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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 61.1927-1928

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Born, Wolfgang: Genesis der Plastik: zu Anton Hanaks zeichnerischen Entwürfen
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Delius, Rudolf von: Vom Idealismus und idealistischer Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.9249#0212

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Genesis der Plastik

des Genius gebündelt aufsteigend. Nun folgen
wieder abstrakte Studien, aus denen sich eine
neue Form entwickelt, bei der die Statue vor
einen schrägen, von Figurenwerk reliefierten
Steinblock zu stehen kommt. Aber sogleich
empfindet Hanak die Starrheit des Quader-
werks als matt gegenüber dem organischen
Quellen des Phänomens, das er schildern will:
der steinerne Block wird durchgeknetet, auf-
gelockert, verlebendigt, und an seine Stelle
tritt die riesige Marmorgestält einer Göttin der
Musik, die gewissermaßen schützend ihre ge-
waltigen Massen hinter der Flügelherme erhebt.
Bis sich aus stufenhafter Verwandlung die end-
gültige Formulierung ergibt: auf einem Sockel
als Hochrelief das Bronzebildnis des Kompo-
nisten, und schräg darüber gelehnt, eben im Be-
griffe, ihre mächtigen Fittiche auszubreiten,
eine gigantische Gestalt. Aber es ist weder der

lodernde Jüngling aus feuergeborenem Metall,
noch die steinerne Göttin; von weiblicher Bil-
dung, aus der Kühle des Marmors gemeißelt,
das Haar bekränzt, lauscht ein Cherub, von flie-
ßendem Gewände umhüllt, dem gedämpften
Spiel der eigenen Finger auf den Saiten der Lyra,
die er ans Ohr gelegt hat. Die Augenlider sind
gesenkt. Alles ist innen, und strömend durch die
rhythmisch gebundenen Massen des Bildwerkes
hört das Auge Musik, melancholische Märsche
wandeln im geisterhaften Klang eines imaginären
Orchesters, lyrische Melodiebögen spannen sich
aus, und aufschwingend verströmt sich ein
glühendes Herz im Hymnus sphärischer Chöre.
Gustav Mahlers tönende Seele, seine Welten
umspannende Romantik und die schöpferische
Selbstverbrennung seines heroischen Ichgefühls
hat durch Anton Hanak ihre überzeugende bild-
nerische Prägung gefunden. . . wolfgang born.

VOM IDEALISMUS UND IDEALISTISCHER KUNST

VON RUDOLF VON DELtüS

Unsern Großvätern klopfte noch das Herz
laut beim Worte Idealismus. Heute pflegt
man skeptisch zu lächeln oder gar diesen Begriff
scharf abzuweisen als etwas gänzlich Veraltetes,
Professorenhaftes, Starres. Zunächst handelt es
sich um ein Wort, aber es ist doch immer sehr
bezeichnend für eine Kultur, welchen Inhalt sie
in gewisse Worte hineinlegt. Heute nun herrscht
in weiten Kreisen Mißverständnis über den Sinn
des Idealismus. Man karikiert eine Sache und
macht sich dann über sie lustig.

Was ist nun idealistische, auf Ideale gerich-
tete Kunst? Man empfindet sie meist als Gegen-
satz zur realistischen Kunst und meint etwa:
der idealistische Künstler ist abstrakt, blutlos,
lediglich Ideenkonstrukteur, dagegen packt der
Realist das wirkliche Leben an. Derartige „Idea-
listen" sind aber nur eine Kopie, Verdünnung,
Verfallsform des wahren Idealismus. Der echte
Idealismus hat die Realität völlig in sich auf-
gesogen, aber er bleibt nicht stehen bei den
Zufallsmomenlen des realen Augenblicks. Der
wahre Idealismus will den Kern der Wirklich-
keit herausschälen, das Typische, Wesentliche
und darum steigert er die Lebendigkeit des
Dinges, vergeistigt er das Ding. Denn jedes
Leben ist Geist. Geistig ist die gestaltende, for-
mende Kraftmitte einer Erscheinung. Dort ist
die innere Wahrheit, der Logos, das Seelen-
zentrum. Dies hebt der wahre Idealismus heraus.
— Idealismus steht also durchaus in keinem

Gegensatz zur Wirklichkeit. Er läßt nur jenes
geistige Lichtnetz, in das hinein jedes Ding ge-
baut ist, möglichst hell aufleuchten. Sobald nun
eine Epoche sehr ungeistig geworden ist, ver-
schwindet ihr jener Geistlogos, sie glaubt nicht
mehr an ihn, sie klammert sich dumpf an den
Stoff und hält das „Ideale" der Dinge für ein
Hirngespinst. — Es setzt eine allgemeine Ver-
leumdung des Idealismus ein. Und in solchen
Zeiten gibt es auch keine idealbildenden Künst-
ler mehr, denn jeder krankt an seiner Epoche,
man imitiert nur noch die Schalen der idealen
Kunst und die sind freilich leer.

An der Fähigkeit, das Ideale zu ergreifen, kann
man die Höhe einer Zeit messen. Alle großen
Kunstepochen waren idealistisch. Nehmen wir
eine griechische Götterstatue, eine chinesische
Landschaft der Sungzeit oder ein Fresko des
Giotto oder Raffael, es ist stets die gleiche idea-
listische Kunst: Durchbruch der Lichthelle des
Geistigen, das die Realität in sich enthält, aber
zerschmolzen und aufgelöst zum Wesentlichen.

Das Ideal ist immer das Ganze, eine Schöpfer-
welt, die aus dem Herren „Geist" besteht und
aus dem Diener „Stoff". Aber dies ist das
Wichtige: die Rangordnung darf nicht gestört
werden, der Geist muß Herrscher bleiben.

In gesunkenen Zeiten wird der Geist entthront
und die subalterne Materie plustert sich auf als
Selbstzweck. Und diese Zwerge und Lakaien
spotten dann über den „faden Idealismus". —


 
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