Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Frimmel, Theodor von [Editor]
Blätter für Gemäldekunde — 7.1911/​1912

Citation link:
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/bl_gemaeldekunde1911_1912/0013

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
BLÄTTER
FÜR
GEMÄLDEKUNDE

Verlag von HERAUSGEGEBEN
FRANZ MALOTA, WIEN von
IV. Hauptstraße 22 DR. TH. V. FRIMMEL

Adresse des Herausgebers s
WIEN,
IV. Schlüsselgasse 3

VII. BAND JUNI—JULI 1911 HEFT I

DIE GEMÄLDEKUNDE IN IHREN BEZIEHUNGEN ZU ANDEREN
WISSENSCHAFTEN.
Die Abgrenzung einer Wissenschaft ist stets ein Herausschneiden aus
dem Unendlichen. Von jedem Wissen leiten ungezählte Fäden nach allen
Richtungen, und der Mensch findet sich in dem unübersehbaren Netz von
Beziehungen nur dann zurecht, wenn er vom Unerreichbaren absieht und
sich gewaltsam an das klammert was im menschlichen Denken nach den
ererbten Erfahrungen von ungezählten Generationen, d. i. nach menschlicher
Logik besonders enge zusammenhängt. So werden wir in dem scheinbar
unentwirrbaren Netz große Stränge gewahr, die sich zwar durch fort-
währende Teilung unbegrenzt nach außen hin auflösen, die aber doch
von einem bestimmten Gebiet ausgehen und dessen Färbung tragen.
Irgendwo, also in endlicher Entfernung müssen wir diese Stränge ab-
schneiden, um uns nicht in's Unbegreifbare zu verlieren. Die Stränge,
die von der Gemäldekunde zu den Nachbarwissenschaften hinleiten und
von diesen zur Gemäldekunde herüberführen, mögen uns einige Zeilen
lang beschäftigen.
Ein Gemälde, welches es sei, ist ein Gegenstand der Beobachtung durch
die Sinne, wird dadurch zum Gegenstand der Erfahrung und hängt demnach
mit der Psychologie und mit der Physiologie zusammen. Die Psycho-
logie und Physiologie des Sehens sind daher Hilfswissenschaften der
Gemäldekunde, die sich ja auch von der Erkenntnistheorie nicht ganz
losmachen kann. Muß sie doch zur Frage Stellung nehmen, ob wir die
Gemälde, von denen sie handelt, als wirklich vorhanden, oder (nach der
Meinung der idealistischen Erkenntnistheoretiker) nur als vorgestellt hin-
nehmen sollen. Ohne positive Annahme einer sinnenfälligen Wirklich-
keit würde die Wissenschaft von den Kunstwerken und damit die
Gemäldekunde jeden festen Boden verlieren.
 
Annotationen