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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 61.1927-1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.9249#0300

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UNBEWUSSTES LEBEN. Heinrich v. Kleist
tritt in vielen Erwägungen für ungebrochene
Unmittelbarkeit und Unschuld des Lebens ein,
so auch in seinem Aufsatz „Über das Mario-
nettentheater", der zu seinen bekanntesten
Prosastücken zählt. Ein Genieblitz der Beobach-
tung! Ein Meisterstück der Erklärung! Und
durchaus pointiert in der Richtung des unbe-
wußten Lebens und der gewaltigen Bedeutung,
die ihm für die Unschuld und Echtheit aller
menschlicher Äußerung zukommt. Marionetten
sind ihm deshalb eine so wertvolle Erscheinung,
weil sie sich nicht „zieren" können. „Denn
Ziererei erscheint, wenn sich die Seele in irgend
einem andernPunkte befindet als in dem Schwer-

punkt der Bewegung." Und dann setzt er aus-
einander, welche „Unordnungen in der natür-
lichen Grazie des Menschen das Bewußtsein
anrichtet", und endet, fast in raunendem und
seherischem Ton, mit einem Hinweis auf die
zweite Unschuld, die wir uns, nach dem
ersten Sündenfall, durch ein zweitmaliges „ Essen
vom Baum der Erkenntnis" erringen müßten.
Er will damit sagen, daß der Geist zuerst als
das Lebenstörende in uns auftritt, und daß ein
zweiter, höherer Erkenntnisakt nötig ist, um
den aus der Lebensordnung herausgetretenen
Geist wieder in diese einzufügen. Ein tiefes,
wahres Wort, das an das innerste Geheimnis
jeder echten Menschwerdung rührt........
 
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