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Böttiger, Carl August; Sillig, Julius [Hrsg.]
C. A. Böttiger's kleine Schriften archäologischen und antiquarischen Inhalts (Band 3) — Dresden, Leipzig, 1838

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https://doi.org/10.11588/diglit.5486#0106

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au erlernten Anstände geschieht, etwas Ungesittetes und Unan-
ständiges % Ganz anders war es bei den Griechen und Römern.
Eine Frau , die vom Schnupftuch öffentlichen Gehrauch zu inachen
genöthigt gewesen wäre, hätte dadurch alle weibliche Delicalesse
aufs Höchste beleidigt, Sie wäre als eine Kranke zu behan-
deln, und ihr der Ausgang zu untersagen gewesen. Und diefs
galt nicht etwa blos von dem zärteren und feineren Geschlecht,
Es war vielmehr allgemeine Wohlsfandsregel, welcher sich die
Männer wenigstens bei gewissen feierlichen Gelegenheiten eben so
gut, als die Frauen aus einem leisen Gefühl für's Schickliche willig
unterwarfen. Die Orte, wo dfcr Wohlstand am genauesten beob-
achtet wurde, und von welchen auch das Alterthum die Regeln
des Wohlstandes auf das gemeine Leben am häutigsten ü'berzutra-
- gen pflegte, waren die Theater und Tempel. Nun wird vom
Kaiser Nero, der sich bei seiner Sucht, auf dem Theater zu
glänzen, der strengsten Theatcreliquette unterwarf, ausdrücklich
versichert, „er habe sich nie auf dem Theater niedergesetzt, den
Schweifs nur an den Aermelii des Kleides, das er trug, abge-
wischt und ängstlich darauf gesehen Y dafs die Zuschauer
nie etwas vom Auswurfe des Mundes oder der Nase
zu sehen bekämen"*). Und von den Tempeln sagt Epictet
in seinen moralischen Unterhaltungen, wo er es mit einem schnul-
zigen Cyniker zu Ihun hat: „Würdest du wohl in diesem Schmilz
von innen und aufsen mit uns die Tempel zu besuchen wagen, w o
in a u weder ausspeien, noch sich schneuzen darf'"**).
Indefs scheinen die Männer allerdings in ihren gewöhnlichen Ge-
schäften, vor Gericht und bei Gastmählern, wobei in der Ordnung
die Frauenzimmer nie zugegen waren, sich eines feinen, leine-
wandeneu Schweifsluches häutig bedient zu haben ***). Nur ist

*) Tacitus, Annal. XVI, 4,, vergl. mit Sueton in Nerone c.
24. Ich erkläre die Worte: ne sudorem, nisi ea, quam indutui
gerebat, veste detergeret, von den Aermeln des Untergewandes,
weil von diesem nur indutus gesagt wird, so wie amictus vom
Obergewande. Uebrigens ist auch hier der Unterschied der al-
ten und neuen Theatersitte höchst auffallend. Was sollten manche
unserer Schauspieler und Schauspielerinnen mit den Händen an-
fangen, wenn ihnen das Schnupftuch genommen würde?

**) Arrian, Dissert. Epictet. III, U. p. 424. Cantab. Das ganze
Kapitel erläutert am befsten, was die Alten unter Reinlichkeit
verstanden.

**) Plinius hatte in seiner Rhetorik Regeln gegeben, wie sich der
Redner mit dem Schweil'stuche abwischen müsse. S. (iuintilian
XI, 148. Die Beklagten bedienten sich zum Zeichen der Demuth
zum Abtrocknen des Schweifses ungewaschener Tücher. S. Eben-
daselbst VI, 3. 60. Bei Gastgelagen hatten die eleganten Römer
 
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