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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 20.1885

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Heft 13
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https://doi.org/10.11588/diglit.61341#0288
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Das Buch für Alle.

LW

Lfeft 1:;.

stand er auf und ging auf den Fußspitzen leise durch
das Zimmer, er öffnete geräuschlos die Thüre und
schlich ebenso vorsichtig durch den Korridor, um dem
Klingelnden zu öffnen.
„Ah, Du bist's, Junghans! Was willst Du?"
fragte er mit einem mürrischen Ton, der deutlich aus-
sprach, daß ihm der Besuch nicht willkommen sei.
Der so unfreundlich Angeredete war ein mit schäbi-
ger Eleganz gekleideter kräftiger Mann von vielleicht
vierzig Jahren. Er ließ sich durch den mürrischen
Empfang nicht zurückschreckcn. „Ich habe nothwendig
mit Dir zu sprechen, Schugnitz," sagte er, sich den
struppigen rothen Schnurrbart aus dem Mund streichend
und dann mit einem Spazierstöckchen sich auf den Stiefel
klopfend. „Mach' Platz, daß ich eintreten kann. Es
könnte Jemand die Treppe herauf kommen. Je weniger
Leute sehen, daß ich Dich besuche, desto besser ist es.
Nun, was stehst Du da wie ein Stock, ich muß Dich
sprechen."
„Heute nicht, komm morgen wieder."
„Unsinn! Heute bin ich hier. Was morgen Passirt,
kann Niemand wissen. Weshalb heute nicht?"
„Es ist keine Hoffnung, sie wird den Abend nicht
erleben, hat der Doktor gesagt!"
„Armes Kind!" Es klang ein Ton des Mitleids
bei diesem Ausruf durch die rauhe Stimme, dann aber
fuhr der mit dem Namen Junghans Angeredete fort:
„Es thut mir leid, Schugnitz, aber es hilft nichts,
sprechen muß ich Dich doch, die Sache ist zu wichtig."
„Sie schläft, ein lautes Wort würde sie erwecken."
„Ich will flüstern und auf den Zehen schleichen.
Ich "verspreche Dir, sie nicht zu erwecken, aber fort-
schicken lasse ich mich nicht. Zuni Donnerwetter, mach'
mir endlich Platz; ich habe nicht Lust, hier draußen
zu stehen! Wenn ich sage, es muß sein, dann muß
es sein!"
„Nun, dann komm! Aber ich sage es Dir, wenn
Du ein lautes Wort redest, wenn Du sie störst oder
erweckst, dann schlage ich Dir den Schädel ein."
Er ließ den Besucher ein und schloß hinter diesem
die Thüre, dann ging er ihm voran aus den Fuß-
spitzen durch den Korridor nach der Stube, Junghans
folgte ihm, sein Versprechen erfüllend, ebenso leise und
vorsichtig.
„Setz' Dich," flüsterte Schugnitz, einen Stuhl an
den in der Mitte des Zimmers stehenden Tisch rückend
lind sich dann ebenfalls an diesen setzend. „Iß, wenn
Du noch nicht gegessen hast, da steht mein Mittag-
brod noch. Ich kann keinen Bissen essen, nur
trinken!"
Er ergriff die auf dem Tisch stehende Branntwein-
flasche, füllte ein großes Glas und stürzte dann den
feurigen Branntwein mit einem einzigen Schluck hin-
unter, während Junghans, der formlosen Einladung
folgend, sich eifrig über das stehen gebliebene Mittag-
brod machte und mit außerordentlicher Geschwindigkeit
die große mit Erbsen, Sauerkraut und Schweinsohren
gefüllte Schüssel leerte. Schugnitz achtete nicht weiter
auf ihn, er versank wieder in sein finsteres Brüten.
Erst nachdem die Schüssel vollständig geleert war,
schob Junghans sie fort; bisher hatte daS Essen seine
ganze Aufmerksamkeit gefesselt, jetzt aber betrachtete er
kopfschüttelnd seinen stier vor sich niederschauenden
Freund. „Wach auf, Schugnitz!" fagtc er, die Hand
auf dessen Arm legend. „Woran denkst Du wieder?"
„Keine Hoffnung!" murmelte Schugnitz mit ton-
loser Stimme.
„Nun ja, das ist traurig, sehr traurig! Das arme
junge Ding thut mir auch leid! Sie war solch' hübsches,
freundliches Mädchen! Aber was hilft's! Ein Kerl
wie Du darf deshalb den Kopf nicht verlieren, Dir
fällt doch sonst das Herz nicht gleich in die Strümpfe!
Also Kopf hoch, Schugnitz, wir Beide haben jetzt An-
deres zu thun, als den Kopf hängen zu lassen. Der
Professor hat mir wieder ein Geschäft aufgetragen,
deshalb komm ich zu Dir."
„Ich will nichts von Geschäften wissen, so lange —"
er vollendete den Satz nicht, er verschluckte die letzten
Worte und biß sich auf die Lippen.
„Es ist ein nichtsnutziges, faules Geschäft," fuhr
Junghans, ohne die Einrede zu beachten, fort. „Weißt
Du, Schugnitz, ich glaube, dieser Professor wird mich
betrügen, wie er Dich schon betrogen hat, er wird mich
auch in's Unglück bringen!"
„Was willst Du damit sagen?"
„Ich traue dem glatten Schuft nicht! Es ist wahr,
er bezahlt gut, und ich könnte mich eigentlich über ihn
nicht beklagen; aber ich traue ihm nicht. Was hat
ihm der Baron gethan?"
„Welcher Baron?"
„Nun, der Baron, der mit uns war, als wir in
der Potsdamerstraße —" er unterbrach sich, indem er
sich ein Glas mit Branntwein füllte und es schnell
leerte, dann fuhr er fort: „Er sagte, der Baron wolle
,Pfeifen', er sei ein Vigilant und werde uns Alle, ihn
selbst, Dich und mich verrathen. Aber das weiß ich
besser, kein Wort davon ist wahr, auf uns Beide kann
der Baron gar nicht .Pfeifen', er kennt uns ja nicht

einmal. Was er mit dem sauberen Professor vor hat,
mag der Kukuk wissen. Wenn der Alte ihn los sein
will, mag er doch selbst das Geschäft besorgen, dazu
aber ist er zu feige. Und nun soll ich ihm die Ka-
stanien aus dem Feuer holen. Aber ich traue dem
Alten nicht, ich habe keine Lust zu dem Geschäft, es
ist zu gefährlich. Und außerdem. Du weißt, ich habe
kein Butterherz. Wenn ich bei der Arbeit überrascht
werde, dann gilt es Leben um Leben, dann kenne ich
kein Mitleid; aber Einem, mit dem ich zusammen ge-
arbeitet habe, in der Nacht aufzulauern, ihm dann
von hinten eins auf den Kopf zu geben, das will mir
nicht gefallen."
„Was hast Du denn? Ich verstehe Dich nicht!"
„Nun, das Kurze vom Langen ist, der Professor
will den Baron los werden. Er war eben bei mir
und hat mir aufgetragen, ich soll ihm das besorgen,
je eher, je lieber. Ich habe es ihm versprochen. Hun-
dert Thaler will er daran wenden und das ist ein
Haufen Geld. Aber als er fort war und ich mir die
Sache überlegte, wollte mir das Geschäft nicht gefallen.
Es kann den Hals kosten! Man kann nie wissen, wie
solche Geschichte abläuft. Und wenn ich gefaßt werde
und sage, der Professor hat es mir aufgetragen, was
nützt mir das? Außerdem aber traue ich ihm nicht.
Ich weiß schon jetzt zu viel von ihm. Ich traue ihm
zu, daß er mich auch um die Ecke bringt, um mich
los zu werde», wie er es mit dem Baron thun will
und mit Deinem Lieschen gethan hat. Wenn er kein
Mitleid mit dem armen jungen Ding gehabt hat, wird
er mit mir altem Kerl gewiß keines haben."
Schugnitz hatte bisher die verwirrten Worte seines
Kameraden nur mit halber Aufmerksamkeit angehört,
jetzt aber ging ihm plötzlich ein Verständniß dessen
auf, was Junghans andeutete. Mit beiden Fäusten
packte er den vor ihm stehenden Tisch, dann beugte er
den Oberkörper weit vor und mit stierem Blick Jung-
hans anschauend fragte er, kauni fähig, die furchtbare
Erregung zu bewältigen, in welcher er sich befand: „Er
hat kein Mitleid mit Lieschen gehabt? Was willst
Du damit sagen?"
Junghans schüttelte den Kopf, und den Freund mit
einem mitleidigen Blick anschauend, sagte er: „Bist Du
; denn ganz und gar blind ? Ich bin fest überzeugt, der
Schurke hat Deinem Lieschen ein Mittelchen eingegeben,
damit das arme Kind ihn und sich selbst nicht ver-
! rathen kann!"
Mit starren, weit geöffneten Augen schaute Schug-
nitz den Sprechenden an, jedes Wort drang ihm tief
in's Herz. Er fühlte sich Plötzlich schwach und matt,
seine Glieder zitterten, seine Lippen bebten, kraftlos
sank er auf seinen Sessel zurück, im nächsten Moment
aber sprang er auf. „Geh," sagte er mit rauher Stimme,
„geh, laß mich allein mit ihr."
„Du hast mir noch nicht gerathen, was ich thun
soll. Ich habe keine rechte Lust zu dem Geschäfte."
„Thu, was Du willst, was geht cs mich an. Jetzt
Pack' Dich!"
Kopfschüttelnd gehorchte Junghans, er schlich sich
fort, an der Thüre grüßte er noch einmal zurück; aber
sein Gruß blieb unerwiedert, Schugnitz saß schon wie-
der am Bette der Kranken, deren Hand er in der sei-
nigen hielt, während er starren Blickes niederschaute
auf das bleiche leblose Angesicht. Als er so neben ihr
saß, da gedachte er ihrer, wie sie als liebliches gold-
lockiges Kind zu seinen Füßen gespielt hatte. Dies
Kind war sein Herzblatt gewesen, er hatte es geliebt
mit ganzer Seele. Seine zanksüchtige, keifende Frau,
die ihm täglich bittere Vorwürfe darüber machte, daß
er nicht Geld genug verdiene, daß er Weib und Kin-
der darben lasse, haßte er fast, auch für die älteste
Tochter Luise, das Ebenbild der Blutter, wie diese
zänkisch und widerwärtig, fühlte er keine Zuneigung,
alle die besseren Gefühle seines Herzens konzentrirten
sich in der Liebe zu dem holden, reizenden Kind.
Für sein Lieschen wünschte er reich zu sein. Er
war ein geschickter Schlosser; aber ein solcher kann nur
dann zu Vermögen kommen, wenn er selbstständig in
eigener Werkstatt arbeitet, der Geselle ist auf den
Wochenlohn angewiesen und bringt es selten weit.
Die Versuchung war oft an den geschickten Schlosser
herangetreten, mit leichter Arbeit in wenigen Stunden
mehr Geld zu verdienen, als in der ganzen Woche in
der Werkstatt des Meisters. Junghans, sein alter
Freund, der bei Weitem nicht so geschickt war, wie er,
hatte immer Geld, obgleich er in Saus und Braus
lebte. Wie ost hatte ihn Junghans ausgelacht über
seine thörichte Gewissenhaftigkeit, wie oft hatte ihm
auch seine Frau gesagt, daß er ein elender Feigling
sei, der nichts wagen wolle und lieber Weib und
Kinder im Elend verkommen lasse, als daß er sich einer
Gefahr aussetze.
Dem Drängen und Mahnen der Frau hatte er
Jahre lang Widerstand zu leisten vermocht, aber deni
brennenden Wunsche, mehr Geld zu verdienen, um für
sein Lieschen sorgen zu können, vermochte er nicht zu
widerstehen.
Er gab dem Drängen des Freundes nach, er that

den ersten Schritt auf dem Wege des Verbrechens.
Und dann ging es weiter, immer weiter und mit glän-
zenden Erfolgen.
Er hatte bald Geld genug gewonnen, um eine eigene
Schlosserwcrkstatt einzurichten, und da er eine vortrefs-
! liche Arbeit lieferte, gewann er schnell zahlreiche Kun-
! den. Er verdiente viel Geld durch redliche Arbeit,
mehr aber noch in dem dunkeln, nächtlichen Treiben,
! von welchem er nicht mehr lassen konnte, seitdem er
demselben einmal verfallen war.
Jetzt konnte er sorgen für fein Lieschen, wie er es
j gewünscht hatte, das Kind kleiden, wie eine kleine Prin-
! zessin, ihm jeden Wunsch erfüllen, die theuersten Spiel-
j fachen kaufen und doch noch Geld zurücklegen für die
Zukunft.
Das Glück blieb ihm mehrere Jahre treu, sein Ge-
schäft vergrößerte sich und wurde immer einträglicher,
es stand im besten Rufe. Niemand ahnte, daß der
wohlhabende, viel beschäftigte, seine Kunden stets auf
das Beste und Reellste bedienende Schlossermeister Schug-
nitz Theil habe an einer Reihe mit seltener Verwegen-
heit und seltenem Geschick ausgeführter nächtlicher Ein-
brüche, durch die mehrere Jahre hindurch die Berliner
Polizei in die höchste Aufregung versetzt wurde, weil
ihr jede Spur der Verbrecher fehlte.
Er vertraute auf sein Glück; aber plötzlich brach
es zusammen.
Als er die Schutzmänner unter der Führung eines
Kriminal-Polizeibeamten in seine Werkstatt treten sah,
da wußte er, daß er verloren sei, dem Zuchthaus ver-
fallen auf viele, viele Jahre. Nur durch den Tod
könnte er sich dem entsetzlichen seiner harrenden Schick-
sal entziehen. In dem nur durch eine Thüre von der
Werkstatt getrennten Wohnzimmer lag im Schreib-
sekretär der geladene Revolver. Ehe die Schutzmänner
es verhindern konnten, hatte er mit einem gewaltigen
Sprunge die Thüre erreicht, sie geöffnet und hinter sich
verriegelt. Im nächsten Moment stand er vor dem
Schreibsekretär, hielt den Revolver in der Hand und
erhob ihn zum tödtlichen Schuß.
Da tönte eine zarte Kinderstimme an sein Ohr:
„Papa!" Nur das eine Wort sprach Lieschen aus.
Das Kind saß auf dem Fußboden, es spielte mit seiner
Puppe. Verwundert schaute es zu dem Vater auf,
der, ohne es zu beachten, an ihm vorüber gestürmt war.
Die erhobene Hand, welche den Revolver hielt, sank
schlaff herab. In Gegenwart des Kindes konnte er das
Schreckliche nicht thun. Er beugte sich nieder zu der
Kleinen, er hob sie zu sich empor und küßte sie mit
stürmischer Zärtlichkeit. Nur ein Gedanke erfüllte ihn
in diefem Augenblick mit namenlosem Schmerz, der,
daß er von ihr scheiden müsse für viele, viele Jahre,
aber nicht für immer! Die Liebe zu dem Kinde gab
ihm den Muth zum Leben.
Als die Polizeibeamten, nachdem sie die Thüre zer-
trümmert hatten, in das Wohnzimmer drangen, fanden
sie ihn, mit dem Kind in seinen Armen, ruhig und
gefaßt. Er leistete ihnen keinen Widerstand , als sie
ihm Fesseln anlegten und ihn fortführten.
Zehn Jahre waren dann vergangen, zehn lange,
furchtbare Jahre im Zuchthaus! Er hatte sie über-
lebt, die Hoffnung, sein Lieschen wieder zu sehen, hatte
ihm die Kraft gegeben, das Entsetzliche zu ertragen.
Das Bild des holden, lieblichen Kindes umschwebte
ihn bei der harten Arbeit; wenn er verzweifeln wollte,
dann meinte er eine sanfte, zarte Kinderstimme zu
hören, die ihm Trost zusprach, ihn mahnte, auszu-
harren bis zum Wiedersehen. Er gelobte, wenn er
wieder frei sein werde, nur seinem Kinde zu leben.
Und sie gingen vorüber, die zehn Jahre, er war
frei, er durfte zurückkehren, um sein geliebtes Kind
wieder zu sehen.
Ein liebliches, reizendes Kind hatte er vor zehn
Jahren verlassen, ein schönes, eben zur Jungfrau er-
blühendes Mädchen fand er wieder. Aber in welcher
entsetzlichen Umgebung fand er seinen Liebling!
In einer entfernten Vorstadt, im Hinterhanse einer
nur vom schmutzigsten Proletariat bewohnten Mieths-
kaserne lag die dunkle, dumpfige Kellerstube, in welcher
Frau Schugnitz mit ihren beiden Töchtern eine jammer-
volle Heimstätte gefunden hatte. Die Mutter war in-
folge eines wüsten Lebens unheilbar krank, die Todes-
rosen blühten auf ihren Wangen, ihre Tage waren ge-
zählt; aber trotzdem hatte sie sich ausgeputzt mit
schmutzigem Flittertand, um ihre älteste, ebenso geputzte
Tochter Luise zu einem Ball nach einem vorstädtischen,
berüchtigten Vergnügungslokale zu begleiten. Neben
diesen Beiden erschien Elise in ihrem ärmlichen, ein-
fachen, vielfach geflickten Kleide wie ein Engel des
1 Lichtes; wie das Bild holder, reiner Jungfräulichkeit.
Schon ehe der vom Zuchthaus Heimkehrende in die
! dunkle Kellerstube trat, hörte er in derselben ein lautes
Schelten und Zanken. Er kannte die keifende Stimme,
es war die seiner Frau. Er blieb stehen, um zu lau-
schen. Schmutzige Schimpfworte tönten an sein Ohr,
die Mutter schalt Elise, weil sie sich weigerte, die
Schwester ebenfalls zu begleiten.
Die rohen, seinem Lieblinge geltenden Drohungen
 
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