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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 14.1904

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Rapsilber, Maximilian: Ernst Moritz Geyger
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https://doi.org/10.11588/diglit.7009#0011

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Ernst Moritz Geyger.

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v°n Geygers Kunst anspinnen, so können
Wlr nicht diese und jene Lehr-Begriffe oder
künstlerischen Einwirkungen als Grundlage
seines Werdens konstruieren, sondern müssen
bei seinen rein menschlichen Anfängen an-
heben. Wie bei jedem reinen Individuum
lst auch hier das Kind der Vater des Mannes
ür>d das begnadete Schoßkind der Natur der
Prototyp des späteren Meisters. Geygers
vollendete Meisterschaft datiert aus dem
Jahre 1888, als er die kleine Affen-Dispu-
tation und seine erste Plastik, die Nilpferd-
Gruppe, schuf.

Die frühesten Kinderjahre Geygers haben
also zur Veranschaulichung des Lebenswerkes
eine grosse Bedeutung. Der Künstler selber
kann sich nicht genug darin tun, seine aller-
ersten Eindrücke als grundlegende für das
Leben zu betonen. Geboren ist Geyger am
9- November 1861 zu Rixdorf bei Berlin.
Damals war das noch nicht Vorstadt von
Berlin mit himmelhohen Mietskasernen,
sondern ein idyllisches Dorf, das sich in den
Sonnenfrieden weit hinter der Hasenhaide
einbettete. Das Kind atmete also lautere
Natur ein und dieses Glück war ihm auch
weiter beschieden in Oranienburg und
Potsdam, wo er des öfteren weilte und
seinem Naturell sonnigste Freiheit lachte.
Geyger selber entwirft über seine frühe
Tier

-Liebhaberei und über die Liebe der
Tiere zu ihm ein fesselndes Bild, an welchem
lch keinen Zug kürzen möchte. Im ersten
Lebensjahre lag das Kind, während die
Mutter im Hause ihrer Arbeit nachging,
draussen im sonnigen Garten im Korb, wo
ein grosser Hund zu seinen Füssen als eifer-
süchtiger Wärter posierte und eine ernsthafte
Und gravitätische Anhänglichkeit an den
Kleinen bekundete. Schon im dritten Jahre
war der Künstler in Geyger erwacht. Da
sass das Männlein am Fenster, um die vor-
beiziehenden Kühe und Pferde und Gänse-
Herden auf die Schiefertafel zu zeichnen und
vornehmlich die beiden Ziegenböcke, die ihn
spazieren fuhren. In der Schule war er
natürlich kein Musterknabe, hier zeichnete
er hinter dem Rücken seines Vordermannes
die Schwalben, die das Haus umkreisten, die
Gespanne, welche die Dorf-Strasse hinab-

rasselten und anderes mehr. Im Sommer
war er stets auf dem Lande, wo er die
Lämmer auf die Weide trug und porträtierte,
und ebenso die armen Fische und Krebse,
die er listig einfing, und ferner den Pony,
den ein alter Kinder-Freund ganz in seinen
Dienst gestellt hatte. Unzählige Tiere
brachte der Knabe ins Haus, wie weisse
Ratten und Kaninchen und Hunde, die ihm
nachliefen, sogar eine Mütze voll junger
Frösche, welche in der Stube herumsprangen,
bis der eine oder andere als gedörrte Mumie
aus versteckten Winkeln wieder zum Vor-
schein kam. Ferner waren dann die schönen
landschaftlichen Umgebungen von Oranien-
burg und Potsdam mit erzieherischen Ein-
drücken wesentlichster Art verknüpft. Hier
offenbarte Geyger bereits eine Schärfe der
Naturbeobachtung, die bei den Lehrern
Verwunderung erregte. Mit dem neunten
Jahre fing Geyger das Porträt - Zeichnen
nach der Natur an. Die Bilder wurden mit
einem Dreier honoriert und als Wunder-
Leistungen in den Abend - Gesellschaften
herumgereicht. Neben Kopieen nach Max
und Moritz von Busch entstanden eigene
Kompositionen von Hexenküchen, lustigen
Handwerksburschen, Teufeln und derlei Aus-
geburten. In derselben Zeit auch schnitzte
der übereifrige Knabe Köpfe aus Brennholz,
an denen das Blut aus den unvermeidlichen
Handwunden herablief, von welcher Tätig-
keit heute noch die Narben in der Meister-
hand sprechen. Mit dem zwölften Jahre
modellierte er dann Pferde nach der Natur
und aus der Erinnerung, ebenso Kühe und
Wildschweine, doch mangels jeder künst-
lerischer Anweisung nahmen die vertrock-
nenden Modelle allemal ein trauriges Ende.
Sein Zimmer hatte der heranwachsende Knabe
mit den seltsamsten Naturalien und mit Toten-
köpfen und Menschengebein phantastisch
ausstaffiert, sodass sich selbst Erwachsene
scheuten, das Dantesche Inferno, wie es
hiess, zu betreten.

Die akademischen Jahre 1877 —1882 sind
im Lebensbild Geygers von keineswegs
wesentlicher Bedeutung. Lediglich als Maler
bildete er sich hier aus und es ist kenn-
zeichnend, dass er gerade die Malerei wenige
 
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