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Leonardo
Leonardo da Vinci — Berlin, 1943

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https://doi.org/10.11588/diglit.42331#0196

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DENKER

LEONARDO ALS

Leonardo, der göttliche Leonardo, der Schriftsteller des Cinquecento (wie der göttliche Ariost
oder der göttliche Michelangelo), ist der vollendetste Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit der
Renaissance» Göttlich, wie die Zeitgenossen dunkel empfanden, durch die schöpferische Kraft seines
künstlerischen Genies; er ist die typische Gestaltwerdung jenes menschlichen Ideales, das die aus-
gesuchteste Frucht dieses wunderbaren Zeitalters ist, ganz Licht der Poesie, Strahlen der Intelligenz
und ungezügelte Energie des Charakters» Ein Ideal, das sich im Leben gebildet hatte, denn der
Humanismus hatte die begabtesten Individuen von jedem Vorurteil und jeder Voraussetzung befreit
und ihnen ein vollständiges Vertrauen in die eigene Kraft und überhaupt in die Freiheit des Geistes,
der fähig ist, sich seine Welt zu schaffen, eingegeben» Aber aus dem Leben trat das Ideal an das
Licht des Bewusstseins und wurde überlegte Doktrin und Philosophie und ein fester Glaube, der
imstande war, das Leben selbst zu lenken» Und nicht nur in der Kunst und der Betätigung des
Verstandes, sondern auch in den Waffen, in der Eroberung des Reichtums wie im Bau des Staates
mittels List und Gewalt, die würdig sind, Tugenden genannt zu werden (wie es auch in der Tat
geschah), denn sie waren in Wahrheit Fülle menschlicher Aktivität, mit Zielen, die über die Einzel-
person hinausgingen; der Mensch vergötterte sich selbst in der wunderbaren Vorstellung einer
selbstbewussten Kraft, die, indem sie nur von sich selbst ausgeht und sich nur auf sich selbst ver-
lässt, das Problem ihres Lebens lösen kann und sein kann, was sie sein muss» Es ist der Glaube
Machiavellis wie der Leonardos» Der Glaube an den Menschen, der Geist ist: jenes Wesen, das
nicht von alleine da ist, sondern sich zu dem macht, was es ist, indem es sich aus eigener Kraft
erhebt, durch das Studium, durch den Willen, durch das Erhalten des Studiums und des Willens
auf der Ebene, auf der es leben und das Schicksal überwinden, sich befestigen, sich Ehre machen
will» Es ist der Glaube, der die eingeborene Kraft des menschlichen Individuums vervielfacht,
indem er den ständigen, heftigen Drang in ihn legt, alle seine Energien zur Anwendung zu
bringen, alle seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen, sich aller Hilfsmittel zu bedienen, mit
denen es seine Kräfte vervielfachen kann, und sich auf allen Gebieten zu messen, die ihm bereits
offen stehen oder die es mit seinem Geist und seinem hartnäckigen Willen sich erschliessen kann, alle
Kämpfe auszufechten und alle entgegenstehenden Kräfte der Natur oder der Menschen zu besiegen»
Daher ein unauslöschlicher Wissensdurst und eine stolze Unzufriedenheit mit jeder bruchstückhaften
und begrenzten Wissenschaft; schliesslich ein unwiderstehlicher Drang, jede trennende Mauer
zwischen Theorie und Praxis, Wissenschaft und Kunst, Gedanken und Handlung zu zerbrechen»
Denn für diesen Menschen — der ein Sohn des Humanismus und Urheber der Renaissance ist —
gibt es keine Handlung, die nicht die Erprobung des Gedankens in der Wirklichkeit wäre, in der
er gross werden und sich durchsetzen muss; noch gibt es einen Gedanken, der machtlose und untätige
Beschaulichkeit wäre, die den Verstand in den engen Grenzen der Einzelpersönlichkeit einschliesst»
Die Wissenschaft ist eine Waffe des Menschen zur Begründung jener Herrschaft des Menschen
über die Natur, die von Francis Bacon als die grosse Aufgabe der Neuzeit für ganz Europa prokla-
miert werden sollte» In der Tat wird sich der Mensch nie im Glauben an die eigene Freiheit ganz
sicher fühlen können, wenn er sich nicht in Bezug auf die doppelte Ordnung der Theorie und der
Praxis ganz eins und als unteilbares Wesen fühlt; Theorie und Praxis kann ja nur eine abstrakt
inteilektualistische und daher mindestens der Tendenz nach materialistische Philosophie als zwei
verschiedene Formen der menschlichen Tätigkeitansehen»


Allegorie von dem Bauern, der den
Marder aus dem Bau jagt - Sammlung
Miss. Clarke - London



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Allegorische Szene für eine Medaille
oder Gemme - Kgl. Sammlung in
Windsor, Nr. 12700 verso

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