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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 61.1927-1928

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Hardenberg, Kuno Ferdinand von: Zeichnungen von Hans Unger- Dresden
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https://doi.org/10.11588/diglit.9249#0421

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Hans Unger-Dresden

Erde, als große Mutter, als ruhenden Pol in
der Erscheinungen Flucht. Eine ernste Auf-
fassung, die schon den ersten Bildern einen ge-
heimnisvollen Reiz verlieh, und die auch heute
noch Ungers Lebenswerk weit über den Cha-
rakter aller dekorativen Kunst hinausträgt!

Freilich hätte diese Auffassung kaum genügt,
Unger in Dresden mit an erste Stelle zu rücken,
wäre ihm nicht auch sonst ein entschlossenes
Streben auf stärkste Intensität zu eigen gewesen.
Er ließ es nicht bei der großen Auffassung be-
wenden, sondern ging auch in der Technik auf
Größe, auf Größe in der Linienführung und in
der Flächenbehandlung, auf Größe der Farben-
akkorde und der Raumverteilung, und so ward
er der geschätzte Meister, dessen starke Werke
in den öffentlichen und privaten Sammlungen
ihren Platz zu behaupten wußten und mit Ach-
tung genannt wurden, als Geisteskinder eines
Mannes, der sich nicht von der Natur meistern
ließ, wie die Impressionisten, sondern die Natur
auf seine Art unbeirrbar bekennerhaft zu mei-
stern suchte. Und auch seine Fruchtbarkeit
mußte man anerkennen, die ihm bald als Land-
schafter von Rang, oder als trefflichen Aquarel-
listen glühender Blumenstilleben, oder als fein-
sinnigen Plakatmaler erscheinen ließ.

So stand es um Ungers Bewertung vor 14
Jahren. Dann kam die Riesenzäsur des Welt-
krieges. Es kam eine neue Zeit mit Kunst-
revolution und Revolutionskunst, neue Ideen,
neue Ideale, neue Persönlichkeiten wurden ge-
priesen und auf den Schild gehoben. Früher
bewunderte Größen verschwanden, starben,
wurden vergessen, die Malerei und die schönen
Künste überhaupt traten in den Hintergrund
vor dem allgemeinen Gewoge der neuen Pro-
bleme, und erst ganz allmählich ward in der Welt
wieder Raum für Besinnlichkeit und Umschau
im Kulturgeschehen. Da begann man sich denn
auch wieder der Künstler von gestern zu erinnern,
sie aus dem neuen Zeitgeiste heraus zu bewerten,
und siehe da, man entdeckte, daß gar manche
von ihnen, allem Kubismus, allem Expressionis-
mus und aller neuen Sachlichkeit zum Trotz, auch
noch lebten, alle Stürme überstanden hatten
und sogar etwas zu sagen wußten. Und man
begann, sie wieder als wirkende Faktoren der
Kunstgeschichte in Rechnung zu stellen.

Zu diesen Künstlern gehört Hans Unger, der
sich nach längerem Schweigen und Verschwie-
gensein neuerdings wieder recht eindringlich
auf dem Plan gezeigt hat, und zwar besonders
in einer Ausstellung, die er kürzlich in Dresden
in der Galerie Baumbach veranstaltete.

Man sah dieser Ausstellung nicht ohne Span-
nung entgegen, obwohl sich jeder Kunstpsycho-

loge von vorn herein sagen mußte, daß von ihr,
in Anbetracht der seit langem festumrissenen
Persönlichkeit Ungers, keine wesentlichen Über-
raschungen zu erwarten sein würden.

Nun, das Ergebnis der Ausstellung hat be-
wiesen, daß Unger sich nur im guten Sinne ge-
wandelt hat, er hat seinen Aktionsradius in der
Zwischenzeit vergrößert, er hat sein Ausdrucks-
vermögen gesteigert, hat sich vereinfacht, im
übrigen aber ist er derselbe geblieben: Der
große Enthusiast und Bewunderer aller Erden-
schönheit und alles Erdenglanzes. Wer also
kunsthistorisch zu urteilen vermag, Niveau und
Format verschiedener Perioden abzuwägen
weiß und keine Parteibrille aufhat, braucht
sein Urteil über ihn nicht zu revidieren, er kann
seine Freude an dem neuen Oeuvre haben.

Es ist, was die Motive angeht, von buntester
Internationalität, aber nur was die Motive be-
trifft, im Geiste ist es durchaus „ungerisch1'.

Es ist die ehrliche Abrechnung eines Schön-
heitsfanatikers mit einer in sich überreichen,
phantastischen Welt. Das leidenschaftliche
Glühen des Unger'schen Temperaments ist in
diesen Werken die glückliche Synthese orien-
talischer Glut geworden, und das gibt das Be-
wußtsein einer stimmenden Gleichung, befrie-
digt. So ist er immer fesselnd, geistreich und
überzeugend, wie es nur ein Mann sein kann,
der sich durch endlose Studien im Schauen ge-
schult und am Schauen erfreut hat.

Besonders anziehend sind die Darstellungen
der afrikanischen Frau, die einen Hauptteil des
neuen Werkes ausmachen. Wer orientalische
Verhältnisse kennt, der wird übrigens wissen,
welche List, welche Mühe, welche Zauberkünste
erforderlich gewesen sein müssen, um diese
Studien überhaupt zu Stande zu bringen, um
Sittengesetze, Koran Vorschriften und Natur-
menschen - Keuschheit, die das afrikanische
Weib eisern umbarren, zu überwinden. Um so
dankbarer müssen wir Ungers Enthüllungen
begrüßen, die uns zu den „Kol"-umrandeten
ernsten Gazellen- und Antilopenaugen von
wunderbarer animalischer Pracht, auch noch
zarte bezaubernde Dinge zeigen, die Europäer-
augen sonst ängstlich verhüllt bleiben.

Und als Freund seiner Kunst wird man noch
hinzufügen können: Man kann sich an diesen
Frauenbildnissen auch noch aus einem anderen
Grunde freuen: Diotima ist in ihnen nicht tot,
Diotima lebt auch in ihnenI In näherer oder
weiterer Ferne schimmert sie ernst, heilig und
groß aus all den neu eroberten Zügen der Kin-
der des Niles und der Wüste, gibt ihnen einen
seltsam geheimnisvollen, schicksalhaften Zu-
sammenhang mit ihrem Schöpfer. ... k. g. h.

XXXI. März 1928. 8
 
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