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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 20.1885

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Heft 26
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Hrst 26.

Das Buch für Alle.

619

„Doch, er hat Unrecht!" rief der junge Lieutenant.
„Solche schlimme Geschichten dürfen, obgleich sie ja
wirklich Vorkommen, nicht in die Lesfcntlichkeit gebracht
werden. Was er gesagt hat, ist eine Beleidigung
für das Offiziercorps. Wäre er noch Kavalier, so
müßte er sich mit mir schlagen. Aber jetzt könnte man
diesen Sonderling zur Strafe höchstens beim Barte
zupfen."
„Ha, Du Gelbschnabel!" schrie der Einsiedler zornig.
„Versuche das einmal!"
Es schien, als ob in ihm — vielleicht veranlaßt
eben durch den Verkehr mit dieser militärischen Gesell-
schaft - jetzt wieder der ehemalige heißspornige Lieute-
nant erwachte.
„Bravo! D'rauf los, Marquis!" riefen mehrere
junge Offiziere, den jugendlichen Genossen anfeuernd.
„Leihe mir Einer seinen Degen!" schrie der Ein-
siedler.
„Hier hast Du meinen Degen, Freund Bucquoy,"
sagte Oberst v. Damville. „Es freut mich von Herzen,
daß Du jetzt wieder aus dem Wege zur gesunden Ver-
nunft bist."
„Ah, er will sich schlagen!" rief der kleine Lieute-
nant entzückt. „Desto besser! Ich bin bereit."
Er zog seinen Degen und ging auf den Einsiedler
los, der ihn mit Damville's Waste empfing.
Bucquoy war ehemals als Fechter berühmt gewesen
und hatte seine Fertigkeit noch nicht verlernt. Nach
wenigen Minuten streckte er seinen Gegner blutend zu
Boden. Er hatte ihm eine ziemlich erhebliche, wenn
auch gerade nicht lebensgefährliche Wunde beigebracht.
„Meiner Treue, Graf, Sie müssen wieder Dienste
bei der Armee des Königs nehmen," rief der Oberst.
„Sie können wirklich noch besser fechten als Moral
predigen."
Le Mort hatte beim Anblick des blutenden Be-
siegten den Degen sogleich von sich geworfen. Einen
Augenblick stand er wie erstarrt. Dann lief er in seine
Hütte und schloß die Thüre hinter sich.
Die Offiziere begaben sich mit dem verwundeten
Kameraden, dem ein Nothverband angelegt worden war,
nach Rouen zurück.
Als Einige von ihnen etliche Tage später abermals
die Einsiedelei besuchten, war der gräfliche Eremit ver-
schwunden. Die umwohnenden armen Leute wußten
nicht, wohin er sich begeben; sie bedauerten es sehr,
den braven Waldschulmeister verloren zu haben.
Bucquoy war nach Paris gereist, wo er sich längere
Zeit im Gewände eines Ab bs aufhielt. Allmählig kam
er von seiner düsteren Lebensanschauung zurück und
wurde wieder Weltmann. Ja, er nahm sogar später
wieder Kriegsdienste und focht in mehreren Schlachten
mit.
Unvorsichtigerweise ließ er sich nun, nachdem er
das fünfzigste Lebensjahr bereits überschritten hatte,
auf Unbesonnenheiten gefährlicher Art ein , indem er
nämlich durch Wort und Schrift heftig die Regierung
angriff und dieselbe despotischer Handlungen, sowie des
Mißbrauchs der Gewalt beschuldigte. Ohne Zweifel
hatte er vollkommen Recht; aber über dergleichen Sachen
mußte man damals schweigen, wenn man nicht selber
in's Verderben gerathen wollte.
Graf Bucquoy wurde in die Bastille gebracht, von
welchem Schreckcnsorte er nach zweijähriger Gefangen-
schaft durch eine kühne Flucht entkam, die ungeheures
Aufsehen erregte, denn vorher war es noch niemals
eineni Gefangenen geglückt, aus der Bastille zu ent-
wischen.
Der Graf gelangte wohlbehalten nach der Schweiz
und später nach Holland, wo er den Generalstaaten
einen Plan vorlegte, welcher bezweckte, Frankreich in
eine Republik zu verwandeln und dem dort herrschen-
den Despotismus ein Ende zu bereiten — ein Plan,
der um achtzig Jahre zu früh ausgebrütet wurde. Auch
die anderen, damals mit Frankreich im Kriege befind-
lichen Mächte wollten nichts von dem Projekt wissen.
Der niederländische Generalfeldmarschall v. Schulen-
burg war ihm ein guter Freund geworden und gab ihm
Empfehlungen an deutsche Höfe, wo man den berühmten
Bastillenflüchtling freigebig unterstützte. Längere Zeit
lebte er in Dresden und Braunschweig; am besten
aber glückte es ihm in Hannover, wo er endlich eine
bleibende Stätte fand, da es ihm gelang, sich durch
seinen Geist und Witz bei dem Kurfürsten Georg I.
beliebt zu machen, der ihm eine Pension aussetzte, welche
er viele Jahre lang bezog.
Der ehemalige Einsiedler von Rouen starb am
14. November 1740 in dem hohen Alter von neunzig
Jahren. Er hat mehrere kleine Schriften verfaßt, so
z. B. „Betrachtungen über Tod und Ruhm", ein Merk-
chen, welches recht erbaulich zu lesen ist.
^)1lllllllt)flllfil)(§« (Nachdruck verboten.)
Verhiingnitzvoller Jrrthum. — Unter Napoleon I.
stand das geheime Polizeiwejen in hoher Blüthe, der Lenker
des Polizeiwesens überhaupt, der berüchtigte Fonchs, besoldete
" eine ganze Anzahl Agenten, die häufig die innersten Geheim-

nisse der Häuslichkeit durchstöberten, mit deren Mistheitung
der Chef häufig den kaiserlichen Gebieter erheiterte- Eines
Tages fiel es Napoleon ein, hauptsächlich politischer Zwecke
halber, den Lenker seiner Justiz selber überwachen zu lassen;
zu diesem Zweck bediente er sich eines ihm besonders em-
pfohlenen Menschen Namens Dnvroux, der bei Fonchs sehr
in Gunst stand. Dnvroux erfüllte treu seine Mission, und der
Kaiser erfuhr manches aus dem Innern des Ministerhotels, was
ihm zur Kenntnis; nützlich oder belustigentr erschien. An der
Hoftasel, an welcher der Polizeiminister Theil nahm, rühmte
sich derselbe einmal, das; ihm gleich dem Asmodcns kein
Ereignis; verborgen sei, das ein Pariser Hausdach decke;
lachend warf Bonaparte ihm die Bemerkung entgegen, das;
dieses Wissen durchaus nichts Besonderes sei, indem er, der
Kaiser, dieselbe Kenntnis; besitze, sogar genau mittheilen könne,
was sich am gestrigen Tage in den innersten Gemächern des
Hotel Fouchä ereignet. Er hatte sich aus den Widerspruch
seines Ministers vorbereitet, und kaum hatte derselbe seine
Zweifel geäußert, als Napoleon den ihm kurz vor dcw Tafel
zngestellten Bericht Dnvroux's öffnend, mit lauter Stimme
ablas: „Gestern Mittag betrat ich sein Kabinel, um neuen
Auftrag zur Spionage zu empfangen, er hatte eben ein paar
Gesandte entlassen und war in der erbärmlichsten Laune, er
schrie, stampfte und schimpfte im Borzimmer völlig vernehm-
bar in einer Weise, die eher an ein Hökerweib der Halle,
als an die kaiserliche Majestät Napoleon-" Bisher
hatte der Herrscher lachend den. wie er meinte, Fonchs be-
treffenden Rapport abgelesen, als er aber an seine eigene
Würde, seinen eigenen Namen gekommen war, brach er plötz-
lich ab und steckte unter dem befangenen Schweigen der Ver-
sammlung daS zerknitterte Papier zu sich, indem er einen
Flannnenblick auf den erbleichenden Fonchs warf. L-osort nach
der Tafel ließ er den unglückseligen Dnvroux in sein Kabinet
bescheiden, der, völlig durch die Ueberführnng seiner Schuld
vernichtet, seine Rolle als Doppelspion sofort eingestand, zu-
gleich auch, das; die Aufklärung durch eine Verwechselung der
Rapporte erfolgt war, von denen der eine für Bonaparte, der
andere in der Eile irrthümlich dem Kaiser übergebene für
Fonchs bestimmt war. Der Polizeiminister wußte sich wie
gewöhnlich aus dieser Schlinge zu ziehen. Er leugnete jeden
Verkehr mit Dnvroux, den er als Verräther und von seinen
Feinden besoldet bezeichnete. Napoleon, der seine Dienste
nicht entbehren konnte, fand sich zum Glauben an die Un-
schuld des Mannes, der bis in das kaiserliche Kabinet seine
Agenten sandte, geneigt, der arme Dnvroux aber büßte, nicht
unverdient durch fein Gewerbe, den verhängnißvollen Miß-
griff mit lebenslänglicher Deportation nach Cayenne. H. H.
Das Gericht der Aiickgestostenen. — Auf einer
Anhöhe in der Stadt Bafel liegt ein kleines, isolirtes Viertel,
das der Kohtenberg genannt wird. In alten Zeiten mußten
dort der Henker und feine Knechte, die Folterer, die Todten-
gräber der an der Pest Gestorbenen, sonne überhaupt alle
Diejenigen wohnen, die ans der GesellschafNulsgestoßen waren,
weil sie eineni für ehrlos gehaltenen Stande angehörten.
Diese Parias bildeten gewissermaßen einen Staat im Staate.
Sie konnten sich nur mit Leuten ihres Standes verheirathen,
und da ihnen auch das gewöhnliche Civilgericht gänzlich ver-
schlossen war, sie aber nicht minder als die anderen Stände
der Gesellschaft ihre Zwistigkeiten und Prozesse unter sich
hatten, so wurde ihnen schon in sehr früher Zeit ein eigenes
Gericht von zwölf Beisitzenden und einem Präsidenten be-
willigt, welche insgesammt ans den Lastträgern des Korn-
marktes und ähnlichen Leuten genommen und wohl dieses
Vorrechts wegen auch Freiheitsknaben genannt wurden. In
zerrissenen Kleidern, die Beine bis zum Knie entblößt, saßen
sie unter einer großen Linde auf dem Kohlenberg zu Gericht.
Der Präsides, den Richterstab in der Hand, mußte während
der ganzen Sitzung den rechten Fuß in einen mit Wasser
gefüllten Kübel halten. Hatte er seinen Platz eingenommen,
so erschienen die Parteien und trugen entweder selbst oder
durch den Mund eines aus ihrem Stande genommenen Rechts-
beistandes ihre Sache vor. Darauf beriethen sich die Bei-
sitzenden und gaben ihre Stimme ab, appellirt konnte nicht
mehr werden, bei Stimmengleichheit gab der Präsident den
Ausschlag. Dieses Tribunal wurde am Ende des 15. oder
zu Anfang des 16. Jahrhunderts aufgehoben. Noch im Jahre
1474 wurde von diesem Gerichte ein Hahn zum Feuertode
vernrtheilt, der im Verdacht stand, ein Ei gelegt zu haben.
Nean glaubte nämlich damals, daß aus solchen Eiern die
gefürchteten Basilisken entständen. vr. K. W.
Seltsamer Lohn für einen patriotischen Chro-
nisten. — Der berühmte englische Geschichtschreiber Stowe
widmete sein ganzes Leben dem Studium der vaterländischen
Alterthümer ebenso, wie er sein ganzes nicht unbedeutendes
väterliches Erbe diesem seinem Lebenszweck zum Opfer brachte.
Zn Fuß pilgerte er endlich, als er über Roß und Wagen
nicht mehr verfügen konnte, im Lande umher, die Denkmäler
der alten Kunst zu besichtigen und zu prüfen, die Kloster-
nnd Kirchenbibliotheken zu durchsuchen und von überall her
Nachrichten über englische Alterthümer zusannnenzubringen:
feine eigenen Verhältnisse, ja sogar die Sorge für seinen Un-
terhalt und seine Gesundheit völlig darüber vernachlässigend.
Manche Stadt, manches Schloß und Kloster verdankten ihm
allgemach ihre Geschichte; er selbst ging unbelohnt und un-
geehrt davon. Dem allzu Uneigennützigen enthielt inan auch
den bescheidensten Lohn vor bis er endlich in seinem 80. Lebens-
jahre sich aller Subsistenzmittel beraubt sah. Da bat er,
von äußerster Noth getrieben, König Jakob 1. um eine Unter-
stützung, von vornherein sich mit Allem zufrieden erklärend,
„und fei es die Erlaubnis;, ungestraft im Lande betteln zu
dürfen." Und das Unglaubliche geschah: der König ließ dein
Geschichtschreiber seines Landes ein Patent unter dem großen
königlichen Jnsiegel ausstellen des Inhaltes: es sei ihm hie-
dnrch gnüdigst gestattet, auf ein Jahr die Mildthätigkeit aller
Gutgesinnten im Königreich auzusprechen, als eine Belohnung
sür feine Arbeiten und fünfzigjährigen Wanderungen zur
Abfassung von Chroniken englischer Städte, zumal seines „Ge-
mäldes von London und Westminster". Dieses Patent wurde,
dem Gebrauch gemäß, von allen Kanzeln verlesen. Die Kon-
zession brachte dem Armen jedoch wenig ein; sie wurde da-

her noch einmal wiederholt, vor der dritten Jahreskonzefsiou
aber starb der so seltsam Belohnte. L. Z.
Eine schwierige Entscheidung. — Als der durch
seinen Witz berühmte Fürst Talleyrand einmal dem Empfange
des diplomatischen Corps bei Hose beiwohnte, vertiefte er sich
in den Anblick eines der Herren, der mit seinem Paradedegen
und seinen dürftigen Waden unter den Kniehosen eine nicht
gerade imposante Figur machte. „Woran denken Sie? " fragte
man ihn. — „Ich bemühe mich," antwortete er, „herauszu-
bringen, ob der Herr dort drei Beine hat, oder ob er
drei Degen trügt." Bl.
—-; --
An die geehrten Abonnenten des „Buches für Alle".

In der Absicht, nach gegenwärtig, wo die Beigabe von Prämien-
bildern im deutschen Reiche nicht mehr zulässig ist, das Bedürf-
nis; nach billigen nnd gediegenen Kunstblättern aber nach wie
vor fort besteht, zur leichten Erlangung solcher den Abonnenten
des „Buches sür Alle", wie überhaupt Jedermann, Gelegenheit zu
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nach einem Gemälde von C. E. Böttcher gestochen von A. Schultheiß;
Papiergrvße: 71 Centimeter breit nnd 58 /- Centimeter hoch,
Stichgröße: so Centimeter breit und 37 Centimeter hoch,
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wir in Heft 8 des „Buches für Alle" eine allerdings sehr ver-
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Publikum nur in Abdrücken ä Mk. 15. - zugänglich und
wird von uns jetzt, um auch dem weniger Wohlhabenden den Bezug
zu ermöglichen, an Jedermann zum Preise von
nur L Mark pro Exemplar
abgegeben.
Bestellungen nehmen alle Buchhandlungen an, insbesondere die-
jenige Buchhandlung, Journal-Expedition oder der Buchbinder, von
welchem man unser Journal bezieht; auch kann die Bestellung dem
Colporteur oder Boten, welcher die Hefte in's Haus bringt, übergeben
werden.
Stuttgart. Die Ve rlag s buchhand lnng:
„Hermann Schöirkein.
"X-
O Gefälliger Beachtung empfohlen!

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Aas Auch für Asse
Gelegenheit zu geben, dasselbe auf eine, dieses schönen Journals würdige,
dabei aber auch wohlfeile Weise cinbindcn ZN lassen, osferirt die unter
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nur 2 Mark pro Stück.
Durch den Bezug einer solchen solid gearbeiteten und allen
künstlcri s chenAnsordc r nngcn eIItspre ch ende n Decke, in welche
sämmtlichc Hefte eines vollständigen Jahrgangs Les „Buches für Alle"
von jedem Buchbinder sür eine gcriugsügige Entschädigung leicht
hineingcbuuden werden können, verschafft man sich einen Pracht-
Einband, wie dieser sonst, selbst um dcu dreifachen Preis, nicht
so schön zu erlangen ist.
Untenstehend befindet sich eine Abbildung der Einband-Decke, nm
die Schönheit derselben einigermaßen zu veranschaulichen.
Zu allen bisher vollständig erschienenen Jahrgängen nnd zn dem
gegenwärtig erscheinenden Jahrgange sind stets Decken vorräthig und
können dieselben jederzeit bezogen werden.
Bestellungen nehmen alle Buchhandlungen, Journal-Expedienten,
Buchbinder, Kolporteure und diejenigen BStcn an, welche die Hefte des
gegenwärtigen Jahrgangs in's Haus bringen.
Die Decken sind nur in brauner Farbe zn haben.
Stuttgart. Die Verlagsbuchhandlung:
Hermann Schönlein.
 
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