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Leonardo
Leonardo da Vinci — Berlin, 1943

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https://doi.org/10.11588/diglit.42331#0416

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PHYSIOLOGE

LEONARDO ALS

Es wäre richtiger gewesen, dieses Kapitel zu überschreiben: Leonardo als „Anatom-
Physiologe“, und das nicht, um Leonardo, im modernen Sinn des Wortes, gleichzeitig als Anatom
und Physiologen zu bezeichnen, sondern weil seine Physiologie hauptsächlich darauf hinstrebt, die
Tätigkeiten des menschlichen und tierischen Körpers ins Licht zu rücken, so wie das bei einer
unmittelbaren oder vorausgegangenen Leichensektion möglich ist* Diese Idee ist sehr gut von De
Toni mit folgenden Worten erläutert worden: „Leonardo hat den Bau des menschlichen und tieri-
schen Körpers nicht deshalb erforscht, um sich nur die anatomische Kenntnis anzueignen, sondern
vor allem, um die Anatomie in ihren Anwendungen kennen zu lernen, die sie in der Kunst haben
kann oder vielmehr soll, wie auch ihre physiologische Bedeutung“ (x)* Bei Lanzillotti-Buonsanti
lesen wir: „Leonardo versuchte ferner, mit Hilfe der Physiologie bis zum tiefsten Grunde der kalten
und unverrückbaren anatomischen Wahrheiten vorzudringen, indem er der anatomischen Feststellung
ihre wahre Bedeutung beimasz und sie betrachtete, wie sie tätsächlich ist: Werkzeug der lebendigen
Natur und daher nicht zu trennen von der Tätigkeit der Organe“ (2)* Und tatsächlich, noch vor
De Toni hatte Lanzillotti-Buonsanti folgendes Urteil über das physiologische Studium Leonardos
abgegeben (2): Arsene Houssaye (3) sagt zutreffend, dass Leonardo das Leben sogar noch im Tode
suchte; die über dem Eingang eines anatomischen Institutes zu Paris geschriebenen Worte (Hic
locus est, ubi mors gaudet succurrere vitae), welche deutlich von der Wichtigkeit des anatomischen
Studiums an der Leiche sprechen, um die Lebenserscheinungen des Organismus zu ergründen, fanden
in ihm einen Vorläufer und vollkommenen Ausleger“* „Diese enge Beziehung zwischen der anato-
mischen Feststellung und der organischen Tätigkeit stellt den entscheidenden Punkt des Leonardi-
schen Gedankens dar* Auf dem Gebiet der Physiologie zeigt sich die ganze Grossartigkeit seiner
Eignung für einen gründlichen Beobachter und modernen Psychologen“* Die Physiologie als eigene
Wissenschaft, unabhängig von der Anatomie, bestand noch nicht zur Zeit Leonardos; sie entstand
erst zwei Jahrhunderte nach ihm* Nicht einmal das Wort „Physiologie“ im heutigen Sinn war damals
üblich* Im Mittelalter ging durch die Hände der Naturalisten ein Buch mit dem Titel „Physiologus“*
Aber es war nur ein Gemisch von Berichten, Fabeln, Märchen über Tiere, Schlangen, Steine, als
Glücks- oder Unglücksbringer des Menschen* Der heidnische Kern, wie er in ihm wohnte, wuchs
durch christliche Ideen und entwickelte sich zu einer Art Naturreligion* Im „Physiologus“ findet
man den Ursprung dieses reichen Symbolismus der mittelalterlichen Baukunst* Zur Zeit Albertus
Magnus* wurden die Behauptungen dieses Buches sogar von Gelehrten, wie einem Vinzenz von
Beauvais und einem Thomas von Chantimpre, angenommen* Sogar Albertus Magnus war nicht
immer gefeit gegen den Einfluss des „Physiologus“ (*)*
Weder bei Leonardo noch in den Werken der Arzte und Anatomen, welche ihm vorausgingen

(*) G. B. De Toni: Die Biologie Leonardo da Vincis. - Venedig, 1903, S. 12 und 13.
(2) A. Lanzillotti-Buonsanti: Der anatomische Gedanke Leonardo da Vincis in seiner Beziehung zur Kunst. (Königl. Akademie der bildenden
'Künste in Mailand). - Mailand, 1897, S. 8-9.
(3) A. Houssaye: Histoire de Leonardo da Vinci. - Paris, 1869, S. 77.
(4) P. Girolamo-Wilms O. P.-Alberto Magno - Übersetzung von P. Isnardo Marega O. P. - Bologna, 1931, S. 45-46.


Verzweigung von Hollunder - Ms. G,
fol. 29 recto


toi. 27 recto

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