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Leonardo
Leonardo da Vinci — Berlin, 1943

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https://doi.org/10.11588/diglit.42331#0266

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LEONARDO UND DIE MUSIK

Will man über dieses verführerische Thema der Leonardokunde handeln, so muss man
vorausschicken, dass beim gegenwärtigen Stand der Forschung die Gestalt Leonardos als Musiker
die allerunbestimmteste ist, die das vielseitige Genie hinterlassen hat* Und wenn der Verfasser der
Abhandlung sich an ein Publikum von Nicht-Fachleuten wenden will, so muss gleich hinzugefügt
werden, dass die Lösung des Problems mehr den Musikhistoriker als den Musiker interessiert; in
hohem Masse den Wissenschaftler, der neues Licht in die Kunstgeschichte einer wenig durch-
forschten Zeit zu bringen sucht; weniger den Künstler, der hoffen mag, unbekannte Musik zu
finden, die des grössten Italieners würdig ist* Dieser hofft noch auf derartige Funde, die Musik-
historiker hoffen nicht mehr*
Es ist schwer, ohne Prüfung an einen „grossen Musiker“ Leonardo Zu glauben* Man weiss,
dass die Zeit von 1474 bis 1519, während der er sich als Komponist praktisch betätigt haben
könnte, in der Schule wie in der Hofkunst ganz von den flämischen Meistern der sogenannten
„dritten Periode“ beherrscht ist, und in der Volkskunst von Formen, die weniger bekannt sind,
als dies nötig wäre; die frottola, die villotta, der rispetto, der strambotto und die allgegenwärtige
polyphone Kanzone, die in Italien und Frankreich höfisch, im vorlutherischen Deutschland und im
mystischen Spanien geistlich ist; dort mit Einflüssen von den Meistersingern, hier mit Resten von
den Troubadours und Mauren und auf wechselnde Weise von Zupfinstrumenten begleitet*
Nun, die ersten Druckwerke Petruccis, welche die Mode der Zeit in Italien spiegeln, bieten
uns Motetten und Kantonen von De Orto und Agricola, von Okeghem, Giosquino und vielen
anderen Flamen oder auch von den unzählbaren italienischen Frottolisten (frottola = spasshaftes
Lied), aber sie bieten uns nicht eine einzige Kanzone von messer Leonardo da Vinci, dem florentini-
schen Ingenieur im Dienste des Herzogs von Mailand, der doch in jener intelligenten und intellek-
tuellen Welt so bekannt und so berühmt war, welchem der umsichtige Verleger die „Odhecaton A
e B“, die 10 Bücher mit frottole, die tabulature (Notenhefte) für Laute und die ganze übrige Pro-
duktion seiner eigenen Druckereien in Venedig und Fossombrona widmete* Und nicht nur Petrucci,
Antico und deren Nachfolgern in der Druckerwerkstatt war zu Lebzeiten Leonardos unbekannt,
dass dieser ein bedeutender Musiker war; auch Attaignant und die anderen französischen Verleger,
die doch eifrige Ausgräber waren, erinnerten sich 20 oder 30 Jahre nach seinem Tode nicht an
den grossen Schützling des Königs von Frankreich*
Kurz, die sichersten Dokumente, nämlich die gedruckten, fehlen uns, und dieses Fehlen ist
von Umständen begleitet, die uns zwingen, es eher als eine Verneinung denn als Vergesslichkeit
auszulegen* Es ist dies ein unangenehmer Anfang für die Untersuchung des „eccellente musico“ wie
ihn Vasari nennt* Und wenn wir das Unbehagen des enttäuschten Musikers überwinden und dem
geduldigen Musikhistoriker lauschen, indem wir uns den anderen Quellen, den biographischen und
ikonographischen, nähern, finden wir Bestätigungen, die beim Näher kommen an Gewicht zunehmen
und schliesslich sehr beachtenswerte Bedeutung gewinnen* Leonardo war kein Komponist; wenig-
stens hatte er nicht den Willen oder die Geduld zu schreiben* Aber die Musik kannte und liebte
er und übte sie aus: und brachte ihr einen wichtigen Beitrag*

*
* *

Die biographischen Quellen, die Vasari aufgenommen hat, sagen uns, dass Leonardo als
Jüngling in Florenz Schulen jeder Art — ausser der von Verrocchio — besucht hat: wir


Zwei musikalische Phrasen Leonardos
- Kgl. Sammlung in Windsor, Nr.
12697 und 12699


JlAi yilAltl



Die mechanische Violine Leonardos -
Studie auf. fol. 218 recto-c des Codex
Atlanticus

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