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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 61.1927-1928

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Schmitz, Oscar A. H.: Das Hässliche in der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.9249#0131

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Das Häßliche in der Kunst

braten, während die Kitsch-
kunst eine fade Süßspeise für
Satans unmündige Kindlein
war. Worin liegt nun der Un-
terschied zwischen der ver-
krampften Qual und schillern-
den Verwesung eines Grüne-
wald und der in allen Farben
des Regenbogens aufspritzen-
den Eiterbeule unserer kran-
ken, von Kokoschka so unbe-
dingt echt gefühlten und mei-
sterhaft dargestellten Zeit?
Nun, der Gegensatz ist im wört-
lichen Sinne himmelweit. In der
Kunst vor 1500 ist das Grauen
der Welt vom Himmel her ge-
sehen, und so ist das Göttliche,
wenn man will „das Wahre,
Schöne und Gute" immer, wenn
auch negativ anwesend. Das
einzig Wesentliche, auf das es
dem Künstler und seinem Pu-
blikum ankam, ist der Mensch
gewordene Gott, der nun den
ganzen Jammer des Fleisches
durchzumachen hat bis in die
scheußlichsten Stadien der Ver-
wesung, die ganze Tragik des
Menschen bis zu ungerechte-
ster Verkennung. Dieser ge-
kreuzigte Gott aber, das ist
der Mensch selbst. Eccehomo!
Je grauenhafter das Leid, das
Gott selbst auf sich nimmt, um
Mensch zu sein, desto deutlicher
offenbart sich im Bild die Er-
lösung des leidenden Menschen
durch die Erkenntnis seiner
Göttlichkeit. Ist auch er ein
Kind Gottes, so sucht er nicht
länger den Sinn des Lebens in
der unentrinnbaren Kausalität
des äußeren Lebens, sondern er unterscheidet
innerhalb dieser seine unsterbliche Seele, die
von jenem Geschehen nicht nur nicht vernich-
tet, sondern gerade durch den Kontrast mit
ihm sich ihrer göttlichen Art bewußt wird.

Umgekehrt verfährt der moderne Darsteller
des Häßlichen. Hier meint Aasgeruch nicht
Auferstehung, sondern Sieg der Zersetzung.
Wagt sich noch einer an die Jesuslegende heran,
dann ist nicht mehr von Christus, dem Sohn
Gottes, die Rede, sondern nur noch von einem
geschundenen Proletarier, der ungerechter po-
litischer Macht erliegt. In solcher Kunst sehen
wir, wie die Verdammnis allmählich die Erde

PAULO PICASSO-PARIS. GEMÄLDE »DIE BÜGLERIN«. BESITZER: ADLER—BERLIN

verschlingt. Ihre Bildnisse zersetzt Menschliches
in Satanisches, die Natur in Höllenlandschaft,
das Handeln in Triumph des Gemeinen, das
Leiden in Erliegen der Schwäche. Keine Tragik
mehr, keine Erlösung und kein Pathos, sondern
nur noch hohnlachende Verzweiflung im Augen-
blick des Todes. Aus dem Abgrund der Gotik
streben alle Linien vertikal nach oben wie in
einem Dom: „excelsior" ist der Grundsinn aller
Gotik, und so wird stets in ihr der Abgrund
Gegenpol zur Höhe. Hier aber heißt der hoff-
nungslose Grundsinn: „in profundis".

Die Gotiker unterstellten die Welt Satan
„dem Fürsten dieser Welt", auch viele Heutige

November 1927. 3
 
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