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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 61.1927-1928

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Michel, Wilhelm: Kulturelle Dezentralisation
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https://doi.org/10.11588/diglit.9249#0352

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Kultur eile Dezentralisation

Wie wichtig diese Frage ist, ergibt sich daraus,
daß bekanntlich die Ausstellungstätigkeit der
deutschen Städte ständig zunimmt. Jede Stadt
sucht ihren Anteil am Fremdenverkehr zu ver-
größern, es ist ein fieberhafter Wettbewerb um
die größte Attraktion des jeweiligen Sommers
unter ihnen eingetreten.

Jede der provinziellen Kunstausstellungen
wirft somit erneut die Frage auf: Soll sich die
Ausstellungstätigkeit der Provinz auf der Linie
einer verkleinernden, verdünnenden Immitation
hauptstädtischer Kunstpflege bewegen, soll sie
deren weite Programme, deren Massenausstel-
lungen , die auf das Ganze der nationalen
Kunstproduktion gerichtet sind, mit sehr viel
schwächerem Ergebnis nachahmen? Oder soll
sie auch für sich die höchsten Maßstäbe aner-
kennen und sich dann durch klug umgrenzte
Programme die Möglichkeit vollwertiger Leistun-
gen sichern? Soll sie ein Diminutiv der haupt-
städtischen Ausstellungstätigkeit sein, oder soll
sie zu ihr in das Verhältnis einer richtig kalku-
lierten Arbeitsteilung treten? Soll sie das
ausstellerische Tun der großen Städte abge-
schwächt wiederholen oder soll sie es sinn-
voll und im gleichen Maßstab ergänzen?

Es kann unseres Erachtens nicht zweifelhaft
sein, daß für eine ernsthafte Kunstpflege nur

das Letztere in Frage kommt. Also: Bewahrung
höchster Maßstäbe auch in der „Provinz"; zum
Ausgleich spezialisierte Ausstellungsprogramme;
keine Verringerung des Qualitätsanspruchs,
nur eine bestimmte Abgrenzung der Aufgaben;
für diese aber dann voller Einsatz der Kräfte.
Wenn Zürich das Werk E. L. Kirchners und
Kokoschkas, Hannover das Werk James Ensors,
Mannheim das Werk Karl Hofers oder das
Schaffen der neuen Realisten, Karlsruhe die
Malerei der Schweiz, Darmstadt die Kunst des
alten Mittelrheins oder vergessene hessische
Wandmalereien in glänzender Vollständigkeit
vorführt, so ist damit unendlich viel Wert-
volleres getan, als wenn eine oder die andere
dieser Städte eine verkleinerte Wiederholung
des Münchener Glaspalastes oder der „Großen
Berliner" serviert. Wertvolleres für das gesamt-
deutsche Kunstleben und Wertvolleres für den
praktischen, den wirtschaftlichen Ausstellungs-
zweck. Denn vorbildliche Lösungen von Spezial-
aufgaben ziehen den Reisenden viel sicherer an
als schlechte Lösungen weiterer Programme.

Dies war es, was hier gesagt werden sollte.
Auf diese Weise wird es möglich sein, auch auf
dem Gebiet der Kunstpflege dem deutschen
Volke die Segnungen seiner kulturellen Dezen-
tralisation zu erhalten; ja, sie zu steigern, w. m.

MAURICE STERNE-PARIS. ZEICHNUNG »LIEGENDER AKT«

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