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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 61.1927-1928

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Michel, Wilhelm: Neue Plastiken von Moyssey Kogan
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https://doi.org/10.11588/diglit.9249#0306

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Neue Plastiken von Moyssey Kogan

MOYSSEY KOGAN—PARIS

akt-zeichnung »liegende«

erstgeborenen Energien. Man könnte sich
denken, daß man mit dem Künstler selbst über
seine Arbeiten spricht in einer Weise, als ob
sie ihn nichts angingen, so sehr sind sie, nicht
„gemacht", nicht einmal „geschaffen", sondern
quellend „entlassen" aus einem Urvorrat an
Gestalt. Wo gibt es sonst noch ein so tiefes
Wohnen im Leben, mitten in der Herzwärme,
im Brüten und Hegen? Wo ist sonst noch
an diese Geschöpflichkeit so echt und schön der
Geist gebunden, der einen Torso hinstellen
kann mit der Strenge und Gewalt einer Gesetz-
tafeJ, so daß er, wenngleich ohne Haupt, doch
mit hundert Augen blickt und das Leben des
Beschauers wie ein Richter mißt? Rilke hat es
so vor einem archaischen Torso Apollos emp-
funden :

Wir kannten nicht sein unerhörtes Haupt,
darin die Augeräpfel reiften. Aber
sein Torso glüht noch wie ein Kandelaber,
in dem sein Schauen, nur zurückgeschraubt,
sich hält und glänzt . .

denn da ist keine Stelle,
die dich nicht sieht. Du mußt dein Leben ändern.

Dieser Künstler, obschon er aus dem Ver-
borgenen heraus arbeitet und so dicht mit den
Geschöpfen zusammenwohnt, wie in seinen
Stickereien die Farben und Fäden dick und

brütend zusammenhocken — er kennt mit der-
selben Kenntnis die gesetzgeberische Gewalt
der Form. Er weiß Kleines und Kleinstes zu
geben, worin das verschwiegenste Lächeln der
alten Tanagra-Kunst wieder aufersteht. Er
weiß Gestalten zu erdenken, die die warme
Bluttemperatur von verliebten Spielpuppen
haben. Aber er hat uns auch mit Formen be-
schenkt, die alle Kraft und Aktion des Geistes
besitzen. Man mag seiner Kunst heute noch
die Quantität bestreiten und sie mit Diminutiven
behängen: mindestens mit ihrer Reinheit ist
sie im heutigen Europa ohne Beispiel, und dies
besagt, daß sie eine innere Größe besitzt, vor
der Quantitätsfragen bis auf weiteres in den

Hintergrund zu treten haben. . wilhelm michel.


Das Publikum irrt sich, wenn es nicht fühlt, daß
das Ewige den Vorrang vor dem Gegen-
wärtigen besitzt; noch mehr irrt es sich, wenn
es sich den Künstler als ein vibrierendes, sich
in Leidenschaft verzehrendes Wesen vorstellt.
Wogegen er doch, wenn er ausgeglichen ist,
einfach ein Geschöpf von prophetischer Gabe
ist; wenn er die Leidenschaften begreift und sie
wiedergibt, so bewahrt er dafür die Gesund-
heit und Kaltblütigkeit. puvis de chavannes.
 
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