
Plaids fröstelnd bis an den Hals heran.
„Nur los, nur los," antwortete er in bitterem
Spott; „es sind so viele Schläge auf mich alten Ambos
gefallen, daß es auf einen Schlag mehr gerade jetzt
auch nicht ankommt! Erzähle doch — Ernesta sendet
Dich, nicht wahr?"
„Ernesta hat sich seit deni Tode Carbe's in ihrem
Zimmer eingeschlossen - selbst mich läßt sie nicht vor.
Jeder Schmerz muß sich austoben, und auch sie wird
sich wiederfinden... Nein, nichts von ihr — Otty
war soeben bei mir und hat mir gebeichtet, daß er
morgen bei Friedberger L ComP. einen Wechsel über
achtzehntausend Mark zu bezahlen hat. Er fürchtete
sich, es Dir zu gestehen und hat mich um Vermittlung
gebeten. Wie es möglich ist, eine derartige Summe in
sechs Wochen durchzubringen — Gott weiß es! Ich
glaube, es wird am besten sein, Du beschneidest dem
leichtsinnigen Vogel ein wenig die Flügel."
„Natürlich, natürlich, das wird am besten sein,"
wiederholte der Bankier, und ein häßliches Lächeln trat
um seinen Mund, „aber — aber wer bezahlt vorläufig
die sechstausend Thaler?"
Frau Rosa fuhr zurück.
„Versteh' ich Dich Recht? Willst Du wegen dieser
Lappalie Deinen geschäftlichen Ruf noch mehr in Ge-
fahr bringen?"
Hartefeld kicherte leise in sich hinein — es klang
wie das Lachen eines Wahnsinnigen.
„Lappalie — Lappalie!" fuhr er in halbem Flüster-
töne fort, „für mich sind gegenwärtig sechstausend
Thaler ein Kapital. Ja, ja, Röschen, so stehen die
Sachen, und Otty wird gut thun, den Koffer zu packen
und nach Amerika abzureisen. Was schaust Du mich
so überrascht, so verwundert an, geliebte Schwester?
Hast Du mir nicht schon längst prophezeit, daß es früher
oder später mit mir ein Ende mit Schrecken nehmen
werde? Nun ist das Ende da, und früher, als ich er-
wartet hatte!"
„Willst Du Dich nicht etwas klarer ausdrücken,
ich habe Dich bis jetzt nur halb verstanden. Daß nicht
Alles ist, wie es sein soll, war mir seit Monaten nichts
Neues, aber —"
„Aber Du glaubtest immer noch, die Spitzbuben-
natur in mir würde endgültig siegen über alle die großen
und kleinen Fatalitäten, die mich seit Begründung der
Darlehenskasse wahrhaft überfluthet haben!" Der Ban-
kier sprang plötzlich auf und warf die Decken von sich.
„O, warum war ich auch solch' ein Esel, ein Unternehmen
in's Leben zu rufen, das mich ruiniren mußte!"
„Selbsterkenntniß ziert den Mann," bemerkte Frau
Rosa boshaft; „Du hättest Dir auch vorher sagen können,
was Du jetzt erst cinzusehcn scheinst."
Das Buch für Alle.
„Meine Voraussetzungen waren falsch," gab der
Bankier fast schreiend zurück, und seine Augen funkelten
vor Haß. „Wäre das Offizierscorps und die Aristo-
kratie mir entgegengekommen, wie ich hoffte, dann wären
die Erfolge auf beiden Seiten nicht ausgeblieben. Das
unbesiegbare Mißtrauen dieser Gesellschaft aber hat
mich zu Grunde gerichtet. Ich will nicht lügen — die
Darlehenskasse sollte mir in gewisser Hinsicht nur Mittel
zum Zweck sein; sie sollte mein Renommee erhöhen und
mein Bankgeschäft in Flor bringen, sollte mir Kapitalien
in die Hände spielen und mich befähigen, mit größeren
Summen spekulativ vorzugehen — eitle Hoffnungen!
Einige haben angebissen, einige wenige — und diesen
Wenigen haben die von den Hagens ausgesprengten
albernen Gerüchte einen derartigen Schrecken cingejagt,
daß ich jetzt Kündigungen über Kündigungen erhalte.
Da" — Hartefeld schlug mit der Hand auf den Arbeits-
tisch — „eben erst schreibt mir der reiche Ungar vom
Garde-Husaren-Regiment, daß er seine Deposita mit
dem Quartalswechsel anderweitig zu verwerthen be-
absichtige... und zu alledem kommt auch noch dieser
Wisch — da, lies!"
Hartefeld reichte seiner Schwester einen großen thon-
gelben Bogen mit eingepreßtem Wappen.
„Euer Wohlgeboren muß ich zu meinem Bedauern
benachrichtigen," so las Frau Rosa „daß ich in An-
betracht der zwischen uns bereits erörterten Verhält-
nisse beim besten Willen nicht mehr in der Direktion
der Darlehenskasse verbleiben kann; ich bitte also, dies
als Bescheinigung meiner definitiven Austrittserllärung
anzusehen. Zu gleicher Zeit bin ich — ebenfalls im
Verfolg unserer letzten Unterredung — genöthigt, Ihnen
die Bergersdorfer Hypotheken zu kündigen. Der Termin
läuft erst am ersten Januar kommenden Jahres ab,
doch würde es mir, da ich die Verwaltung Bergers-
dorfs gerne möglichst bald wieder selbst übernehmen
möchte, angenehm sein, wenn Sie mir schon vorher die
Auszahlung der Kapitalien, respektive den Ausgleich
auf Grund Ihrer Rechnungsbelege über die unter Ihrer
Administration aus dem Gute gezogenen Reineinnahmen
gestatten wollten. Ich bitte um diesbezügliche gefällige
Entgegnung und werde dann meinen juristischen Be-
vollmächtigten mit Anweisungen versehen.
Ergebenst Johannes Graf Artburg."
Frau Rosa hob den über das Papier gesenkten
Kopf.
„Kühl bis an's Herz hinan," meinte sie spöttisch,
„aber das kann Dir ja gleich sein. So viel ich weiß,
find die Hypothekenschulden auf Bergersdorf ziemlich
bedeutend — will also Graf Artburg die Einlösung
bewirken, so mußt Du doch Gelder in die Hände be-
kommen, um damit laviren zu können.. ."
„Jawohl, jawohl," nickte der Bankier, „das wäre
richtig, wenn — nun, wenn sich eben diesmal nicht der
Fuchs in der eigenen Schlinge gefangen hätte! Die
Sache liegt einfach so, daß Spengler, der Oberinspektor
von Bergersdorf, abgesehen davon, daß er auf meine
Veranlassung die Reineinnahmen höher angegeben hat
als wirklich der Fall —"
„Ah," fiel Frau Rosa dem Bruder anscheinend er-
staunt in's Wort, „und weshalb das?"
„Weshalb? — Nun, ich glaube, Du wirst es ebenso
gut wissen, wie ich selbst, trotzdem Du Dich mit Vor-
liebe als die personificirte Unschuld gerirst. Hätte ich
nicht von vorn herein die Absicht gehabt, Bergersdorf
ganz und gar an mich zu bringen, so würde ich Art-
ourg's faule Hypotheken nie genommen haben; schwer-
lich hätte ich auch einem Spitzbuben wie Spengler die
Verwaltung des Gutes übertragen, wenn mir nicht daran
gelegen gewesen wäre, durch übertriebene Berichte den
Grafen von der Vortrefflichkeit meiner Administration
zu überzeugen. Ich wollte dadurch in erster Linie be-
zwecken, daß Artburg feine aristokratische Nase von den
Bergersdorfer Verhältnissen fern hielt. Nun hat aber
der schurkische Inspektor auf eigene Hand Unter-
schlagungen und Durchsteckereien in großartigem Maß-
stabe betrieben; ich muß für diese Ausfälle aufkommen,
denn der Halunke droht mir, andernfalls mit kom-
promittirenden Aussagen in jener unglückseligen Explo-
sionsgeschichte — Du weißt ja — hervorzutreten . . ."
„Ich weiß, ich weiß, die Explosion in der Brennerei
sollte der schnellen Amortisirung der Hypothekenkapitalien
ein Paroli biegen, der Graf sollte gezwungen werden,
neue Anleihen aufzunehmen — bei Dir natürlich, da
er so gut wie kreditlos war! Das Fatale ist nur, daß
es mit der Kreditlosigkeit Artburg's doch nicht so
schlimm gewesen sein muß, daß sich doch Jemand ge-
funden hat, der ihm willig die nöthigen Gelder vor-
streckte."
„Der Henker weiß, wer auf die Bitte des Grafen
hereingefallen ist!" rief Hartefeld wüthend. „Ein ver-
nünftiger Geldmann keinenfalls, dazu ist das Renom-
mee, in das Bergersdorf durch die Verbindung mit
meinem geehrten Namen und endgiltig noch durch die in
die Luft geflogene Spiritusbrennerei gerathen ist, ein
viel zu verdächtiges! Vielleicht hat irgend ein reicher
Standesgenosse, einer meiner persönlichen Gegner, dem
Grafen unter die Arme gegriffen und mir damit die
W 12.
letzten rettenden Balken unter den Füßen fortgezogen.
Hole sie Alle der Kukuk, Artburg und seine gesummte
Freundschaft dazu!"
„Ich fürchte, der Kukuk hat sich andere Opfer als
den Grafen und seine Freunde ausgesucht," bemerkte
Frau Rosa kalt. „Vom Standpunkte der Menschlich-
keit aus — ein Postament, auf das D u freilich nicht
allzu gerne trittst — ist Artburg nur Glück zu wünschen,
daß er sich Deinen liebevollen Umarmungen ein- für
allemal zu entziehen versucht. Es muß freilich recht
unangenehm für Dich sein, den ausgestreckten Spieß
auf einmal gegen die eigene Brust gewendet zu sehen,
aber man erntet doch schließlich nichts Anderes als
das, was man ausgesäet hat — Du, der Du fv nahe
am Rittergutsbesitzer warst, hättest das eigentlich wissen
müssen."
„Mir fehlt die^Stimmung, auf Deine Sticheleien
einzugehen, Rosa, ich bitte Dich aber, zu berücksichtigen,
daß, wenn mein Name an den Pranger geschlagen
wird, auch der Deine nicht fleckenlos bleibt, denn Du
bist meine Schwester! Ich bitte Dich auch zu berück-
sichtigen, daß, wenn ich untergehe, Du nicht auf der
Oberfläche bleibst, da ich es war, der Dich seit Jahren
ernährt und beköstigt hat. Wovon willst Du leben,
wenn ich nicht mehr bin, wovon soll Ernesta fürderhin
ihre nicht immer ganz anspruchslosen Wünsche befrie-
digen, wenn ihr die väterliche Börse nicht mehr wie
sonst zur Verfügung steht?"
Frau Rosa stand auf; sie zitterte und der bleiche
Ton ihrer Wangen war noch um eine Schattirung
Heller geworden.
„Du hast die Frage nicht richtig formulirt," sagte
sie mit tiefer, grollender Stimme, „Du hättest fragen
sollen« wovon willst Du leben, Rosa, da ich Dich
doch Deines Ernährers beraubt habe? So hätte Deine
Frage der Wahrheit gemäß lauten müssen, nicht an-
ders. Deine liebevolle Sorge um mich wie um Ernesta
scheint mir übrigens überflüssig. Meine Hände sind
immer noch kräftig genug, mich selbst zu erhalten, und
Ernesta besitzt ja von Deiner ersten Gattin ein kleines
Kapital, das sie wenigstens der Sorgen des täglichen
Lebens überhebt. Du selbst hast, wenn ich nicht irre,
dies Vermögen verwaltet."
„Jawohl — allerdings — das habe ich," stotterte
Hartefeld, und er wandte das Auge von dem durch-
bohrenden Blick seiner Schwester ab. Eine Plötzliche
Angst spiegelte sich auf seinen Zügen wieder, er mußte
sich mühsam beherrschen, als nun Rosa auf ihn zu-
trat und ihn mit fester Hand fast schmerzhaft am Arme
packte.
„Hanno," sagte Frau Reiherstein laut und drohend,
„hast Du auch den letzten Nothgroschen Deiner Tochter
dem Götzen Spekulation geopfert? Antwort, Hanno,
Antwort!"
. Hartefeld wand sich förmlich unter dem Blick seiner
Schwester, diesem Blick, der etwas Magnetisches an
sich hatte und der ihn schon so oft hatte wahrhaft er-
zittern lassen.
„Rosa, ich bitte Dich," stammelte er, „ich kann
diesen inquisitorischen Ton nicht ertragen, ich bin auch
nicht Willens, mich von Dir wie ein Schulbube be-
handeln zu lassen... Was verpflichtet mich, Dir, ge-
rade Dir Rechenschaft abzulegen über das Vermögen
Ernesta's? Bin ich nicht ihr Vater?"
Frau Reiherstein ließ den Arm ihres Bruders los.
„Gott sei's geklagt — ja, Du bist ihr Vater," rief
sie. „Eitel warst Du auf Deine Tochter, eitel wie der
Besitzer irgend eines schönen, auffallenden Schmnckes,
und in dieser Eitelkeit lag auch Deine ganze Liebe zu
ihr. Du schenktest ihr kostbare Kleider und befriedigtest
widerspruchslos alle ihre Extravaganzen, damit die
Leute sie anstaunen und bewundern konnten, aber um
die Bildung ihres Charakters hast Du Dich nie —
nie gekümmert! Du hattest keine Zeit dazu; ob Deine
Kinder geistig und sittlich verkamen, das war Dir
gleich! In Otty und Ernesta siehst Du die Resultate
Deines egoistischen Strebens, das immer und immer
nur auf das Zusammenscharren von Rcichthum ge-
richtet war! Otty sollte Deine Stütze und Dein Nach-
folger im Geschäfte werden — und was ist aus ihm
geworden? Ein blasirter, unverschämter, arroganter
Geck, ein hirnloser Verschwender — nichts weiter! - Und
Ernesta? Eine Puppe, ohne festen Charakter, ohne
Herz, ohne Lebensmuts). Wenn Du jemals geglaubt
hast, daß sie auch nur einen Funken kindlicher Zu-
neigung für Dich in sich getragen habe, so ist das ein
schwerer Jrrthum. Du bist ihr von jeher gleichgiltig
gewesen, Du warst ihr nie der Vater, sondern immer
nur — der Bankier, von dem sie die Gelder für ihre
Ausgaben erhob. Nimm ihr den Nimbus des Rcich-
thums, versuche sie zum Selbsterwerb zu zwingen, und
sie wird untergehen — wie Du!"
Flammenden Auges schaute Frau Rosa auf ihren
Bruder herab, der bei ihren Worten von Neuem im
Sessel zusammengebrochen war. Der Triumph der
Rache malte sich in entstellenden Linien im Antlitz
dieser Frau — lange hatte sie eine Stunde wie die
heutige herbeigesehnt! Es war ihr Bruder, der da
Der Dämon des Hauses.
Roman
von
F. v. Zobcltitz.
«Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.)
Drciundzwanzigstes Kapitel.
Ä iH Der Dämon des Kaufes.
" dcv H)üre zum Arbeitszimmer des
Bankiers Hartefeld klopfte es leise, dann
huschte geräuschlos die hagere dunkle Ge-
statt der Frau Reiherstein in das Gemach.
„Hanno!"
Die Eintretcnde blieb dicht an der
Thüre stehen und schaute mit einem Gemisch von
«staunen und Schrecken auf die in einem Fauteuil zu-
sammengekauerte, mit Plaids und Decken umhüllte
Greisenfigur.
„Bist Du krank, Hanno?" fragte Frau Reiherstein
und trat einige Schritte näher, so daß sie dem Ban-
kier voll in das gelbe Gesicht sehen konnte, ein Gesicht,
das in diesem Augenblick wie die Todtenlarve eines
Verbrechers erschien.
Hartefeld nickte stumm, und Frau Rosa rollte sich
einen Stuhl heran und ließ sich ihrem Bruder gegen-
über nieder. Auch auf dem steinernen Antlitz dieser
Frau lagen Linien des Kummers, aber ihrem ganzen
Wesen merkte man kaum an, welche seelischen Einflüsse
sie bestürmten. Jede ihrer Bewegungen war ruhig und
abgemessen wie sonst, und ihre Stimme klang fest und kalt,
als sei sie nur der Widerhall eines marmornen Herzens.
„Ich gestehe zu, daß es schwer halten mag, in
diesen ercignißreichen Tagen die alte Ruhe zu bewahren,"
sagte sie und ihr Blick streifte mit Verachtung die Ge-
stalt des vor ihr Kauernden, „aber es ist nothwendig,
und deshalb begreife ich wirklich nicht, wie Du Dich so
ganz aus der Fassung bringen lassen kannst. Nimm' Ver-
nunft an, Hanno — ein Unglück kommt selten allein,
und das, was ich Dir mitzutheilen habe, ist nicht ge-
rade geeignet, als Balsam zu wirken für die Wunden
der letzten Tage."
Hartefeld lachte dumpf auf und zog die Zipfel des
Plaids fröstelnd bis an den Hals heran.
„Nur los, nur los," antwortete er in bitterem
Spott; „es sind so viele Schläge auf mich alten Ambos
gefallen, daß es auf einen Schlag mehr gerade jetzt
auch nicht ankommt! Erzähle doch — Ernesta sendet
Dich, nicht wahr?"
„Ernesta hat sich seit deni Tode Carbe's in ihrem
Zimmer eingeschlossen - selbst mich läßt sie nicht vor.
Jeder Schmerz muß sich austoben, und auch sie wird
sich wiederfinden... Nein, nichts von ihr — Otty
war soeben bei mir und hat mir gebeichtet, daß er
morgen bei Friedberger L ComP. einen Wechsel über
achtzehntausend Mark zu bezahlen hat. Er fürchtete
sich, es Dir zu gestehen und hat mich um Vermittlung
gebeten. Wie es möglich ist, eine derartige Summe in
sechs Wochen durchzubringen — Gott weiß es! Ich
glaube, es wird am besten sein, Du beschneidest dem
leichtsinnigen Vogel ein wenig die Flügel."
„Natürlich, natürlich, das wird am besten sein,"
wiederholte der Bankier, und ein häßliches Lächeln trat
um seinen Mund, „aber — aber wer bezahlt vorläufig
die sechstausend Thaler?"
Frau Rosa fuhr zurück.
„Versteh' ich Dich Recht? Willst Du wegen dieser
Lappalie Deinen geschäftlichen Ruf noch mehr in Ge-
fahr bringen?"
Hartefeld kicherte leise in sich hinein — es klang
wie das Lachen eines Wahnsinnigen.
„Lappalie — Lappalie!" fuhr er in halbem Flüster-
töne fort, „für mich sind gegenwärtig sechstausend
Thaler ein Kapital. Ja, ja, Röschen, so stehen die
Sachen, und Otty wird gut thun, den Koffer zu packen
und nach Amerika abzureisen. Was schaust Du mich
so überrascht, so verwundert an, geliebte Schwester?
Hast Du mir nicht schon längst prophezeit, daß es früher
oder später mit mir ein Ende mit Schrecken nehmen
werde? Nun ist das Ende da, und früher, als ich er-
wartet hatte!"
„Willst Du Dich nicht etwas klarer ausdrücken,
ich habe Dich bis jetzt nur halb verstanden. Daß nicht
Alles ist, wie es sein soll, war mir seit Monaten nichts
Neues, aber —"
„Aber Du glaubtest immer noch, die Spitzbuben-
natur in mir würde endgültig siegen über alle die großen
und kleinen Fatalitäten, die mich seit Begründung der
Darlehenskasse wahrhaft überfluthet haben!" Der Ban-
kier sprang plötzlich auf und warf die Decken von sich.
„O, warum war ich auch solch' ein Esel, ein Unternehmen
in's Leben zu rufen, das mich ruiniren mußte!"
„Selbsterkenntniß ziert den Mann," bemerkte Frau
Rosa boshaft; „Du hättest Dir auch vorher sagen können,
was Du jetzt erst cinzusehcn scheinst."
Das Buch für Alle.
„Meine Voraussetzungen waren falsch," gab der
Bankier fast schreiend zurück, und seine Augen funkelten
vor Haß. „Wäre das Offizierscorps und die Aristo-
kratie mir entgegengekommen, wie ich hoffte, dann wären
die Erfolge auf beiden Seiten nicht ausgeblieben. Das
unbesiegbare Mißtrauen dieser Gesellschaft aber hat
mich zu Grunde gerichtet. Ich will nicht lügen — die
Darlehenskasse sollte mir in gewisser Hinsicht nur Mittel
zum Zweck sein; sie sollte mein Renommee erhöhen und
mein Bankgeschäft in Flor bringen, sollte mir Kapitalien
in die Hände spielen und mich befähigen, mit größeren
Summen spekulativ vorzugehen — eitle Hoffnungen!
Einige haben angebissen, einige wenige — und diesen
Wenigen haben die von den Hagens ausgesprengten
albernen Gerüchte einen derartigen Schrecken cingejagt,
daß ich jetzt Kündigungen über Kündigungen erhalte.
Da" — Hartefeld schlug mit der Hand auf den Arbeits-
tisch — „eben erst schreibt mir der reiche Ungar vom
Garde-Husaren-Regiment, daß er seine Deposita mit
dem Quartalswechsel anderweitig zu verwerthen be-
absichtige... und zu alledem kommt auch noch dieser
Wisch — da, lies!"
Hartefeld reichte seiner Schwester einen großen thon-
gelben Bogen mit eingepreßtem Wappen.
„Euer Wohlgeboren muß ich zu meinem Bedauern
benachrichtigen," so las Frau Rosa „daß ich in An-
betracht der zwischen uns bereits erörterten Verhält-
nisse beim besten Willen nicht mehr in der Direktion
der Darlehenskasse verbleiben kann; ich bitte also, dies
als Bescheinigung meiner definitiven Austrittserllärung
anzusehen. Zu gleicher Zeit bin ich — ebenfalls im
Verfolg unserer letzten Unterredung — genöthigt, Ihnen
die Bergersdorfer Hypotheken zu kündigen. Der Termin
läuft erst am ersten Januar kommenden Jahres ab,
doch würde es mir, da ich die Verwaltung Bergers-
dorfs gerne möglichst bald wieder selbst übernehmen
möchte, angenehm sein, wenn Sie mir schon vorher die
Auszahlung der Kapitalien, respektive den Ausgleich
auf Grund Ihrer Rechnungsbelege über die unter Ihrer
Administration aus dem Gute gezogenen Reineinnahmen
gestatten wollten. Ich bitte um diesbezügliche gefällige
Entgegnung und werde dann meinen juristischen Be-
vollmächtigten mit Anweisungen versehen.
Ergebenst Johannes Graf Artburg."
Frau Rosa hob den über das Papier gesenkten
Kopf.
„Kühl bis an's Herz hinan," meinte sie spöttisch,
„aber das kann Dir ja gleich sein. So viel ich weiß,
find die Hypothekenschulden auf Bergersdorf ziemlich
bedeutend — will also Graf Artburg die Einlösung
bewirken, so mußt Du doch Gelder in die Hände be-
kommen, um damit laviren zu können.. ."
„Jawohl, jawohl," nickte der Bankier, „das wäre
richtig, wenn — nun, wenn sich eben diesmal nicht der
Fuchs in der eigenen Schlinge gefangen hätte! Die
Sache liegt einfach so, daß Spengler, der Oberinspektor
von Bergersdorf, abgesehen davon, daß er auf meine
Veranlassung die Reineinnahmen höher angegeben hat
als wirklich der Fall —"
„Ah," fiel Frau Rosa dem Bruder anscheinend er-
staunt in's Wort, „und weshalb das?"
„Weshalb? — Nun, ich glaube, Du wirst es ebenso
gut wissen, wie ich selbst, trotzdem Du Dich mit Vor-
liebe als die personificirte Unschuld gerirst. Hätte ich
nicht von vorn herein die Absicht gehabt, Bergersdorf
ganz und gar an mich zu bringen, so würde ich Art-
ourg's faule Hypotheken nie genommen haben; schwer-
lich hätte ich auch einem Spitzbuben wie Spengler die
Verwaltung des Gutes übertragen, wenn mir nicht daran
gelegen gewesen wäre, durch übertriebene Berichte den
Grafen von der Vortrefflichkeit meiner Administration
zu überzeugen. Ich wollte dadurch in erster Linie be-
zwecken, daß Artburg feine aristokratische Nase von den
Bergersdorfer Verhältnissen fern hielt. Nun hat aber
der schurkische Inspektor auf eigene Hand Unter-
schlagungen und Durchsteckereien in großartigem Maß-
stabe betrieben; ich muß für diese Ausfälle aufkommen,
denn der Halunke droht mir, andernfalls mit kom-
promittirenden Aussagen in jener unglückseligen Explo-
sionsgeschichte — Du weißt ja — hervorzutreten . . ."
„Ich weiß, ich weiß, die Explosion in der Brennerei
sollte der schnellen Amortisirung der Hypothekenkapitalien
ein Paroli biegen, der Graf sollte gezwungen werden,
neue Anleihen aufzunehmen — bei Dir natürlich, da
er so gut wie kreditlos war! Das Fatale ist nur, daß
es mit der Kreditlosigkeit Artburg's doch nicht so
schlimm gewesen sein muß, daß sich doch Jemand ge-
funden hat, der ihm willig die nöthigen Gelder vor-
streckte."
„Der Henker weiß, wer auf die Bitte des Grafen
hereingefallen ist!" rief Hartefeld wüthend. „Ein ver-
nünftiger Geldmann keinenfalls, dazu ist das Renom-
mee, in das Bergersdorf durch die Verbindung mit
meinem geehrten Namen und endgiltig noch durch die in
die Luft geflogene Spiritusbrennerei gerathen ist, ein
viel zu verdächtiges! Vielleicht hat irgend ein reicher
Standesgenosse, einer meiner persönlichen Gegner, dem
Grafen unter die Arme gegriffen und mir damit die
W 12.
letzten rettenden Balken unter den Füßen fortgezogen.
Hole sie Alle der Kukuk, Artburg und seine gesummte
Freundschaft dazu!"
„Ich fürchte, der Kukuk hat sich andere Opfer als
den Grafen und seine Freunde ausgesucht," bemerkte
Frau Rosa kalt. „Vom Standpunkte der Menschlich-
keit aus — ein Postament, auf das D u freilich nicht
allzu gerne trittst — ist Artburg nur Glück zu wünschen,
daß er sich Deinen liebevollen Umarmungen ein- für
allemal zu entziehen versucht. Es muß freilich recht
unangenehm für Dich sein, den ausgestreckten Spieß
auf einmal gegen die eigene Brust gewendet zu sehen,
aber man erntet doch schließlich nichts Anderes als
das, was man ausgesäet hat — Du, der Du fv nahe
am Rittergutsbesitzer warst, hättest das eigentlich wissen
müssen."
„Mir fehlt die^Stimmung, auf Deine Sticheleien
einzugehen, Rosa, ich bitte Dich aber, zu berücksichtigen,
daß, wenn mein Name an den Pranger geschlagen
wird, auch der Deine nicht fleckenlos bleibt, denn Du
bist meine Schwester! Ich bitte Dich auch zu berück-
sichtigen, daß, wenn ich untergehe, Du nicht auf der
Oberfläche bleibst, da ich es war, der Dich seit Jahren
ernährt und beköstigt hat. Wovon willst Du leben,
wenn ich nicht mehr bin, wovon soll Ernesta fürderhin
ihre nicht immer ganz anspruchslosen Wünsche befrie-
digen, wenn ihr die väterliche Börse nicht mehr wie
sonst zur Verfügung steht?"
Frau Rosa stand auf; sie zitterte und der bleiche
Ton ihrer Wangen war noch um eine Schattirung
Heller geworden.
„Du hast die Frage nicht richtig formulirt," sagte
sie mit tiefer, grollender Stimme, „Du hättest fragen
sollen« wovon willst Du leben, Rosa, da ich Dich
doch Deines Ernährers beraubt habe? So hätte Deine
Frage der Wahrheit gemäß lauten müssen, nicht an-
ders. Deine liebevolle Sorge um mich wie um Ernesta
scheint mir übrigens überflüssig. Meine Hände sind
immer noch kräftig genug, mich selbst zu erhalten, und
Ernesta besitzt ja von Deiner ersten Gattin ein kleines
Kapital, das sie wenigstens der Sorgen des täglichen
Lebens überhebt. Du selbst hast, wenn ich nicht irre,
dies Vermögen verwaltet."
„Jawohl — allerdings — das habe ich," stotterte
Hartefeld, und er wandte das Auge von dem durch-
bohrenden Blick seiner Schwester ab. Eine Plötzliche
Angst spiegelte sich auf seinen Zügen wieder, er mußte
sich mühsam beherrschen, als nun Rosa auf ihn zu-
trat und ihn mit fester Hand fast schmerzhaft am Arme
packte.
„Hanno," sagte Frau Reiherstein laut und drohend,
„hast Du auch den letzten Nothgroschen Deiner Tochter
dem Götzen Spekulation geopfert? Antwort, Hanno,
Antwort!"
. Hartefeld wand sich förmlich unter dem Blick seiner
Schwester, diesem Blick, der etwas Magnetisches an
sich hatte und der ihn schon so oft hatte wahrhaft er-
zittern lassen.
„Rosa, ich bitte Dich," stammelte er, „ich kann
diesen inquisitorischen Ton nicht ertragen, ich bin auch
nicht Willens, mich von Dir wie ein Schulbube be-
handeln zu lassen... Was verpflichtet mich, Dir, ge-
rade Dir Rechenschaft abzulegen über das Vermögen
Ernesta's? Bin ich nicht ihr Vater?"
Frau Reiherstein ließ den Arm ihres Bruders los.
„Gott sei's geklagt — ja, Du bist ihr Vater," rief
sie. „Eitel warst Du auf Deine Tochter, eitel wie der
Besitzer irgend eines schönen, auffallenden Schmnckes,
und in dieser Eitelkeit lag auch Deine ganze Liebe zu
ihr. Du schenktest ihr kostbare Kleider und befriedigtest
widerspruchslos alle ihre Extravaganzen, damit die
Leute sie anstaunen und bewundern konnten, aber um
die Bildung ihres Charakters hast Du Dich nie —
nie gekümmert! Du hattest keine Zeit dazu; ob Deine
Kinder geistig und sittlich verkamen, das war Dir
gleich! In Otty und Ernesta siehst Du die Resultate
Deines egoistischen Strebens, das immer und immer
nur auf das Zusammenscharren von Rcichthum ge-
richtet war! Otty sollte Deine Stütze und Dein Nach-
folger im Geschäfte werden — und was ist aus ihm
geworden? Ein blasirter, unverschämter, arroganter
Geck, ein hirnloser Verschwender — nichts weiter! - Und
Ernesta? Eine Puppe, ohne festen Charakter, ohne
Herz, ohne Lebensmuts). Wenn Du jemals geglaubt
hast, daß sie auch nur einen Funken kindlicher Zu-
neigung für Dich in sich getragen habe, so ist das ein
schwerer Jrrthum. Du bist ihr von jeher gleichgiltig
gewesen, Du warst ihr nie der Vater, sondern immer
nur — der Bankier, von dem sie die Gelder für ihre
Ausgaben erhob. Nimm ihr den Nimbus des Rcich-
thums, versuche sie zum Selbsterwerb zu zwingen, und
sie wird untergehen — wie Du!"
Flammenden Auges schaute Frau Rosa auf ihren
Bruder herab, der bei ihren Worten von Neuem im
Sessel zusammengebrochen war. Der Triumph der
Rache malte sich in entstellenden Linien im Antlitz
dieser Frau — lange hatte sie eine Stunde wie die
heutige herbeigesehnt! Es war ihr Bruder, der da