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Leonardo
Leonardo da Vinci — Berlin, 1943

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https://doi.org/10.11588/diglit.42331#0246

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VINCIS

DIE PHYSIK

Über die Physik Leonardos ist viel Schönes, doch bisher keine erschöpfende Darstellung
geschrieben worden; vielleicht ist auch der Zeitpunkt noch nicht gekommen* Die Handschriften
Leonardos stehen nun nahezu alle den Gelehrten zur Verfügung, jedoch bleibt das Problem ihrer
Quellen teilweise unerforscht; ferner ist auch die Frage ihrer zeitlichen Aufeinanderfolge unlösbar»
Ihr ist auch keine allzugrosse Bedeutung beizumessen» Umso wichtiger ist es, sich mit Leonardos
Gedanken zu befassen» Ich halte das vielmehr für die einzige Lösung» Gewisse Fragen erweisen sich
als unlösbar, doch für Leonardo war es durchaus nicht notwendig, sie zu lösen» Er lernte von den
Griechen, von den Arabern, von Giordano Nemorario, Biagio von Parma, Albert von Sachsen,
Buridano, den Oxforder Gelehrten, dem unbekannten Vorläufer Duhems; er griff aber nur mehr oder
weniger behandlungswerte Ideen auf» Hiervon ausgehend und deshalb neu ist sein Interesse für jedes
Naturgeschehen und die Fähigkeit, mit blossem Auge das wahrzunehmen, was andere kaum mit
Hilfe von Instrumenten zu unterscheiden imstande sind» Durch diesen seinen gewaltigen und aus-
schliesslichen Beobachtungsgeist unterscheidet er sich von seinen Vorläufern und von Galilei» Seine
Handschriften sind im wesentlichen nicht geordnet und indem man versucht, sie in Abhandlungen
im Sinne der eigentlichen modernen Wissenschaft umzuarbeiten, zerschreibt man sie» Leonardo ist
kein Uber-Galilei (man muss das betonen); er ist ein grosser Naturliebhaber, kein philosophischer
Gelehrter» Vielleicht geht er manchmal auch weiter als Galilei, jedoch mit einem anderen Geiste»
Da, wo Galilei eine Abhandlung schreiben würde, verfasst Leonardo eine Unzahl von Aphorismen
oder Anmerkungen aus der Wirklichkeit; während Galilei so logisch ist, dass er zuweilen Pedant
wird, sieht und beobachtet Leonardo, ohne sich zu sehr mit Theorien den Kopf zu zerbrechen» Und
sehr oft stellt er eine Tatsache fest, ohne nicht einmal ihre Erklärung zu versuchen» (Das ist eines
seiner Verdienste: wenn man keine gute Theorie zustande bringt, ist es besser, die Hand davon zu
lassen)» Da es mir bei der Begrenztheit des Raumes nicht möglich ist, die ganze Physik Leonardos
Zu untersuchen (und übrigens würde ich das Gebiet anderer Mitarbeiter berühren), werde ich mich
nur auf einige der wichtigsten oder am meisten vernachlässigten Punkte beschränken»
Leonardo hat zu den Grundbegriffen der Mechanik einen Beitrag ersten Ranges gegeben, man
kann sagen, dass er allen drei Grundbegriffen Erhebliches hinzufügte» Der zweite Grundsatz hat
davon nichts angenommen, da er immer der Aristotelischen Lehre treu blieb, welche in der Folge
jedoch von Galilei in seinen Gesprächen, enthalten in den „Grössten Systemen“ und den „Guten
Wissenschaften“, zerstört wurde» Aber einige Besonderheiten über die von ihm entdeckte schiefe
Ebene stehen in Einklang mit den Gesetzen Galileis» Sein Beitrag zum ersten Grundsatz ist so bedeu-
tend, dass viele statt vom Beharrungsvermögen vom Grundsatz Leonardos sprechen» Man hat auch ge-
sagt, dass es Galilei nicht gelungen sei, sich zu dem Allwissen Leonardos zu erheben* „Jede Bewegung“
— so liest man im Codex über den Flug der Vögel (fol. 13 recto) — „will sich erhalten, oder besser
gesagt, jeder in Bewegung gebrachte Körper setzt seine Bewegung fort, insofern in ihm der Einfluss
auf seine Bewegungskraft erhalten bleibt“» Und im Cod* Atl* (fol» 109 verso-a): „Jeder Körper setzt
solange seine Bewegung in gerader Linie fort, als irfihm die Heftigkeit der Bewegungsursache dauert“*
In diesen Worten finden wir zweifellos den Grundsatz des Beharrungszustandes der klassischen
Mechanik angedeutet, nur verbunden mit der Lehre vom Antrieb, welche von Buridano und
Albert von Sachsen ausgearbeitet wurde» Es ist wahr, wie Marcolongo schreibt, dass in jener
Theorie mehr oder weniger nachdrücklich der Gedanke von der treibenden Kraft des Bewegungs-
Zentrums vertreten sei, welche die von aussen gesetzten Widerstände neutralisieren kann, während,
wenn diese störenden Ursachen fehlen, diese Bewegung unbegrenzt anhalten müsste* Es ist jedoch
gleichfalls nicht zu leugnen, dass diese Folgerungen von Leonardo^'nicht! angenommen wurden, da



„Der Versuch über die Anziehung
der Feuchtigkeit durch die Wärme
wird so gemacht; man erwärmt ein
Glasfläschchen stellt es über einen
Behälter mit der Öffnung nach unten,
berührt es mit einer glühenden Kohle.
Die Feuchtigkeit, wird steigen und
das Fläschchen mit Wasser anfüllen
während die im Fläschchen eingeschlos-
sene,. Luft sich einen Ausweg durch
die Öffnung verschafft - Cod. Atl.,
fol. 56 recto

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