538
Das Buch für Alle.
Der gnädige Herr vom Kellthal.
Roman
von
Georg Höcker.
(Fortsetzung.) .
" (Nachdruck verboten.)
11.
ni Steinwieshof war das feiertägliche Mit-
tagessen beendet.
Je mehr der Bauer das Schwinden der
Achtung empfunden hatte, welche ihm bis-
her von den anderen Kellthalern gezollt
worden war, desto stolzer und protziger war
er auf seiner eigenen Scholle geworden, und hatte er
sich schon früher nur von der hochmüthigeu Seite ge-
zeigt, so fühlte er sich seither, besonders seitdem er
in seiner Tochter eine so „fürnehme Stadtdam'" be-
kommen hatte, völlig als Selbstherrscher.
Das Mittagessen war deshalb mit feierlichem Ernst
vorüber gegangen. Die Knechte und Mägde hatten
heute ohnehin bei dem Schauen all' der aufgetischten
Herrlichkeiten das Schwatzen vergessen, und bei der
herrschenden Stille hätte man meinen können, sich bei
einer fürstlichen Tafel und nicht bei dem Xaver Stein-
wies zu befinden.
Als das Essen vorüber war, und das Gesinde mit dem
besten Willen den noch reichlich vorhandenen Vorräthen
nicht mehr znzusprechen vermochte, winkte der Stein-
wiesbauer die Knechte und Mägde nach der Reihe einzeln
zu sich heran und drückte Jedem, je nach Länge der Zeit,
welche er auf dem Hofe diente, oder nach der Stelle,
die er cinnahm, einen halben Dukaten oder einen blanken
Silberguldcn in die Hand.
Die Beschenkten schauten zugleich betroffen und er-
freut dcu freigebigen Bauern an und stammelten dann
verlegene Worte des Dankes über die unerwartete Gabe,
denn die Weihnachtsbescheerung war schon am heiligen
Abend gewesen und hatte einem Jeden mehr gebracht,
als er erwartet hatte.
Der Steinwiesbauer schien heute bei gutem Humor
und weidete sich eine Weile an den verblüfften Gesich-
tern der. Umhcrstehenden.
„No, was gafft Ihr herum, als ob Euch die Spatzen
in's Maul fliegen sollten?" sagte er endlich mit rauher
Stimme und zwinkerte dabei der zu seiner Rechten im
höchsten Staat sitzenden Lori verständnißvoll zu. „Sollt
wissen, Alle mit einander, daß Ihr auf dem Hof seid
vom Steinwiesbauern Xaver. Das Geld dürft -Ihr
vertrinken und verjubeln heut', akkurat, wie Ihr wollt,
's wird wohl Tanz sein d'runten in der Dorfschenke."
Der Blasi, einer von den Knechten, nickte eifrig mit
dem Kopfe.
„Freilich, Bauer," eilte er zu berichten, „und außer-
dem ist heute auch Freischießen auf dem Schützenplatz."
„Bei der kannibalischen Kälte?" machte der Xaver
Steinwies verwundert. „Da hab' ich ja gar nix davon
gewußt."
Der Knecht zuckte verlegen die Achseln.
„Sonst ist eben der Bauer Schützenkönig gewesen
im Ort," meinte er ausweichend, als ihn der fragende
Blick des Herrn traf. „Da hat er sich immer 'raus
geschossen um die Ostern, aber der Laderbauer —"
Der Steinwiesbauer zog auf einmal die Stirn kraus.
„No, was ist's mit dem Haderlump?" knurrte er
grimmig heraus.
„Hm, der doch Schützenkönig geworden ist —"
„Sternsakra und kein End', lahmer Blasi — so thu 's
Maulwerk von einander und schwatz' rasch, wenn Du
was zu berichten hast."
Der Knecht druckste verschüchtert hin und her.
„'s ist nir weiter am End'!" sagte schließlich der
Niklas, welcher den einen Ellenbogen aufgestützt und
bisher auf seinen Teller niedergeschaut hatte, nur bis-
weilen einen verstohlenen Blick auf die Lene werfend,
welche ganz im Hintergründe bei den Mägden stand.
„No, was weißt denn Du?" frug der Bauer mit
geringschätzig herabgczogcncu Mundwinkeln und wandte
den Kopf gegen seinen Sohn.
„Justament nix mehr, als daß der Laderpankraz
sein neues Gehöft unter Dach gebracht hat."
„Ah - ah ,
Der Bauer zeigte eine verbissene Miene und schlug
mit der Faust auf den Tisch.
„Haben ihm die Batzen noch gelangt dazu, dem
Lump?"
„Deshalb gibt er das Schießen schon auf die Weih-
nacht, und cs soll viel Jubeln geben im Ort, denn er
will sich zeigen als neuen König."
Der Bauer nickte eine Weile recht ingrimmig mit
den: Kopfe vor sich hin.
„Möcht's sehen, was der zahlen kann," brummte
er dann verdrießlich und steckte die linke Hand in den
Hosengurt, „denn seine Batzen werden bald alle sein,
mein' ich."
Darauf schaute er mit blitzenden Blicken auf die
Knechte und Mägde, welche noch dastanden und auf
ihren Abschied warteten.
„Jetzt wißt Jhr's, wo Ihr hinzugehen habt," meinte
er, „und seid mir ja lustig und kreuzfidel, daß sie's
merken, Alle mit einander, daß es der Steinwiesbauer
kann wie kein Zweiter, und wer am meisten Spaß
macht von Euch, daß die Andern verschätzen möchten
vor Galle und Ncidsucht, der kriegt von mir morgen
noch einen harten halben Dukaten extra mit in den
Kauf."
Das ließ sich das Gesinde nicht zweimal sagen, und
die Burschen und Mädchen blickten sich schmunzelnd
gegenseitig an.
„Und jetzt macht, daß Ihr fortkommt," brummte
der Bauer und wies dabei mit der Hand nach der
Thüre. „Morgen will ich erfahren, wer's gewesen ist."
Die Knechte und Mägde drängten sich rasch aus
der Thüre, und als diese sich hinter dem Schwarm ge-
schlossen hatte, begann auf dem Flur ein tolles Schwatzen
und Kichern.
Der Steinwiesbauer aber blickte ihnen wohlgefällig
nach.
„Die werden's schon machen," meinte er und warf
einen forschenden Blick auf die Seiuigcn, als ob er die
Bestätigung derselben erwarte.
Die Lori hatte unterdessen sehr steif und gemessen
dagesessen, und ihr Gcsichtsausdruck zeigte deutlich, daß
ihr sehr unbehaglich zu Muthc war. Die Stadterziehung
hatte eben dem schon von Natur aus dünkelvollen Mäd-
chen vollends einen unerträglichen Hochmuth beigebracht.
Sie bedachte nicht, daß sie schließlich aus demselben
knorrigen Bauernholz geschnitten war, wie das Gesinde
auch, nur mit dem Unterschiede, daß ihr Vater ein
reicher Protz war, während die Andern mit harter
Händearbeit sich ihr täglich Brod erringen mußten,
sondern in ihrem Dünkel achtete sie sich für etwas bei
weitem Besseres. Das „dienende Personal" war des-
halb nur auf dem Hofe, um ihren tausend Befehlen und
Anördnungen nachzukommen, für etwas Anderes exi-
stirte dasselbe nicht für sie. Im Grunde ihres Herzens
schämte sie sich selbst ihrer Verwandten, welche ja voll
bäuerischer Manieren waren. Sie fühlte noch das
Herzklopfen, welches sic überkommen hatte, als der
Baron vom Kellthal mit seinem Sohne so unerwartet
ans dem Hofe erschienen war und sic zu dem dcmüthi-
gcnden Bekenntnis; hatte schreiten müßen, die Tochter
eines Bauern zu sein.
Dabei war sie aber doch wieder im höchsten Grade
neugierig. Die Erwähnung des in Aussicht stehenden
Festes ließ deshalb all' ihre Vorsätze zu Schanden
Werden, sich um die Angelegenheiten dieser Bauern gar
nicht zu bekümmern. Bei einer sich ereignenden Fest-
lichkeit mußte sie als die Tochter des reichen Stein-
wicsbauern in ihrer hochmodernen Toilette doch natur-
gemäß glänzen. Um sich im höchsten Glanze vor ihnen
zu zeigen und sich bewundern zu lassen, dazu waren
ihr in Ermangelung eines besseren Publikums schließ-
lich auch die so verachteten Bauern gut genug.
Dann aber schlummerte in ihrem Herzen auch die
stille Hoffnung, der junge Baron vom Kellthal, den sie
seit längerer Zeit nicht mehr gesehen, werde aus dem
ländlichen Feste anwesend sein. Nicht daß sie sich nach
den faden Schmeicheleien Anton's vom Kellthal oder
nach dessen Persönlichkeit selbst gesehnt hätte. Sie kannte
im Gegeutheil von Wien aus das Vorleben des ehe-
maligen Offiziers nur zu gut, dazu hatte die Lori auch
wirklich kein Herz, welches Raum gegeben hätte für
zärtliche, innige Gefühle. Sie hatte das Leben der
Großstadt kennen gelernt — die Prunkenden, glanzvollen
Feste freilich nur vom Hörensagen, aber gerade deshalb
stachelten diese eine wahre Fluth von Sehnsucht in ihr
auf. Wenn es ihr aber gelang, den jungen Baron zu
fesseln, so konnte ihr dieser sicherlich die Theilnahme
an dem rauschenden Leben der Großstadt ermöglichen.
Obwohl von gänzlich verschiedenen Gesichtspunkten aus-
gehend, trafen sich deshalb die Wünsche von Vater und
Tochter übereinstimmend in der Hauptsache.
Als die Knechte und Mägde deshalb das Zimmer
verlassen hatten, srug die Lori ihren Vater scheinbar
harmlos, ob sie sich auch für das Fest fertig machen
solle.
„Fest?" srug der Steinwiesbauer und nahm gegen
seine Gewohnheit auch wider die Lori einen brummigen
Ton an. „Putzen willst' Dich — ja für was für ein
Fest denn, wenn die Frag' vergönnt ist?"
Die Lori nahm einen beleidigten Gesichtsausdruck an.
„Nun, ich denke doch, wir werden jedenfalls zu dem
Bauernvergnügen fahren —"
„Das Schießen meinst' von heut' Nachmittag?" frug
sie der Bauer, ihre Rede jäh unterbrechend.
Die Lori nickte. „Es bringt doch ein wenig Ab-
wechslung in dieses einförmige Leben," sagte sie und
gab sich nicht die Mühe, einen lauten Seufzer zu unter-
drücken.
„Da wird nix d'raus," brummte der Stcinwies-
bauer entschieden, und es blitzte wie verhaltener Zorn
aus seinen Augen. „Hab' mehr zu thun, als zu solchen
Haderlumpen —"
Hrst 23.
Er brach ab und schaute mit umwölktcr Stirn an
seiner Tochter vorüber.
Die Lori aber zuckte zusammen und fing hastig an
ihren gepflegten Fingernägeln zu nagen an. Dabei
hatte ihr Gesicht den Ausdruck eines ungemein ver-
wöhnten, ungezogenen Kindes angenommen, dem ein
Lieblingswunsch versagt worden ist.
Wenn der Xaver Steinwies sofort eingewilligt hätte,
den Festplatz zu besuchen, hätte die Lori vielleicht Plötz-
lich sich zu einem anderen Entschlüsse bekannt und hätte
den Plan vereitelt. Jetzt aber, wo dem Wunsch wider-
sprochen wurde, der erst vor eines Augenblickes Kürze
in ihrem anspruchsvollen Herzen aufgetaucht war, kapri-
zirte sie sich auf denselben und empfand es als em-
pfindliche Kränkung, daß der Bauer es überhaupt nur
gewagt hatte, ihr zu widersprechen.
Sie hatte natürlich keine Ahnung von den Vor-
gängen, die sich während und nach dem letzten Schützen-
feste zugctragen und bei denen ihr Vater eine mehr als
zweifelhafte Rolle gespielt hatte, sonst hätte sie viel-
leicht den Grund der abschlägigen Antwort besser ge-
würdigt. So aber sann sie geärgert, wie sie am besten
die urplötzliche, unerwartete Weigerung überwinden und
den Vater ihren Wünschen gegenüber willfährig machen
könne.
„Warum bist Du eigentlich nicht mehr Schützen-
könig?" warf sie nach einer Weile unbehaglichen Still-
schweigens wie achtlos hin.
Der Steinwiesbauer fuhr in die Höhe und warf der
vorlauten Schwätzerin, die so keck an diesen seinen wunden
Punkt rührte, einen drohenden Blick zu, den diese aber
gar nicht sah.
„Du hast mir doch immer in Deinen Briefen ge-
schrieben, Du wärest der beste Schütze," fuhr die Lori
fort und betonte in ihrem Acrger die Worte etwas spöt-
tisch, „nun ist auf einmal ein Anderer Schützenkönig."
Sie lachte plötzlich hell auf, ohne den wüthenden
Blick des Bauern zu beachten.
„Haha, jetzt weiß ich auch, warum Du nicht zum
Schießen gehen willst —"
Der Steinwiesbauer schlug so heftig mit der ge-
ballten Faust auf den Tisch, daß die Geräthschaften
darauf erzitterten und die Lene, welche am unteren Ende
beschäftigt war, abzurüUmen, in ihrer Beschäftigung
innchiclt und erschreckt auf den Bauern schaute.
„Sternsakra und kein End'," fluchte der Xaver
Steinwies und betrachtete die Lori mit funkelnden
Blicken, „was füllt Dir ein, Madel?"
Das Gesicht der Lori wies den Ausdruck gekränkter
Unschuld auf.
„Was soll mir einfallen?" frug sie spitz. „Aber
nicht einmal das geringste Vergnügen darf mau mit-
machen, es ist nicht genug, daß ich aus meinem lieben
Wien gemußt habe und nun mein junges Leben in
dieser traurigen Einöde beschließen —"
„Es ist Deine Heimath, Lori," unterbrach die Steiu-
wiesbäuerin sie und schüttelte dabei mißfällig den Kopf,
der heute zur Feier des hohen Festtages mit einer
reichbebänderten Haube geschmückt war.
Die Lori zuckte nur hochmüthig mit dem Kopfe
und blickte dann über ihre Mutter hin. Die einfache
Bäuerin hatte nie einen Eindruck in ihrem Herzen
hinterlassen, und kein wärmeres Gefühl beseelte die Herz-
lose für die Frau, welche sie doch mit Schmerzen ge-
boren hatte.
Im Inneren aber ärgerte sich das hochmüthige
Mädchen ganz gewaltig, daß die Blutter sich überhaupt
einen Tadel gegen sie herausnahm und sie schaute des-
halb mit zornfunkeluden Augen in der Stube um-
her, um womöglich einen Gegenstand zu entdecken, au
dem sic ihr Müthchen kühlen konnte.
Da klirrte der Lene beim Aufräumen ein Löffel zu
Boden und sofort traf sie ein giftiger Blick ihrer ge-
schworenen Widersacherin.
„Ungeschickte alberne Gans," schalt die Lori mit
häßlich verzogenem Gesicht, „man kann sich nicht un-
geschickter und dümmer benehmen."
Die Lene wurde unter der unverdienten Beschimpfung
bleich im Gesicht; aber sie bezwang sich und fuhr in
ihrer Beschäftigung fort; nur ein wie um Beistand
bittender Blick fiel auf den Niklas.
Dieser aber traf den ehrlichen Burschen bis tief in die
Seele und er ballte wider die hochmüthige Schwester
eine seiner derben braunen Fäuste.
„Selber bist' eine Gans, akkurat so dumm, wie Du
meinst," begehrte er heftig werdend auf und hob drohend
über den Tisch die Hand wider die Lori. „Aber wenn
Du Dich noch einmal so, wie Du's eben gethan hast,
gegen das arme Madel da ausläßt, dann kriegst' von
mir ein paar Watschen, daß Dir die neumodische
Perrücken vom Kopf herunterfliegt!"
Es wäre jetzt jedenfalls zu einer heftigen Wortfehde
zwischen der zungenflinken, zuerst ganz wie erstarrt da-
sitzenden Lori und ihrem Bruder gekommen, wenn der
Steinwiesbauer sich nicht mit eineni energischen Donner-
wetter eingemischt und so zornig Ruhe geboten hätte,
daß die Beiden gern still waren.
Dem Xaver Steinwies waren unterdessen die Ge-
Das Buch für Alle.
Der gnädige Herr vom Kellthal.
Roman
von
Georg Höcker.
(Fortsetzung.) .
" (Nachdruck verboten.)
11.
ni Steinwieshof war das feiertägliche Mit-
tagessen beendet.
Je mehr der Bauer das Schwinden der
Achtung empfunden hatte, welche ihm bis-
her von den anderen Kellthalern gezollt
worden war, desto stolzer und protziger war
er auf seiner eigenen Scholle geworden, und hatte er
sich schon früher nur von der hochmüthigeu Seite ge-
zeigt, so fühlte er sich seither, besonders seitdem er
in seiner Tochter eine so „fürnehme Stadtdam'" be-
kommen hatte, völlig als Selbstherrscher.
Das Mittagessen war deshalb mit feierlichem Ernst
vorüber gegangen. Die Knechte und Mägde hatten
heute ohnehin bei dem Schauen all' der aufgetischten
Herrlichkeiten das Schwatzen vergessen, und bei der
herrschenden Stille hätte man meinen können, sich bei
einer fürstlichen Tafel und nicht bei dem Xaver Stein-
wies zu befinden.
Als das Essen vorüber war, und das Gesinde mit dem
besten Willen den noch reichlich vorhandenen Vorräthen
nicht mehr znzusprechen vermochte, winkte der Stein-
wiesbauer die Knechte und Mägde nach der Reihe einzeln
zu sich heran und drückte Jedem, je nach Länge der Zeit,
welche er auf dem Hofe diente, oder nach der Stelle,
die er cinnahm, einen halben Dukaten oder einen blanken
Silberguldcn in die Hand.
Die Beschenkten schauten zugleich betroffen und er-
freut dcu freigebigen Bauern an und stammelten dann
verlegene Worte des Dankes über die unerwartete Gabe,
denn die Weihnachtsbescheerung war schon am heiligen
Abend gewesen und hatte einem Jeden mehr gebracht,
als er erwartet hatte.
Der Steinwiesbauer schien heute bei gutem Humor
und weidete sich eine Weile an den verblüfften Gesich-
tern der. Umhcrstehenden.
„No, was gafft Ihr herum, als ob Euch die Spatzen
in's Maul fliegen sollten?" sagte er endlich mit rauher
Stimme und zwinkerte dabei der zu seiner Rechten im
höchsten Staat sitzenden Lori verständnißvoll zu. „Sollt
wissen, Alle mit einander, daß Ihr auf dem Hof seid
vom Steinwiesbauern Xaver. Das Geld dürft -Ihr
vertrinken und verjubeln heut', akkurat, wie Ihr wollt,
's wird wohl Tanz sein d'runten in der Dorfschenke."
Der Blasi, einer von den Knechten, nickte eifrig mit
dem Kopfe.
„Freilich, Bauer," eilte er zu berichten, „und außer-
dem ist heute auch Freischießen auf dem Schützenplatz."
„Bei der kannibalischen Kälte?" machte der Xaver
Steinwies verwundert. „Da hab' ich ja gar nix davon
gewußt."
Der Knecht zuckte verlegen die Achseln.
„Sonst ist eben der Bauer Schützenkönig gewesen
im Ort," meinte er ausweichend, als ihn der fragende
Blick des Herrn traf. „Da hat er sich immer 'raus
geschossen um die Ostern, aber der Laderbauer —"
Der Steinwiesbauer zog auf einmal die Stirn kraus.
„No, was ist's mit dem Haderlump?" knurrte er
grimmig heraus.
„Hm, der doch Schützenkönig geworden ist —"
„Sternsakra und kein End', lahmer Blasi — so thu 's
Maulwerk von einander und schwatz' rasch, wenn Du
was zu berichten hast."
Der Knecht druckste verschüchtert hin und her.
„'s ist nir weiter am End'!" sagte schließlich der
Niklas, welcher den einen Ellenbogen aufgestützt und
bisher auf seinen Teller niedergeschaut hatte, nur bis-
weilen einen verstohlenen Blick auf die Lene werfend,
welche ganz im Hintergründe bei den Mägden stand.
„No, was weißt denn Du?" frug der Bauer mit
geringschätzig herabgczogcncu Mundwinkeln und wandte
den Kopf gegen seinen Sohn.
„Justament nix mehr, als daß der Laderpankraz
sein neues Gehöft unter Dach gebracht hat."
„Ah - ah ,
Der Bauer zeigte eine verbissene Miene und schlug
mit der Faust auf den Tisch.
„Haben ihm die Batzen noch gelangt dazu, dem
Lump?"
„Deshalb gibt er das Schießen schon auf die Weih-
nacht, und cs soll viel Jubeln geben im Ort, denn er
will sich zeigen als neuen König."
Der Bauer nickte eine Weile recht ingrimmig mit
den: Kopfe vor sich hin.
„Möcht's sehen, was der zahlen kann," brummte
er dann verdrießlich und steckte die linke Hand in den
Hosengurt, „denn seine Batzen werden bald alle sein,
mein' ich."
Darauf schaute er mit blitzenden Blicken auf die
Knechte und Mägde, welche noch dastanden und auf
ihren Abschied warteten.
„Jetzt wißt Jhr's, wo Ihr hinzugehen habt," meinte
er, „und seid mir ja lustig und kreuzfidel, daß sie's
merken, Alle mit einander, daß es der Steinwiesbauer
kann wie kein Zweiter, und wer am meisten Spaß
macht von Euch, daß die Andern verschätzen möchten
vor Galle und Ncidsucht, der kriegt von mir morgen
noch einen harten halben Dukaten extra mit in den
Kauf."
Das ließ sich das Gesinde nicht zweimal sagen, und
die Burschen und Mädchen blickten sich schmunzelnd
gegenseitig an.
„Und jetzt macht, daß Ihr fortkommt," brummte
der Bauer und wies dabei mit der Hand nach der
Thüre. „Morgen will ich erfahren, wer's gewesen ist."
Die Knechte und Mägde drängten sich rasch aus
der Thüre, und als diese sich hinter dem Schwarm ge-
schlossen hatte, begann auf dem Flur ein tolles Schwatzen
und Kichern.
Der Steinwiesbauer aber blickte ihnen wohlgefällig
nach.
„Die werden's schon machen," meinte er und warf
einen forschenden Blick auf die Seiuigcn, als ob er die
Bestätigung derselben erwarte.
Die Lori hatte unterdessen sehr steif und gemessen
dagesessen, und ihr Gcsichtsausdruck zeigte deutlich, daß
ihr sehr unbehaglich zu Muthc war. Die Stadterziehung
hatte eben dem schon von Natur aus dünkelvollen Mäd-
chen vollends einen unerträglichen Hochmuth beigebracht.
Sie bedachte nicht, daß sie schließlich aus demselben
knorrigen Bauernholz geschnitten war, wie das Gesinde
auch, nur mit dem Unterschiede, daß ihr Vater ein
reicher Protz war, während die Andern mit harter
Händearbeit sich ihr täglich Brod erringen mußten,
sondern in ihrem Dünkel achtete sie sich für etwas bei
weitem Besseres. Das „dienende Personal" war des-
halb nur auf dem Hofe, um ihren tausend Befehlen und
Anördnungen nachzukommen, für etwas Anderes exi-
stirte dasselbe nicht für sie. Im Grunde ihres Herzens
schämte sie sich selbst ihrer Verwandten, welche ja voll
bäuerischer Manieren waren. Sie fühlte noch das
Herzklopfen, welches sic überkommen hatte, als der
Baron vom Kellthal mit seinem Sohne so unerwartet
ans dem Hofe erschienen war und sic zu dem dcmüthi-
gcnden Bekenntnis; hatte schreiten müßen, die Tochter
eines Bauern zu sein.
Dabei war sie aber doch wieder im höchsten Grade
neugierig. Die Erwähnung des in Aussicht stehenden
Festes ließ deshalb all' ihre Vorsätze zu Schanden
Werden, sich um die Angelegenheiten dieser Bauern gar
nicht zu bekümmern. Bei einer sich ereignenden Fest-
lichkeit mußte sie als die Tochter des reichen Stein-
wicsbauern in ihrer hochmodernen Toilette doch natur-
gemäß glänzen. Um sich im höchsten Glanze vor ihnen
zu zeigen und sich bewundern zu lassen, dazu waren
ihr in Ermangelung eines besseren Publikums schließ-
lich auch die so verachteten Bauern gut genug.
Dann aber schlummerte in ihrem Herzen auch die
stille Hoffnung, der junge Baron vom Kellthal, den sie
seit längerer Zeit nicht mehr gesehen, werde aus dem
ländlichen Feste anwesend sein. Nicht daß sie sich nach
den faden Schmeicheleien Anton's vom Kellthal oder
nach dessen Persönlichkeit selbst gesehnt hätte. Sie kannte
im Gegeutheil von Wien aus das Vorleben des ehe-
maligen Offiziers nur zu gut, dazu hatte die Lori auch
wirklich kein Herz, welches Raum gegeben hätte für
zärtliche, innige Gefühle. Sie hatte das Leben der
Großstadt kennen gelernt — die Prunkenden, glanzvollen
Feste freilich nur vom Hörensagen, aber gerade deshalb
stachelten diese eine wahre Fluth von Sehnsucht in ihr
auf. Wenn es ihr aber gelang, den jungen Baron zu
fesseln, so konnte ihr dieser sicherlich die Theilnahme
an dem rauschenden Leben der Großstadt ermöglichen.
Obwohl von gänzlich verschiedenen Gesichtspunkten aus-
gehend, trafen sich deshalb die Wünsche von Vater und
Tochter übereinstimmend in der Hauptsache.
Als die Knechte und Mägde deshalb das Zimmer
verlassen hatten, srug die Lori ihren Vater scheinbar
harmlos, ob sie sich auch für das Fest fertig machen
solle.
„Fest?" srug der Steinwiesbauer und nahm gegen
seine Gewohnheit auch wider die Lori einen brummigen
Ton an. „Putzen willst' Dich — ja für was für ein
Fest denn, wenn die Frag' vergönnt ist?"
Die Lori nahm einen beleidigten Gesichtsausdruck an.
„Nun, ich denke doch, wir werden jedenfalls zu dem
Bauernvergnügen fahren —"
„Das Schießen meinst' von heut' Nachmittag?" frug
sie der Bauer, ihre Rede jäh unterbrechend.
Die Lori nickte. „Es bringt doch ein wenig Ab-
wechslung in dieses einförmige Leben," sagte sie und
gab sich nicht die Mühe, einen lauten Seufzer zu unter-
drücken.
„Da wird nix d'raus," brummte der Stcinwies-
bauer entschieden, und es blitzte wie verhaltener Zorn
aus seinen Augen. „Hab' mehr zu thun, als zu solchen
Haderlumpen —"
Hrst 23.
Er brach ab und schaute mit umwölktcr Stirn an
seiner Tochter vorüber.
Die Lori aber zuckte zusammen und fing hastig an
ihren gepflegten Fingernägeln zu nagen an. Dabei
hatte ihr Gesicht den Ausdruck eines ungemein ver-
wöhnten, ungezogenen Kindes angenommen, dem ein
Lieblingswunsch versagt worden ist.
Wenn der Xaver Steinwies sofort eingewilligt hätte,
den Festplatz zu besuchen, hätte die Lori vielleicht Plötz-
lich sich zu einem anderen Entschlüsse bekannt und hätte
den Plan vereitelt. Jetzt aber, wo dem Wunsch wider-
sprochen wurde, der erst vor eines Augenblickes Kürze
in ihrem anspruchsvollen Herzen aufgetaucht war, kapri-
zirte sie sich auf denselben und empfand es als em-
pfindliche Kränkung, daß der Bauer es überhaupt nur
gewagt hatte, ihr zu widersprechen.
Sie hatte natürlich keine Ahnung von den Vor-
gängen, die sich während und nach dem letzten Schützen-
feste zugctragen und bei denen ihr Vater eine mehr als
zweifelhafte Rolle gespielt hatte, sonst hätte sie viel-
leicht den Grund der abschlägigen Antwort besser ge-
würdigt. So aber sann sie geärgert, wie sie am besten
die urplötzliche, unerwartete Weigerung überwinden und
den Vater ihren Wünschen gegenüber willfährig machen
könne.
„Warum bist Du eigentlich nicht mehr Schützen-
könig?" warf sie nach einer Weile unbehaglichen Still-
schweigens wie achtlos hin.
Der Steinwiesbauer fuhr in die Höhe und warf der
vorlauten Schwätzerin, die so keck an diesen seinen wunden
Punkt rührte, einen drohenden Blick zu, den diese aber
gar nicht sah.
„Du hast mir doch immer in Deinen Briefen ge-
schrieben, Du wärest der beste Schütze," fuhr die Lori
fort und betonte in ihrem Acrger die Worte etwas spöt-
tisch, „nun ist auf einmal ein Anderer Schützenkönig."
Sie lachte plötzlich hell auf, ohne den wüthenden
Blick des Bauern zu beachten.
„Haha, jetzt weiß ich auch, warum Du nicht zum
Schießen gehen willst —"
Der Steinwiesbauer schlug so heftig mit der ge-
ballten Faust auf den Tisch, daß die Geräthschaften
darauf erzitterten und die Lene, welche am unteren Ende
beschäftigt war, abzurüUmen, in ihrer Beschäftigung
innchiclt und erschreckt auf den Bauern schaute.
„Sternsakra und kein End'," fluchte der Xaver
Steinwies und betrachtete die Lori mit funkelnden
Blicken, „was füllt Dir ein, Madel?"
Das Gesicht der Lori wies den Ausdruck gekränkter
Unschuld auf.
„Was soll mir einfallen?" frug sie spitz. „Aber
nicht einmal das geringste Vergnügen darf mau mit-
machen, es ist nicht genug, daß ich aus meinem lieben
Wien gemußt habe und nun mein junges Leben in
dieser traurigen Einöde beschließen —"
„Es ist Deine Heimath, Lori," unterbrach die Steiu-
wiesbäuerin sie und schüttelte dabei mißfällig den Kopf,
der heute zur Feier des hohen Festtages mit einer
reichbebänderten Haube geschmückt war.
Die Lori zuckte nur hochmüthig mit dem Kopfe
und blickte dann über ihre Mutter hin. Die einfache
Bäuerin hatte nie einen Eindruck in ihrem Herzen
hinterlassen, und kein wärmeres Gefühl beseelte die Herz-
lose für die Frau, welche sie doch mit Schmerzen ge-
boren hatte.
Im Inneren aber ärgerte sich das hochmüthige
Mädchen ganz gewaltig, daß die Blutter sich überhaupt
einen Tadel gegen sie herausnahm und sie schaute des-
halb mit zornfunkeluden Augen in der Stube um-
her, um womöglich einen Gegenstand zu entdecken, au
dem sic ihr Müthchen kühlen konnte.
Da klirrte der Lene beim Aufräumen ein Löffel zu
Boden und sofort traf sie ein giftiger Blick ihrer ge-
schworenen Widersacherin.
„Ungeschickte alberne Gans," schalt die Lori mit
häßlich verzogenem Gesicht, „man kann sich nicht un-
geschickter und dümmer benehmen."
Die Lene wurde unter der unverdienten Beschimpfung
bleich im Gesicht; aber sie bezwang sich und fuhr in
ihrer Beschäftigung fort; nur ein wie um Beistand
bittender Blick fiel auf den Niklas.
Dieser aber traf den ehrlichen Burschen bis tief in die
Seele und er ballte wider die hochmüthige Schwester
eine seiner derben braunen Fäuste.
„Selber bist' eine Gans, akkurat so dumm, wie Du
meinst," begehrte er heftig werdend auf und hob drohend
über den Tisch die Hand wider die Lori. „Aber wenn
Du Dich noch einmal so, wie Du's eben gethan hast,
gegen das arme Madel da ausläßt, dann kriegst' von
mir ein paar Watschen, daß Dir die neumodische
Perrücken vom Kopf herunterfliegt!"
Es wäre jetzt jedenfalls zu einer heftigen Wortfehde
zwischen der zungenflinken, zuerst ganz wie erstarrt da-
sitzenden Lori und ihrem Bruder gekommen, wenn der
Steinwiesbauer sich nicht mit eineni energischen Donner-
wetter eingemischt und so zornig Ruhe geboten hätte,
daß die Beiden gern still waren.
Dem Xaver Steinwies waren unterdessen die Ge-