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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 61.1927-1928

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Ritter, Heinrich: Geschmack und Lebenswirklichkeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.9249#0039

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Geschmack und Lebenswirklichkeit

julius hüther—n

gema 1,1 ii" »links der isar«

anderen Seite. Es gibt Geschmacksroheiten
bei derben, tüchtigen Menschen, deren Sinne
zu wenig verfeinert sind, die zwischen protzigen
Möbeln und schlechten Farben wohnen und
ihrer Lebensumgebung keine stilvolle Ordnung
zu geben wissen. Es gibt aber auch Geschmacks-
roheiten bei den wohlgekleideten Ästheten, die
sich keine grelle Krawatte, aber unter Umstän-
den schroffe Verstöße gegen seelische und
geistige Lebenswirklichkeiten zu verzeihen ver-
mögen. Es ist in der Geschichte der Mensch-
heit eine geradezu typische Erscheinung, daß
äußerste Geschmacks - Verfeinerung sich mit
schwerer seelischerVerderbnis zusammenfindet.

Wer tiefer bei sich selbst und anderen auf-
merkt, wird diese Spannung zwischen dem Ge-
schmack und der eigentlichen, tieferen Lebens-
wirklichkeit an vielen Punkten wahrnehmen.

r wird merken, daß der Geschmack ein außer-
ordentlich hoher Wert sein kann, ja daß sich
sogar ein Heroismus des Geschmacks den-

ken läßt, der dem ungeordneten Leben mann-
haft gebietet und es in haltungsvolle Form bringt.
Aber er wird auch merken, daß Geschmack
bloß die eine, die formale und die sinnliche Seite
des Menschenlebens betrifft; daß Geschmack
nur da das Wort hat, wo es auf Ordnung, Haltung,
Einfügung, Gebärde ankommt. Das eigentliche,
das stiftende und gründende Leben steht auf
der anderen Seite, und nie darf sich das Ge-
schmackliche an dessen Stelle setzen wollen.
Das führt immer zu teils lächerlichen, teils gro-
tesken, teils abstoßenden und widerwärtigen
Überschneidungen. An der ihm zukommenden
Stelle steht der Geschmack nur dann, wenn er
einem erfüllten seelisch-geistigen Leben die edle,
formvolle Gebärde verleiht.......... h r.

¥

Der Wissenschaftler sieht überall „Probleme",
weil die Wissenschaft die Kunst der Frage
ist. DieKunstdesKünstlersbestehtin derGestal-
tung eines Gleichnisses seines Daseins, g. v. l.
 
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