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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 61.1927-1928

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Born, Wolfgang: Genesis der Plastik: zu Anton Hanaks zeichnerischen Entwürfen
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https://doi.org/10.11588/diglit.9249#0207

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GENESIS DER PLASTIK

ZÜ ANTON HA.NAKS ZEICHNERISCHEN ENTWÜRFEN

Die Aufgabe, einem Menschen ein Denkmal
zu setzen, erschöpft sich nicht mit der
Lösung eines plastischen Porträts. Sinn und
Wesen der Skulptur bedingen von vornherein
eine andere Einstellung als die Malerei, deren
paradigmatischer Einfluß in einer musisch halt-
losen Epoche den Bildhauern verhängnisvoll
geworden ist. Dem Malerist es vorbehalten, auf
der Fläche seiner Leinwand einen Ausschnitt aus
der Welt der Erscheinungen zu geben, mit dem
Element der Farbe Reiz und Einmaligkeit geleb-
ten Lebens zu bewahren und durch das optische
Verhältnis des Bildes zum Beschauer — gebun-
den an die Vertraulichkeit des Innenraumes —
das Individuelle der Darstellung zu betonen.
Die Plastik verdankt dagegen ihre Freiheit wie
ihre Begrenzung dem Räume; sie selbst ist
Raum, tastbare Form, und als solche kein Aus-
schnitt , sondern ein Kosmos für sich. Mit der
monochromen Abstraktheit ihres Licht- und
Schattendaseins ist sie von vornherein gehalten,
das organisch sich Wandelnde in statuarische
Tektonik zu übersetzen. Und durch ihre Selbst-
ständigkeit als freies, von der Enge menschlicher
Behausung unabhängiges Wesen, schließt sie die
Intimität des Details aus: zwangsläufig führt sie
zur Typisierung. Der Bildhauer, damit betraut,
das Wesen eines Menschen mit seinen Aus-
drucksmitteln darzustellen, wird sich dessen
bewußt sein, was ihm versagt ist — aber auch,
was nur er geben kann: und das ist nicht die
vergängliche Erscheinung zeitgebundener Exi-
stenz, sondern die historische Gestalt, das zeit-
los gewordene Ich, untrennbar von seiner ob-
jektivierten Leistung, mit einem Wort: Legende.

Tiefste Erkenntnis von Weg und Ziel seiner
Kunst liegt jeder Arbeit Anton Hanaks zu-
grunde. Von der ersten, schattenhaften Vision
an ist alles Plastik, raumschaffende Phantasie
spricht von Urbeginn mit, und schon die Keim-
zelle des späteren Werkes trägt in sich die
sinnbildliche Schlagkraft der beherrschenden
Idee. Noch liegt aber ein unabsehbarer Weg
der Wandlung vor ihr. Der Künstler gibt sich
nicht zufrieden, ehe der früheste Einfall nicht
alle Möglichkeiten aus sich entfaltet hat, die er
hergeben kann. Es tritt ein — mitunter Jahre fül-
lender — Prozeß der Intensivierung ein, Seiten-
wege werden eingeschlagen und wieder verlas-
sen, wenn sie sich als unökonomisch erweisen;
einmal wird eine Lösung wie ein musikalisches
Thema durchvariiert, ein andermal treten Wert-

verschiebungen ein, je nach der Auffassung,
die der Bildhauer von seinem Modell in sich
entwickelt hat, und die sich nun etwa in dem
Wechsel von Betonung stimmunggebender Ar-
chitektur mit akzentuierter, allen Ausdruck auf
sich vereinigender Einzelfigur plastisch spiegelt.

So wächst das Werk . . . zunächst auf dem
Papier. Zeichnen ist für Anton Hanak innerste,
tägliche Notwendigkeit, um das ewig neu sich
gebärende Heer der Phantasmen, die an die
Oberfläche seines Bewußtseins drängen, zu
deuten. Jeder Tag sintert gezeichnete Blätter
aus, die, zusammengefügt, den Weg deutlich
machen, auf dem der Künstler in das Neuland
des noch Ungestalteten einzudringen sucht.

Anton Hanak ist eine tief musikalische Natur;
in seinem Leben spielen Eindrücke, die ihm von
Schöpfungen der Tonkunst zuteilwerden, eine
entscheidende Rolle. Die lösende und erlösende
Macht der Musik ist ihm Tröstung, Beflügelung
und Brücke zwischen der lastenden Enge der
Realität und der wahren Heimat der schaffen-
den Seele, die sich in den freien Bahnen harmo-
nischer Systeme bewegt. So lag es nahe, daß
Hanak sich eines Tages die Aufgabe stellen
würde, seine Beziehung zur Musik und den
Musikern durch plastische Werke zu mani-
festieren. Anregungen von Seiten der Öffent-
lichkeit gaben den äußeren Anlaß, und schon
kann man im Atelier das Gipsmodelleines Haydn-
Denkmals für Eisenstadt im Burgenlande sehen,
dessen Ausführung nahe bevorsteht. Auch an-
dere Pläne sind gereift und in den Serien der
Zeichnungen lebendig. Ein Zyklus gilt der zarten
Liedergestalt Hugo Wolfs, ein anderer, sehr be-
deutend in der Problemstellung, dem Fanfaren-
pomp der Erscheinung Richard Wagners. Aber
besonders mußten die Meister der Symphonie
dem Plastiker als Beispiel u. Erfüllung eigensten
Gestaltungsdranges gelten; denn die Grund-
elemente seines Werkes: Monumentalität, Syn-
these von Einzelkräften zu kollektiven Kunst-
gebilden und menschliche Allgemeingültigkeit
der Erlebnisinhalte bestimmen ihn als Sympho-
niker in der Ebene seiner Kunst. Die kosmische
Urkraft Beethovens, unzählige Male zu einer
Pseudo-Dämonie von vulgärer Eingängigkeit
verwässert, mit neuer Unmittelbarkeit in ihrer
wahren Gewalt sichtbar zu machen, war hier
erstes und höchstes Problem. Es galt, tief in sich
hineinzuhorchen, wo die Wellen des Klanges in
der Erinnerung rauschen, den Beethoven des
 
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