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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 50.1922

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Kirchner, Joachim: Corinth, der ewig Junge
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https://doi.org/10.11588/diglit.9143#0144

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Corinth, der ewig junge.

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LOVIS CORINTH—BERLIN.

expressionistisch geworden. Gewiß hat sein
Entwicklungsgang verschiedene Stadien aufzu-
weisen, während seiner langen Künstlerlaufbahn
hat er verschiedentlich von außen kommende
Anregungen in sich aufgenommen und verar-
beitet. Aber bei allen Wandlungen seines Stils
blieb er sich stets treu, blieb er „er selbst",
ohne der Nachahmung zu erliegen oder den
Launen der Mode und des Zeil geschmacks seinen
Tribut zu zollen. Er war stets der Gleiche, Un-
verzagte, Eigenmächtige, Kühne, der sich seine
eigenen Gesetze schrieb und nie nach Rezepten
verlangte, deren andere, schwächere Talente
nur zu sehr bedurften. Und so verjüngte er sich
dank seiner schöpferischen Eingebungskraft stets
aufs neue und verdient wie kein zweiter den
Ehrentitel des ewig jungen.

Expressionismus! rief man erstaunt, als die
letzten Arbeiten Corinths gezeigt wurden, glück-
lich, nun auch den „Altersstil" des Künstlers
klassifiziert und einemSchlagwort untergeordnet
zu haben. Gerade als ob ein Corinth eine
„Richtung" brauche, um in ihr „modern" zu
sein. Wie wenig hat diese auf glückhafte Trieb-
haftigkeit und sinnlichen Anschauungsreichtum
gestellte malerische Begabung mit den verstan-
desmäßigen Konstruktionen der modernen Pri-

»STILLEBEN MIT KIND« 1920.

mitiven zu tun! Sehr wahr sagt Corinth in
seinen 1920 bei Fritz Gurlitt erschienenen ge-
sammelten Schriften von den künstlerischen
Tendenzen der Allermodernsten: „Siekommen
scheinbar ganz auf die Naturvölkerzurück; außer-
dem haben sie für ihre Rätselkunst, die nichts
mehr mit der freien edlen Kunst gemein hat,
Lehren aufgestellt, die der Geometrie ent-
nommen scheinen. Man versucht die Körper-
flächen aus Dreiecken, Vierecken und Fünf-
ecken herauszukonstruieren, und es wird oft
unmöglich, vor diesem automatischen Herum-
zirkeln das Dargestellte zu verstehen. Jede
Einzwängung der Kunst in steinerne Lehren ist
ein unwürdiges Unterfangen und wir können,
sobald es sich um bestimmte Doktrinen in der
Mache handelt, nicht mehr von einer Kunst-
auffassung sprechen, sondern müssen derar-
tiges zu den „Manieren," zur „Rezeptmalerei"
zählen. Diese schroffe Absage Corinths an die
engherzige Doktrin radikaler Kunstverwässerer
ist berechtigt genug. Der neue expressionistische
Akademismus hat sich allmählich zu einem
keinesweg geringeren Übel entwickelt als es die
alte Akademie war, gegen die man Sturm zu
laufen sich verpflichtet fühlte.
— Indes, Corinths Eifer wendet sich lediglich
 
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