Gemälde von Modigliani f.
der auf jene wunderbar sichere Art, die man an
Akrobaten, wenn sie sich in jahrelanger Übung
auf einander eingespielt haben, beobachten
kann. Sie wirken zusammen wie zwei Musik-
instrumente, von denen das eine den Takt und
die Melodie führt, während das andere mit
langschwebendem Gesang den eigentlichen
musikalischen Körper erschafft. Sie ergänzen
sich wie Kette und Einschlag beim Gewebe,
wie begrifflicher Name und klingendes Wort in
der Dichtung. Die Linie stellt keineswegs bloß
die Umrisse fest, sondern gibt zugleich den
Grundbegriff des gesamten plastischen Sach-
verhalts. Die Farbe, weit entfernt, bloße Füllung
eines von Linien eingeschlossenen Raumes zu
sein, fügt dem Begriff die Anschauung, die
malerische Verwirklichung hinzu. Nochmals:
der Fall ist merkwürdig und einzigartig, weniger
vielleicht im Grundsätzlichen, als in der erstaun-
lichen Vollkommenheit der Durchführung einer
Kooperation zwischen anscheinend nur ver-
mischbaren, nicht vereinbaren Gegensätzen. Als
Ergebnis stellt sich jedesmal eine unzweifel-
hafte Räumlichkeit und Rundung der Form ein,
die mehr ein Geschehen als ein ruhender
statischer Sachverhalt ist. Denn in dieser Form
treibt die Farbe stets ins Dreidimensionale, die
Linie zieht stets zur Fläche zurück, und so
kommt ein schwebendes Gleichgewicht zu-
stande, das einen immer erneuten Reiz dieser
Schöpfungen bildet.
Eine junge Kunst ist dies, sagte ich. Die
Linie ist jung und schmiegsam wie ein Pflanzen-
produkt des Frühlings, die Farbe hat Saft und
Frische und Zartheit wie die Töne eines Vogel-
lieds. Es fehlt jede Starre; Blutwärme, Luft-
wärme wie aus den ersten Stunden des jungen
Jahres durchdringt diese Kunst. Sie hat das
Adelsmerkmal aller wohlgeborenen Dinge:
die Leichtigkeit. Modigliani war in seiner guten
Zeit von einer ungeheuren Produktivität; und
gewiß befinden sich unter den Massen von
Schöpfungen, die er hervorbrachte, manche
flaue und schwache Dinge. Aber irgendeinen
Preis muß alle Arbeit der Sterblichen zahlen;
es fragt sich nur, ob für diesen Preis auch ein
entsprechender Gegenwert eingehandelt wurde.
Das ist bei Modigliani fraglos der Fall. Seine
besten Arbeiten haben jene Leichtigkeit, jenen
inneren Auftrieb, die jedem Beschauer das
Gefühl einer geistigen Befreiung mitteilen. Die
Linie dieser Kunst schwingt sich hoch wie eine
Geigenmelodie. Sie hat sinnliche Frische, ein
unbewußtes, kindliches Verweilen im allein-
seligmachenden Augenblick; sie hat aber auch
eine geistige Anmut, eine Frische der Begriffe,
eine ungemeine Keckheit und Schärfe des Be-
merkens. Eine sehnige, aphoristische Bestimmt-
heit tritt zutage, eine sichere Arbeit des Auf-
fassens und eine erfrischende Gabe der
schlagenden Prägung.
Ein Wort für sich ist die feine kompositio-
neile Arbeit wert, die Modigliani fast über-
all vollbringt. Er weiß die Bildfläche der Farbe
wie der Linie nach ausgezeichnet aufzuteilen.
In dem Damenbildnis baut er eine massige Kegel-
form auf (Gewand), schneidet sie oben spitz
ein, daß Hals und Kopf als frappantes helles
Motiv, wie Elfenbein aus Ebenholz oder
Palisander, daraus hervorgehen. Die dunkle
Schattenfläche belebt er mit einem fast mut-
willigen, ornamentalen Spiel der Hand- und
Fingerlinien und bringt so eine statische Ruhe
mit melodiöser Bewegtheit zusammen. Der
„Mädchenkopf" komponiert eine anmutige
Schraubenlinie sehr fein in den rechteckigen
Raum, der stehende Mädchenakt bewegt sich
in reizvollen Kurven und Rundungen. Überall
ist die Begegnung der Bildlinien mit dem Bild-
rand vortrefflich gegriffen. Überall spürt man
eine südliche Sensibilität, im Einzelnen wie im
Ganzen, im Geistigen wie im Handwerklichen
dieser Kunst.
Die Farbe lebt sich bei Modigliani in reinen,
kräftigen Tönen aus. Er hat vielfach lebhafte,
schmetternde Klänge, aber er kennt auch den
Reiz zarter, gebrochener Töne, schimmernder
Schwebungen des Lichtes. Modigliani hat in
der Farbe Verve, aber auch einen mondänen
Geschmack. Er ist hier aggressiv, dort von
zarter Empfindung, in der Wirkung aber immer
bestimmt und unzweideutig.
Es gibt in dieser Kunst eine unbewußte,
blühende Begabung, aber auch ein sicheres
Wissen und eine schier erstaunliche Virtuosität.
Kein Wunder, daß diesen sicheren Bemerker
die Landschaft nicht zu reizen vermochte!
Form — das war sein Ziel, sein Ehrgeiz, sein
Element. Er lebte nicht nur i n der Menschen-
welt, er lebte auch von ihr und durch sie.
Modigliani ist ein rein zivilisatorischer Typ.
Die Landschaft macht solche Menschen stumm,
aber zum Menschen haben sie eine unerschöpf-
liche Lust und werden nicht müde, zu ihm und
von ihm zu sprechen, ihn zu studieren und aus-
zudeuten.
Modiglianis Freunde haben von ihm als von
einem großen Künstler gesprochen. Ich denke,
ihm ist genug getan, wenn man das Reine,
Leichte und Jugendliche seiner Kunst anerkennt
und ihr die Freude dankt, die sie mit liebens-
würdiger Geste spendet............ o. l.
204
der auf jene wunderbar sichere Art, die man an
Akrobaten, wenn sie sich in jahrelanger Übung
auf einander eingespielt haben, beobachten
kann. Sie wirken zusammen wie zwei Musik-
instrumente, von denen das eine den Takt und
die Melodie führt, während das andere mit
langschwebendem Gesang den eigentlichen
musikalischen Körper erschafft. Sie ergänzen
sich wie Kette und Einschlag beim Gewebe,
wie begrifflicher Name und klingendes Wort in
der Dichtung. Die Linie stellt keineswegs bloß
die Umrisse fest, sondern gibt zugleich den
Grundbegriff des gesamten plastischen Sach-
verhalts. Die Farbe, weit entfernt, bloße Füllung
eines von Linien eingeschlossenen Raumes zu
sein, fügt dem Begriff die Anschauung, die
malerische Verwirklichung hinzu. Nochmals:
der Fall ist merkwürdig und einzigartig, weniger
vielleicht im Grundsätzlichen, als in der erstaun-
lichen Vollkommenheit der Durchführung einer
Kooperation zwischen anscheinend nur ver-
mischbaren, nicht vereinbaren Gegensätzen. Als
Ergebnis stellt sich jedesmal eine unzweifel-
hafte Räumlichkeit und Rundung der Form ein,
die mehr ein Geschehen als ein ruhender
statischer Sachverhalt ist. Denn in dieser Form
treibt die Farbe stets ins Dreidimensionale, die
Linie zieht stets zur Fläche zurück, und so
kommt ein schwebendes Gleichgewicht zu-
stande, das einen immer erneuten Reiz dieser
Schöpfungen bildet.
Eine junge Kunst ist dies, sagte ich. Die
Linie ist jung und schmiegsam wie ein Pflanzen-
produkt des Frühlings, die Farbe hat Saft und
Frische und Zartheit wie die Töne eines Vogel-
lieds. Es fehlt jede Starre; Blutwärme, Luft-
wärme wie aus den ersten Stunden des jungen
Jahres durchdringt diese Kunst. Sie hat das
Adelsmerkmal aller wohlgeborenen Dinge:
die Leichtigkeit. Modigliani war in seiner guten
Zeit von einer ungeheuren Produktivität; und
gewiß befinden sich unter den Massen von
Schöpfungen, die er hervorbrachte, manche
flaue und schwache Dinge. Aber irgendeinen
Preis muß alle Arbeit der Sterblichen zahlen;
es fragt sich nur, ob für diesen Preis auch ein
entsprechender Gegenwert eingehandelt wurde.
Das ist bei Modigliani fraglos der Fall. Seine
besten Arbeiten haben jene Leichtigkeit, jenen
inneren Auftrieb, die jedem Beschauer das
Gefühl einer geistigen Befreiung mitteilen. Die
Linie dieser Kunst schwingt sich hoch wie eine
Geigenmelodie. Sie hat sinnliche Frische, ein
unbewußtes, kindliches Verweilen im allein-
seligmachenden Augenblick; sie hat aber auch
eine geistige Anmut, eine Frische der Begriffe,
eine ungemeine Keckheit und Schärfe des Be-
merkens. Eine sehnige, aphoristische Bestimmt-
heit tritt zutage, eine sichere Arbeit des Auf-
fassens und eine erfrischende Gabe der
schlagenden Prägung.
Ein Wort für sich ist die feine kompositio-
neile Arbeit wert, die Modigliani fast über-
all vollbringt. Er weiß die Bildfläche der Farbe
wie der Linie nach ausgezeichnet aufzuteilen.
In dem Damenbildnis baut er eine massige Kegel-
form auf (Gewand), schneidet sie oben spitz
ein, daß Hals und Kopf als frappantes helles
Motiv, wie Elfenbein aus Ebenholz oder
Palisander, daraus hervorgehen. Die dunkle
Schattenfläche belebt er mit einem fast mut-
willigen, ornamentalen Spiel der Hand- und
Fingerlinien und bringt so eine statische Ruhe
mit melodiöser Bewegtheit zusammen. Der
„Mädchenkopf" komponiert eine anmutige
Schraubenlinie sehr fein in den rechteckigen
Raum, der stehende Mädchenakt bewegt sich
in reizvollen Kurven und Rundungen. Überall
ist die Begegnung der Bildlinien mit dem Bild-
rand vortrefflich gegriffen. Überall spürt man
eine südliche Sensibilität, im Einzelnen wie im
Ganzen, im Geistigen wie im Handwerklichen
dieser Kunst.
Die Farbe lebt sich bei Modigliani in reinen,
kräftigen Tönen aus. Er hat vielfach lebhafte,
schmetternde Klänge, aber er kennt auch den
Reiz zarter, gebrochener Töne, schimmernder
Schwebungen des Lichtes. Modigliani hat in
der Farbe Verve, aber auch einen mondänen
Geschmack. Er ist hier aggressiv, dort von
zarter Empfindung, in der Wirkung aber immer
bestimmt und unzweideutig.
Es gibt in dieser Kunst eine unbewußte,
blühende Begabung, aber auch ein sicheres
Wissen und eine schier erstaunliche Virtuosität.
Kein Wunder, daß diesen sicheren Bemerker
die Landschaft nicht zu reizen vermochte!
Form — das war sein Ziel, sein Ehrgeiz, sein
Element. Er lebte nicht nur i n der Menschen-
welt, er lebte auch von ihr und durch sie.
Modigliani ist ein rein zivilisatorischer Typ.
Die Landschaft macht solche Menschen stumm,
aber zum Menschen haben sie eine unerschöpf-
liche Lust und werden nicht müde, zu ihm und
von ihm zu sprechen, ihn zu studieren und aus-
zudeuten.
Modiglianis Freunde haben von ihm als von
einem großen Künstler gesprochen. Ich denke,
ihm ist genug getan, wenn man das Reine,
Leichte und Jugendliche seiner Kunst anerkennt
und ihr die Freude dankt, die sie mit liebens-
würdiger Geste spendet............ o. l.
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