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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 20.1885

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Heft 14
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314

Glauben an den Verkehr mit dem theuren Dahin-
geschiedenen, und auch dieser Glaube sollte ihr geraubt
werden, denn der Professor war ja der Vermittler des
Verkehrs mit dem Geisterreiche, und Wenn er ein Be-
trüger war, dann beruhten die Geisteroffenbarungen
ebenfalls auf Betrug, dann brach Alles zusammen,
was sie geglaubt hatte.
Nein, nein, nimmermehr! Mochte immerhin das
Werkzeug, welches den Verkehr mit der Geisterwelt
vermittelte, ein nichtswürdiges fein, die -Offenbarungen
der Geister hatte er doch vermittelt. Wußte der Pro-
fessor gestern, was sie in Gedanken den Geist des theu-
ren Gatten fragte? Er konnte es nicht ahnen, und
doch gab der Geist die erwartete Antwort, diese Ant-
wort, die für alle Anwesenden unverständlich war, die
abex die Gattin verstand, diese Antwort, die der Pro-
fessor anfangs für unecht erklärt und erst gezwungen
als eine wirkliche Geisterantwort anerkannt hatte, diese
Antwort, die geschrieben war mit den ihr so vertrauten
und lieben Schriftzügen. Der Professor mochte ein
Schwindler und Betrüger sein, aber seine Lehren waren
lauteres Gold; in heiliger Stunde waren ihr dieselben
bestätigt worden durch den, den sie noch im Tode mehr
als Alles in der Welt liebte! Sie hielt.es aber für
ihre Pflicht, nun auch der kleinen Generalin die Augen
über den Professor zu öffnen, und sie that dies in ein-
fachen ruhigen Worten, welche die junge Frau aber
trotzdem auf's Höchste erregten.
„Wer sollte glauben," rief sie, „daß solch' lieber,
guter Mensch so bodenlos schlecht ist! Aber ich werde
es ihm in s Gesicht sagen, nur Eines darf nicht ge-
schehen, gnädige Frau: Gerhardt darf nichts da-
von erfahren. Er würde wüthend werden, und dann
weiß er gar nicht, was er thut. Noch besser ist es
daher, ich empfange den Professor einfach nicht mehr,
wenn er sich wieder melden läßt. Und nun, liebe
gnädige Frau, muß ich fort, sonst wird Gerhardt böse,
wenn ich zu spät wieder komme. Wollen Sie mir
nun noch eine rechte Wohlthat erweisen, dann erlauben
Sie mir, daß ich Sie wieder einmal besuchen darf,
wenn mir das Herz so recht schwer und voll ist! Ich
muß doch einen Menschen haben, dem ich mein Leid
klagen kann, und der mich tröstet. Ach, es ist recht
traurig, daß der Professor so schlecht ist, bei ihm fand
ich doch einen liebevollen Trost! Nicht wahr, ich darf
wieder zu Ihnen kommen?
„Kommen Sie so oft wie möglich. Sie sollen mir
immer willkommen sein!"
Die kleine Frau küßte der Baronin dankbar die
Hand, Helene umarmte sie, dann eilte sie fort, voll
Angst, daß sie wohl schon zu lange geblieben sei, und
daß der strenge Gatte sie mit Vorwürfen und Schelt-
worten empfangen werde.
22.
Die kleine Generalin hatte, von Helene begleitet,
kaum das Zimmer verlassen, als der Baronin durch
den alten Walter schon ein zweiter Besuch gemeldet
wurde und zwar der des Geheimraths Ritter. Will-
kommener war der Baronin wohl der Geheimrath
selten gewesen, als in diesem Augenblick. Sic fürchtete
sich vor dem Alleinsein mit Helene, die der Generalin
das Geleit gab und in jedem Augenblick zurückkehrcn
mußte, noch war sie selbst nicht einig mit sich über
ihr ferneres Verhalten zu dem Professor, noch schwankte
sie in der Verachtung gegen den Menschen und in der
Verehrung gegen die Lehre, deren Prophet er war, noch
wußte sie nicht, was sie Helene sagen sollte, deren
Unglaube durch die Erzählung der Generalin eine
mächtige Stütze erhalten haben mußte, da war ihr denn
jede Verzögerung einer vertraulichen Aussprache ange-
nehm und freudig begrüßte sie daher den Geheimrath,
doppelt freudig, als er ihr schon beim Eintritt in das
Zimmer die Briefmappe entgegenhielt, deren Verlust
ihr so großen Schmerz verursacht hatte.
„Da bringe ich Ihnen Ihren Schatz," sagte er, sehr
vergnügt der Baronin die Mappe übergebend und sich
dann behaglich in den Sessel neben dem Sopha nieder-
lassend. „Heute Morgen ist sie mir gegen die ver-
sprochene Belohnung übergeben worden. Sehen Sie
nach, gnädige Frau, ich hoffe, es wird Ihnen kein
wichtiges Schriftstück fehlen."
„Haben Sie die Papiere durchgesehen, lieber Ge-
hcimrath?" fragte die Baronin, die Mappe öffnend
und mit freudig verklärtem Gesicht die Briefe durch-
blätternd.
„Ja, aber nur oberflächlich, nur um zu sehen, ob
der Inhalt auch der richtige sei."
„Sie hätten ruhig diese sämmtlichen Schriftstücke
lesen können, für Sie enthalten sie kein Geheimniß,
weder die Briefe meiner armen Helene, noch die letzten
Aufzeichnungen meines Karl, die für mich so werth-
voll und bindend gewesen sind, wie ein rechtsgiltiges
Testament, die aber, mich ausgenommen, für keinen
Menschen auf der weiten Welt irgend ein Interesse
haben können."
„Das möchten wir nun doch so schroff nicht hin-
stellen," erwiederte der Geheimrath trocken. „Ich kann

Das Buch für Alle.

mir recht Wohl denken, daß diese sämmtlichen Papiere
für einen anderen Menschen ebenfalls ein recht erheb-
liches Interesse haben können."
„Wer in aller Welt sollte dies sein."
„Vielleicht Jemand, der sich für Sie ganz beson-
ders interessirt. Nehmen wir an, es gäbe einen Men-
schen, dem es darauf ankommt, einen Blick in eine
dunkle Zeit Ihres Lebens zu werfen, der aus der
Kenntniß eines Familiengeheimnisses Vortheil zu
ziehen hofft, würden für einen solchen Menschen nicht
die Briefe der armen Helene an ihre Mutter und der
letzte Wille des Herrn Baron v. Merzbach sehr werth-
voll sein?"
Die Baronin schaute den Geheimrath forschend an.
„Wollen Sie mit diesen räthselhaften Worten andeu-
ten, daß die Papiere zu dem von Ihnen angegebenen
Zwecke geraubt worden sind? Das ist ja undenkbar,
sie würden dann nicht zurückgegeben worden sein."
„Vielleicht haben sie schon ihren Zweck erfüllt.
Vielleicht ist Abschrift von ihnen genommen worden,
oder es hat die Durchlesung genügt, um Ausschluß zu
geben über das Geheimniß, welches in einer halb-
vergessenen Zeit ruht. Weshalb sie dann noch behal-
ten? Tausend Mark sind eine hübsche Summe, die
irgend ein Abenteurer und Schwindler nicht leicht
schießen läßt, wenn er sie verdienen kann, nachdem er
schon seine anderweitigen Absichten erfüllt hat."
Tausend Mark! Genau diese Summe hatte der
Professor sich zweimal, auf das Mitleid von zwei
gläubigen Frauen spckulirend, erschwindelt. Ja, der
Professor hatte ein Interesse daran, in die Geheimnisse
der Familien, in denen er spiritistische Wunder wirkte,
cinzudringen.
Mit stockender, bebender Stimme fragte die Baronin:
„Haben Sie irgend einen bestimmten Verdacht, Herr
Geheimrath? Ich bitte Sie, sprechen Sie sich offen
aus. Solch' unklarer, unbestimmter Verdacht beun-
ruhigt und Peinigt mich."
„Denken Sie selbst näher über die Sache nach,
gnädige Frau, ich habe kein Recht, Ihnen mehr zu
sagen. Ich habe mein Wort gegeben, den Urhebern
des Einbruches nicht weiter nachzuforschen, wenn sie
mir nur die Mappe unversehrt wieder zurückbringen.
Das Letztere ist geschehen, und da nmß ich denn
mein Wort halten, wenn es auch vielleicht eine Thor-
heit war, es zu geben. Aber gegeben ist es. Sprechen
wir vom etwas Anderem, gnädige Frau. Wissen Sic,
Sie gefallen mir heute gar nicht! Ihre Augen sind
matt, nur im Moment der Erregung blitzen sie fieber-
haft auf, Sie können sich nur schwer aufrecht erhalten,
Ihre Hände zittern viel mehr als gewöhnlich, das
Alles sind Zeichen großer Schwäche. Sie sind siebenzig
Jahre alt, das vergessen Sie nicht. Sie dürfen nicht
mehr solche Allotria treiben, wie gestern Abend. Ich
will gar nicht von dem hirnverbrannten Unsinn des
Spiritismus überhaupt reden, ich weiß ja, darin sind
Sie nicht zu überzeugen; aber als Ihr Arzt muß ich
Ihnen sagen, daß Ihnen die Aufregung, die untrenn-
bar mit dem Unfuge der Geistererscheinungen und Gei-
steraussprachen verbunden ist, den Tod bringen kann."
„Wer hat Ihnen von dem gestrigen Abend er-
zählt?"
„Ihr Neffe, der Herr Hauptmann v. Ogorin, bei-
läufig gesagt, ein sehr vortrefflicher und, soweit der
Spiritistenhokuspokus der Herren Mondberger L Comp.
in Frage kommt, auch ein sehr verständiger junger
Mann."
Die Baronin schaute trüb sinnend vor sich nieder.
Vor einer Stunde noch würde sie tief entrüstet den
Geheimrath unterbrochen und ihm Schweigen geboten
haben, jetzt hörte sie ohne Widerspruch die harte Be-
schuldigung, welche er gegen „Mondberger L Com-
pagnie" erhob. „Mondberger L Compagnie!" In
dieser Zusammenstellung lag der Vorwurf der betrüge-
rischen Zusammenwirkung des Professors mit seinem
Medium, dem Baron v. Severin. Das eine Wort
erweckte einen neuen Jdeenkreis für die alte Dame.
Der einmal in ihr wach gewordene Zweifel wuchs und
warf seine Schatten auch über den jungen Mann, dessen
Worten sie gestern noch mit gläubiger Bewunderung
gelauscht hatte. Mondberger L Comp.! Wenn der
Baron wirklich der Kompagnon, d. h. der Betrugs-
genosse des Professors war, dann blieb, nur wenig von
den Wundern des gestrigen Abends bestehen.
Die Baronin schwieg lange Zeit, sie,blickte starr, tief
sinnend vor sich nieder, dann schaute sie auf und mit
bebender Stimme sagte sie mild: „Sie haben harte Worte
gebraucht, Herr Geheimrath, Worte, die mich zu an-
derer Zeit schwer gekränkt haben würden. Ich will
nicht mit Ihnen darüber rechten, ob Sie solche Worte
sprechen durften, heute wenigstens nicht. Ich habe
heute viel Schweres erlebt und bedarf der Zeit, um
mich zu fassen und zu sammeln, ich bitte Sie, schonen
Sie mich. Sie haben mir ja als Arzt jede Aufregung
verboten, wollen Sie nun selbst diese Hervorrufen durch
Ihre Angriffe auf eine Lehre, die mir heilig ist?"
„Sie haben ganz Recht, gnädige Frau! Wenn
Sie sich glücklich fühlen im Glauben an die spiritisti-

M 14.
sehen Wunder, so will ich dies Gefühl schonen. Aber
gerade als Arzt muß ich andererseits von Ihnen for-
dern, daß Sie den aufregenden spiritistischen Experi-
menten fern bleiben. Wenn Sie mir das versprechen,
will ich kein Wort mehr über Geistererscheinungen
verlieren."
„Das kann ich Ihnen nicht versprechen; vielleicht
ist es gerade zu meiner Beruhigung, zur Lösung man-
cher böser Zweifel, die mich quälen, nothwendig, daß
ich noch einmal —"
„Dann versprechen Sie mir wenigstens, daß der
Hauptmann v. Ogorin und Fräulein Helene anwesend
sein sollen."
„Liegt Ihnen daran so viel?"
„Ja! Der Hauptmann hat ein klares, scharfes
Auge und er hat Sie, gnädige Frau, von Herzen lieb.
Er wird es nicht dulden, daß ein zu arges Spiel mit
Ihnen getrieben wird."
„Vielleicht gelingt es, auch ihn zu überzeugen! Ich
gebe Ihnen das gewünschte Versprechen."
„Das beruhigt mich. Und nun noch Eines, gnä-
dige Frau. Sie müssen schon verzeihen, daß ich form-
los gerade auf die Sache losgehe; aber meine Zeit ist
heute knapp abgemessen, zwei schwerkranke Patienten
erwarten mich. Also zur Sache! Sie müssen wissen,
was in Ihrem Hause vorgeht. Ter Hauptmann v.
Ogorin war, wie ich Ihnen schon sagte, heute Morgen
bei mir. Den Hauptgegenstand unserer langen Unter-
haltung bildete Fräulein Helene Müller und deren
Äerhältniß zu Ihnen. Der Hauptmann forderte von
mir Auskunft über die Familie und die Vergangen-
heit der jungen Dame, ich habe sic, so weit ich konnte
und durfte, gegeben. In dieser Unterhaltung nun
glaubte ich eine Bemerkung zu machen, Herr v. Lgo-
rin schien mir durchaus nicht unempfindlich gegen die
Reize der jungen Dame."
Die Baronin richtete sich Plötzlich aus ihrer zu-
sammengcsunkenen Stellung auf, ihr Auge blitzte freu-
dig auf. „Wirklich?" rief sie. „Täuschen Sie sich
auch nicht? Ewald ist jetzt stets so kalt und wort-
karg zu Helene. Und Sie glauben, daß er sich für sie
interessire?"
„Würden Sie sich darüber freuen?"
„Ich würde überglücklich sein!"
„Nun, daß er ein hohes Interesse für das liebens-
würdige Mädchen fühlt, dessen bin ich sicher; aber der
verwünschte Adelsstolz, verzeihen Sie mir, gnädige
Frau, ich kann kein anderes Wort finden, sitzt ihm im
Nacken. Er hat es mir selbst gesagt, daß er als der
Letzte der Ogorin sich verpflichtet fühlt, seine Gattin
aus einem vornehmen Adelsgeschlechte zu wählen. Ich
wurde wüthend, als er es mir sagte. Soll denn der
Adel der Seele niemals den Adel der Geburt auf-
wiegen?"
„Der Adel der Seele!" wiederholte die Baronin
tonlos, mehr zu sich selbst, als zu dem Geheimrath
sprechend. „Ja, ihre Seele gehört dem ältesten, nur
ein einziges Mal durch eine Mißheirath befleckten
Adelsgeschlechte an. Wenn die körperliche Hülle auch
ihren ersten Ursprung bürgerlichen Eltern verdankt,
die Seele hat ihr den Stempel ihres eigenen Ur-
sprunges aufgedrückt."
Mit großen Augen schaute der Geheimrath die
Baronin an. „Was erzählen Sie da, gnädige Frau?"
rief er. „Fräulein Helenens Seele soll adeligen, ihr
Körper aber bürgerlichen Ursprunges sein! Allerdings
stammt die Mutter der jungen Dame aus einem alt-
adeligen, der Vater aber aus einem bürgerlichen Ge-
schlecht. Meinen Sie etwa, daß die Seele dem Stamm-
baum der Mutter, der Körper dem des Vaters folge?
Das wäre doch eine wunderbare Theorie! Ich meine,
Vater und Mutter haben wohl gleichen Antheil am
Ursprung von Körper und Seele des Kindes!"
„Allerdings," erwiederte die Baronin unwillkürlich
lächelnd. „Es herrscht zwischen uns ein Mißverständniß,
welches ich Ihnen nicht aufklären kann. Lasten wir
es auf sich beruhen. Ich danke Ihnen für Ihre Mit-
teilung. Sie wissen, ich kann Ewald's „verwünschten"
Adelsstolz nicht tadeln. Ich halte es gerechtfertigt,
wenn der letzte Ogorin sich eine adelige Gattin
sucht, aber trotzdem hat doch Ihre Mittheilung mich
mit einer beglückenden Hoffnung erfüllt. Ja, Sie
haben Recht, der Adel der Seele gilt mehr als der
des Körpers."
Der Geheimrath erhob sich, kopfschüttelnd sagte er:
„Ich verstehe Sie nicht mehr, gnädige Frau!"
„Ich kann mich Ihnen auch nicht verständlich
machen, denn selbst wenn ich Ihnen eine Erklärung
meiner Worte geben wollte, würden Sie als Freigeist
und Spötter mir weder glauben, noch mich ganz ver-
stehen."
Mit einem mitleidigen Blick schaute der Geheim-
rath die alte Dame an. Die Jahre machten sich bei
ihr doch schon in recht bedenklicher Weise geltend. Es
wäre unnütz gewesen, ein Gespräch, welches zu keiner
Einigung führen konnte, sortzusetzen, er empfahl sich
daher, nachdem er noch einmal seine Patientin recht
dringend ermahnt hatte, sich zu schonen, sich vor jeder
 
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