Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten (61.1927-1928)

Zur Frage der »Stilisierung«.

AUSST. MONZA • DEUTSCHE ABT.

»AUS DEM MÖBELRAUM«

lers. Denn dessen Werk enthält immer die volle
Anzahl derjenigen sachlichen Angaben, die ihm
für das Naturobjekt bezeichnend scheinen.

Wie kommt es aber, daß die Aussagen über
ein und dasselbe Naturobjekt (z. B. die Gestalt
des Menschen) von Künstler zu Künstler so
sehr verschieden sind, da doch alle mit den-
selben Sinnen vor denselben Dingen stehen?
Diese Frage stellen, heißt an der grundlegenden
Tatsache vorbeisehen, daß die allgemein be-
kannte und von jedem zugestandene Verschie-
denheit der Geister und Temperamente sich in
jederFunktion desKünstler-Ichsauswirkt; ganz
besonders auch schon im Sehen. Es müßte von
diesem Standpunkt aus vielmehr wundernehmen,
wenn die Verschiedenheiten der Wiedergabe
nicht vorhanden wären. Schon das bloße
„Sehen" heißt wählen; heißt sich entscheiden
für Züge, denen man Bedeutung beimißt, heißt

andre Züge vernachlässigen, die man für neben-
sächlichhält. Es heißt Akzente setzen, Wertab-
stufungen betätigen, Weltanschauung bekunden.

Und so wäre denn die ganze Angelegenheit
des Weltsehens der subjektiven Willkür der ver-
schiedenen Künstler anheimgestellt? Durchaus
nicht. Und zwar insofern nicht, als eben gerade
diese Künstler-Subjekte nicht nur verschieden
an Art, sondern auch an Wert sind. Es gibt
ein reiches und ein armseliges Sehen. Das
Weltbild vielseitig interessierter und vor allem
geistig festgegründeter Künstlerpersönlichkeiten
ist reicher, wertvoller und endgültiger als das
Weltbild flüchtiger und schwankender Menschen.
Es hat einen volleren und vielseitigeren Wirk-
lichkeitsbestand als das letztere, es sagt unendlich
viel mehr über das objektive, ja über das wirk-
liche und umfängliche Wesen der Welt aus.
Formal genommen hängen wir zwar alle in den