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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 56.1925

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Michel, Wilhelm: Oskar Coester
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https://doi.org/10.11588/diglit.9179#0320

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Oskar Coester-München.

OSKAR COESTER—MÜNCHEN.

GEMÄLDE »BODENSEE-LANDSCHAFT«

Zeiten: noch nicht erwacht, atmet der Geist,
blumenhafte, schuldlose Regung ist alles.

Es fehlt der Begriff. Das Ich spürt sich nicht.
Es ist noch ganz in Liebe eingebettet. Die
Wesen werden von innen her verstanden und
leben in einer lächelnden, schwebenden Heiter-
keit, mit der sich eine sublime Schwermut paart.
Es ist die Melancholie der Märchen. Der dunk-
len, schaurigen Märchen, in denen das Leid
der Welt einen unbewußten, wie durch Kinder-
träume gegangenen Ausdruck gefunden hat.
Ich sprach oben davon, daß hier einer das Glück
der Existenz gemalt habe. Das ist nicht in dem
Sinne zu verstehen, daß in diesen Bildern ein
starkes, potentes Lebensgefühl spreche, das
Wohlgemute eines ungebrochenen, kräftigen
Daseins. Wohl aber ist es dahin zu verstehen,
daß hier eine fast schmerzlich süße Verbunden-
heit mit den Geschöpfen spricht, ein Verschol-
lensein im warmen Abgrund der Schöpfung,
das als „Glück" nie fühlbar wird nach der
kalten, skeptischen Distanz vom Leben, wie
sie in der Kunst so häufig zu beobachten war.
— Coester hat in gewissem Sinne retrospektiv

begonnen. Das heißt: er pflegte im Anfang
eine gewandthafte Stilisierung, die nach ver-
gangenen Kunstweisen zurückgewandt war.
Heute scheint sich sein romantischer Impres-
sionismus bestimmter an der Natur zu orien-
tieren. Er gibt gewiß keine Porträts einmaliger
landschaftlicher Wirklichkeiten, er bleibt der
Lyriker, der er immer war; aber viele seiner
einzelnen Wendungen haben jenen Saft, jene
Frische, die nur aus unmittelbarem Verkehr des
Auges mit einer bestimmten Landschaft ent-
stehen. Die einzelne Prägung sichert er sich
aus der Begegnung mit der Natur; aber das,
was man den Reim nennen kann, das was in
der Lyrik als ungreifbare seelenhafte Färbung,
als Klang und Empfindung über dem Ganzen
schwebt und dem Gedicht erst seine Individu-
alität gibt — das stammt aus ihm. Betonte
der Expressionismus allzuschroff das Ich, den
Willen, den Geist, so sieht man hier dem Ver-
sinken in eine fast pflanzliche Ichlosigkeit zu.

Eine zarte, mystische Namenlosigkeit liegt
vor, ein ungesichertes, unbewehrtes Dahin-
schmelzen begibt sich, und dieser Maler scheint
 
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