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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 56.1925

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Schiebelhuth, Hans: Gedanken über den Stil
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https://doi.org/10.11588/diglit.9179#0339

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GEDANKEN ÜBER DEN STIL.

Stil ist das zur Norm gewordene Gepräge einer
lebendigen Ausdrucksgesinnung. — Wenn die
inneren Bestimmungen und die äußeren Bedingt-
heiten einer Epoche verfallen, verfällt notwen-
digerweise auch ihr Stil. Man vergleiche hierzu die
Art und Weise des stilistischen Ausdrucks in der
gotischen Epoche des frühen Mittelalters mit der der
Pseudogotik der sogenannten Giünderjahre. Die
alten gotischen Baumeister und Bildner schufen
ihre Werke unter dem Zwang des So-Müssens,
ihre späten Nachahmer schafften mit dem Wahn
und der Ermächtigung eines So-Könnens. Was
ihnen fehlte, war nicht das technische und praktische
Vermögen, sondern das nothafte Sollen. Das
Zwangsläufige der Geburt des Stils entscheidet für
die Echtheit, nicht die beliebig wählerische und
spielerische oder frei-könnerische Erkühnung.

Ich sagte, Stil sei das „zur Norm gewordene",
also keineswegs das freie, beliebige Gepräge einer
Ausdrucksgesinnung. Der Begriff des Normwer-
dens schließt von selbst eine Einheitlichkeit, eine
Einsinnigkeit des Wollens und der Geltung ein. Er
besagt, daß Stil nur auf gesellschaftlicher Grund-
lage (Gemeinde, Staat, Volk, Kulturzone, Welt-
epoche) ersteht und lebt, kurz, daß er nicht privater
Wesensausdruck eines, wenn auch noch so über-
ragenden Einzelnen ist und sein kann. Dieser Ver-
halt beleuchtet ziemlich grell das Verhältnis des
Einzelnen zur Allgemeinheit in Dingen der Kunst.
Gewiß, der Einzelne ist immer Gestalter, Verwal-
ter und Erhalter wie der Kunst überhaupt so auch
des Stils. Das Wesentliche aber liegt hierin, daß
er es nicht als Individualist, sondern als Typus ist,
daß es sich bei der Künstlerscbaft um amthaftes
Tun und nicht um persönliche Schrulle handelt. Ein
Beispiel möge den Fall erhellen. Man spricht mit
Recht von Brunelleschi als dem Schöpfer des Re-
naissancestils. Keineswegs aber war diese Tat eine
persönliche Kaprize des sehr individualistisch ein-
gestellten Messer Filippo, sondern der Fall liegt
so, daß Brunelleschi mit der Schaffung des Renais-
sancestils dem Zeitgeist der Kulturgemeinschaft,
der er zugehörte, einen normativ gültigen Ausdruck
fand. Stilschaffung ist also nicht Sache der Sonder-
gänger und Außenseiter, der Tüftler und Grübler.

Ich machte noch einen weiteren Ein wand,insofern
ich nicht von Ausdrucksgesinnung schlichthin, son-
dern von „lebendiger" Ausdrucksgesinnung sprach.
Ich wollte dadurch mit Knappheit andeuten, daß
Stil immer Form und nicht Formel sei, das sein
Wesen organisch-kanonisches Gesetz und nicht
schematische-schablonenhafte Anwendung sei. Die
Tatsächlichkeit diesesBewandtes ist einleuchtend:
 
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