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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 61.1927-1928

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Schürer, Oskar: Unmusikalisch - Unmalerisch
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https://doi.org/10.11588/diglit.9249#0088

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PROF. JOS. HOFFMANN

»OFFENER SCHRANK«

UNMUSIKALISCH - UNMALERISCH

Immer wieder muß daran erinnert werden, wie
verschieden stark die Selbsterkenntnis aus-
gebildet ist, gerade wo es sich um Beurteilung
der verschiedenen Kunstgattungen handelt. Wie
oft hat ein jeder schon das Geständnis gehört:
„Ich bin gänzlich unmusikalisch. Eine Sinfonie
ist mir ein gleichgültiges — oder auch unange-
nehmes — Geräusch." Und immer war mit
solchem Geständnis ein bewußter Verzicht auf
jede Urteilsfähigkeit dem musikalischen Kunst-
werk gegenüber ausdrücklich verbunden. Wer
von uns aber hat schon ein Geständnis gehört
wie etwa dieses: „Ich bin vollkommen unma-
lerisch. Ein Bild ist mir ein vollkommen gleich-
gültiger Augeneindruck." Und wenn einer dies
Geständnis auch schon vernommen haben sollte,
so muß es ihm doch merkwürdig vorgekommen
sein, daß der gleiche Selbstbeurteiler denn doch
über Bilder, die eben zur Rede standen, ge-
urteilt hat. Zwar, er verstehe zwar nichts von
der Malerei, dies und dies Bild sei aber doch

abscheulich usw. Eine merkwürdige Verschie-
denheit also in der Konsequenz des eingestan-
denen Nichtverständnisses den verschiedenen
Kunstgattungen gegenüber.

Aber zurück zum Ausgangspunkt. Schon das
Bewußtsein, daß man für bildnerische Eindrücke
unbegabt sei, scheint wesentlich seltener zu
sein, als das, daß man der musikalischen Emp-
findsamkeit ermangele. Und das zeigt sich auch
in unserm Sprachgebrauch, der für jene Tat-
sache kein eigenes Wort ausgebildet hat, wie
z. B. für diese das „unmusikalisch". Denn „un-
malerisch" ist denn doch nur ein recht dürftiges
und nicht eindeutiges Behelfswort, das wir hier
nur vorläufig benutzen, um überhaupt mal zu
umreißen, um was es geht. „Ohnsichtig" be-
zeichnete das Wesen dieses Mangels schon
deutlicher, aber es klingt gar zu geschraubt, als
daß es sich einbürgern könnte. Und doch han-
delt es sich darum. Wieviele Menschen sind
ohne ausgebildetes Gesichtim Sinne von Sehen!
 
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