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Vereinigung zur Erhaltung Deutscher Burgen [Editor]
Der Burgwart: Mitteilungsbl. d. Deutschen Burgenvereinigung e.V. zum Schutze Historischer Wehrbauten, Schlösser und Wohnbauten — 20.1919

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Nr. 8
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Krollmann, Elisabeth: Die Marksburg um 1833
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https://doi.org/10.11588/diglit.34329#0078
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Hätte ich weniger sichren Fußen getraut als denen des besonnenen Tieres, auf dem ich saß, so würde ich, und
nicht ohne Grund, des schwierigen Weges halber einige Besorgnis gefühlt haben. Er war enge und steil, an den
Seiten eröfsneten sich oft Abgründe, und überdem lagen so viele und rollende Steine umher, daß der Fußgänger
oft mehr zurück als vorwärts kam. Dennoch erreichten wir glücklich die kahle und felsige Spitze.
Nie erschien mir der Rhein großartiger, als von der kleinen Plattform vor den Toren der Marksburg. Der
schöne Sommertag war äußerst günstig — am Himmel schwebten gerade Wolken genug, um durch ihre wechselnde
Schatten den so blendenden Glanz des Stromes zu mildern, und ein kühles Lüftchen schien ausdrücklich hier zu
wehen, um nach unserem mühseligen Hinaufsteigen uns abzukühlen, denn unten war alles so ruhig und stille, daß
nicht ein Rebenblatt zitterte.
Der Major W. hatte entweder geklopft, oder geschellt, oder ein Horn geblasen, oder der Schildwache irgend-
ein Signal gegeben, daß wir die Burg zu besehen wünschten, denn noch ehe wir ganz der schönen Aussicht uns
erfreut hatten, wurde uns in aller militärischen Form mitgeteilt, daß Se. Exzellenz der Gouverneur uns den
Eintritt gestatte.
Die Marksburg ist die einzige Festung im Nassauischcn und überdem die einzige noch erhaltene Burg von
denen des rheinischen Adels. Diese nur noch zeigt uns, was sie in früheren Zeiten waren, und die Einbildungs-
kraft des Reisenden wird sich vergebens bemühen, ein Gemälde dieser Gebäude hervorzurufen, wie sie in den Tagen
ihrer Macht waren, bis er diese dunklen Kammern in den massiven Türmen, die in den Felsen selbst gehauenen
Treppen, die fürchterlichen Vorrichtungen in der Hinrichtungskammer gesehen hat. Ach zweifle, ob der geschickteste
Ingenieur unserer Zeit, wenn sein Wissen bloß modern ist, diese befestigte Burg verständlich beschreiben könnte;
man wird mich daher entschuldigen, wenn ich, indem ich jedem sie in Augenschein zu nehmen empfehle, die Ver-
sicherung hinzufüge, daß, bis dieses geschehen, es unmöglich ist, sich eine richtige Vorstellung von ihr zu machen.
Als wir durch die Tore eintraten, hatte fast alles ein militärisches Ansehen. An den Wänden hingen Gewehre,
Soldaten putzten und reinigten ihre Uniformen und Waffen, und an mehreren Punkten standen Schildwachen.
Der Beamte, der uns umherführte, war sehr höflich, ober selten wird eine Gesellschaft mit so unersättlicher
Neugierde ihn geplagt haben. Doch auch wir hatten unsere Arbeit. Ich bin überzeugt, daß, wenn ich auch jeden
Winkel auf dem Ehrenbreitstein hätte untersuchen wollen, es weniger beschwerlich gewesen wäre, als durch die
Finsternis der dunklen Gänge der Marksburg zu tappen, aus Wendeltreppen zu steigen, wo man alle Augenblicke
befürchten mußte, den Kopf oder die Schultern zu verletzen, oder die ungeheuren Stufen, jede wenigstens zwei
Fuß hoch, wie eine Leiter zu erklettern, die auf die Spitze des mittleren Turmes führen. Nachdem wir jedoch
dieses überwunden, wurden wir für alle unsere Anstrengungen herrlich belohnt.
Nicht allein der Rhein, dessen Ilfer hier die Natur so verschwenderisch ausgestattet hat, lag in einer großen
Strecke seines Laufs vor uns, sondern aucb das rinmittelbar unter uns befindlicbe Gebäude bot ein Interesse dar,
welches unsere Aufmerksamkeit fast von allem andern abzog. Unser Führer zeigte uns zwei Türme, in deren jedem
ein Staatsgefangener saß; der eine war zu 40 Jahren, der andere zu 22 verurteilt. Als wir darüber erstaunten,
bemerkte er, in vielen Ländern würde Todesstrafe ihr Los gewesen sein. — „Das Urteil war gerecht," fuhr er fort,
„wäre ihr Verbrechen allgemein geworden, so würde die Ruhe des Staats gefährdet worden sein. Viele Un-
schuldige hätten statt zweier Schuldiger gelitten — überdem wird wahrscheinlich ihre Strafe bedeutend gemildert
werden."
Diese Äußerungen waren sowohl sehr vernünftig als auch beruhigend, und durch die Wahrheit derselben ge-
tröstet, blickten wir nochmals auf die Türme, in denen diese Unglücklichen ihre Irrtümer büßen mußten, mit einem
Gefühl, welches trotz ihrer Verbrechen ihren Herzen vielleicht Linderung gewährt hätte.
Vom Flusse aus bemerkten wir später in jedem dieser Gefängnisse ein kleines Fenster, durch welches wahr-
scheinlich Lust und Licht Zutritt fanden. Aus beiden muhte man die Aussicht aus den Rhein mit seinen hier so
herrlichen Ufern genießen, doch ich weiß nicht, ob dies jenen Gefangenen mehr Vergnügen oder mehr Pein ver-
ursachen möchte. Nach meinem Gefühl muß cs unglücklicher machen, in die unbeschränkte Freiheit der Natur
zu schmien und zu wissen, daß inan sie nicbt teilen darf, als wenn man ihrer Ansicht gänzlich entbehren muh. Aus
diesen Gefängnissen zu entweichen, möchte fast unmöglich sein. Wie jede andre Burg am Rheine steht die Marks-
burg hoch auf einem kahlen lind steilen Felsen, und die vielfachen Hindernisse, welche überdem bis zu den äußern
Toren sich cntgegenstcllen, müssen, so lange die Schildwachen ihre Pflicht tun, jeden derartigen Versuch vereiteln.
Nachdem wir von dem mittleren Turm wieder hinabgestiegen waren, weiches leichter als das Emporklimmcn
wurde, traten wir unten in ein halbdunkles Zimmer, in welchem sich nichts befand, als eine Vorrichtung von Holz,
ungefähr in der Form unserer englischen Halsklötze, doch weit schwerer und dicker. Es befremdete mich zu hören,
daß dieses die Hinrichtungskammer sei; doch dieses schreckliche Instrument wurde mitten in das Zimmer gesetzt
und unser Führer erklärte uns, während wir schweigend umher standen, die Art seiner Verwendung. Antcr dem-
selben befindet sich ein Balken mit einem Drehrade. Der Verurteilte wird mit gebundenen Armen und Füßen
in dein Halsblock befestigt, während ein über das Rad gehender Strick um seinen Hals gelegt wird, und dann —
ist die geringste Bewegung an dem Stricke hinlänglich, um die Exekution zu vollenden.
Von dieser Kammer führt ein dunkler Gang in eines der Gefängnisse, deren unten noch viele — zu schrecklich,
um heutigen Tages benutzt werden zu können — in den Felsen gehauen sind; doch wurde uns die eiserne Türe,
welche zu ihnen führt, gezeigt. Die finstre steile Treppe, die zu derselben hinabgeht, hat etwas so Nnheimliches.
 
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