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Leonardo
Leonardo da Vinci — Berlin, 1943

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https://doi.org/10.11588/diglit.42331#0174

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LEONARDO

IN FRANKREICH

Im Frühling des Jahres 1516 verlässt Leonardo da Vinci im Gefolge Franz* L von Frankreich
Mailand* Diese Übersiedlung mit „Exil“ %\x bezeichnen (x), heisst vergessen, dass der Meister
bereits seit fünfzehn Jahren „im Dienste des Königs von Frankreich“ stand* Wie hier eine morali-
sche Verpflichtung beginnt, sich entwickelt und in ihrem Verlauf eine Reihe von Krisen übersteht,
hat etwas durchaus Schicksalshaftes, und es lohnt sich die Mühe, diesem Vorgang eine gewisse
Aufmerksamkeit zu widmen*
1483 war Leonardo, dem Rufe Ludovico Sforzas folgend, nach Mailand gekommen* Während
einer Reihe ruhiger Schaffensjahre hatten sich die Leistungen seines schöpferischen Genies zu ihrer
einzigartigen Höhe erhoben* So musste der Sturz Ludovicos, der am 24* Sept* 1499 beim Herannahen
des französischen Heeres aus Mailand floh, für Leonardo wie für die übrigen Künstler um den
Moro zunächst ein entsetzlicher Schlag gewesen sein* Aber der Tenor der von Ludwig XII* gleich
nach seinem Betreten italienischen Bodens erlassenen Proklamationen und der frischere Wind in
allen geistigen Angelegenheiten, der bald darauf in dieser Welt der Umwälzung zu spüren war,
machten es Leonardo und seinem Kreis leicht, dem königlichen Sieger bereits vierzehn Tage nach
seinem triumphalen Einzuge in Mailand zu huldigen* Und hier schürzt das Schicksal im wahrsten
Sinne des Wortes „wunderbar“ seinen Knoten*
Von dem sensiblen Künstler zu dem fremden Herrscher, der dem Künstler in allem — von
der Kleidung bis zur Kultur — so durchaus verschieden ist, springt im ersten Augenblick ihrer
Begegnung jener Funke über, der beide für immer zusammenschweisst* Seit ihn der Blitzstrahl
getroffen, ist der königliche Sieger der Besiegte und sieht nur noch Leonardo und sein Werk* Diese
Werke will er mit sich nehmen, und diesen Menschen muss er an sich fesseln*
Überwältigt vom „Abendmahl“ denkt Ludwig XII* daran, es von der Mauer ablösen zu
lassen und eine der Kathedralen Frankreichs mit dem Fresko zu schmücken* Das Reitermonument
für Francesco Sforza lässt er auf einer piazsa aufstellen und erbittet das Modell für den Louvre*
Der Schöpfer selbst soll seiner Schöpfung folgen: herrlichstes Unterpfand jenes Unternehmens,
das Italien in seiner allumfassenden Ganzheit zum Ziel hat*
Und der Künstler? Er weigert sich nicht* Auch er ist bezwungen und fügt sich dem Wunsche
des Fürsten* So tritt Leonardo „in die Dienste des Königs“*
Sieht man diesen ganzen Fragenkomplex vom distanzierten Standpunkt des Heutigen aus:
welches sind dann die Gründe dieser plötzlichen Freundschaft, für die es so gar keine Voraussetzung
zu geben scheint? Darf man vermuten, dass Ludwig XII* die urgründig-tiefe Weisheit und das
geheimnisvolle Fluidum der Kunst Leonardos intuitiv begriffen hat? Sicher nicht 1 Aber Ludwig
von Frankreich ist hingerissen von dem hohen, ihm bisher völlig unbekannten Grad der „Voll-

(x) Die Publikation „Sapere“ prägt auf S. 505 den Satz: . freiwilliges Exil in Frankreich, wo Leonardo bei dem ritterlichen König Asyl
sucht...'" Die Bemerkung wird ohne Beleg gebracht.


Franz I. v. Frankreich - Paris, Louvre
Schule des Clouet


Der Lauf der Loire - Codex Atlan-
tiks, fol. 336 verso-b

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