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Leonardo
Leonardo da Vinci — Berlin, 1943

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https://doi.org/10.11588/diglit.42331#0442

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PHONETIS
AUS LE

CH - LINGUISTISCHES
ONARDOS WERK


Wert und Tragweite der phonetisch-linguistischen Tätigkeit Leonardos können erst nach
Einsicht in den Stand der „Linguistik“ vor und zu Leonardos Zeit gebührend gewürdigt werden»
Nachfolgende geschichtliche Einleitung ist allerdings nur eine Skizze; eine erschöpfende Darstellung
ist wegen der Knappheit der erforderlichen Unterlagen noch nicht ausführbar»
Stimme und Laute, die Elemente der Sprache, werden erzeugt durch Bewegungen des Pho-
nationsapparates (Atmung, Kehlkopf, Ansatzrohr)» Mit Lauten bilden wir Wörter und mit Wörtern
Sätze, wodurch wir dann geistige und seelische Vorgänge ausdrücken» Stimme und Laute — sowie
auch ihre Störungen — sind schon lange vor Leonardo Gegenstand wiederholter Forschung seitens
der Philosophen, Ärzte, Grammatiker usw» gewesen» Von diesen Forschern erwähne ich nach-
stehend nur die hervorragendsten»
Die Ernte aus dem Corpus hippocraticum fällt sehr dürftig aus» Hippokrates betrachtet Stimme
und Laute beinahe ausschliesslich vom Standpunkt der Semiotik» Rein phonetisch äussert er sich nur
zweimal» So lesen wir in „De morbis“ (Opera curavit Cornarius 1546, S» 242 und 243):,, Wir bilden
die Stimme mit Hilfe der Lunge, weil diese leer ist und eine Röhre darauf sitzt; die Stimme wird durch
die Lippen und die Zunge gegliedert»»♦ Die Röhre der Lunge ist mit einem Deckel versehen, der die
Form eines Epheublattes hat, so dass beim Schlucken das, was die Richtung in die Lunge einschlagen
wollte, nicht hindurchgehen würde“, und weiter in „De carnibus“ (ebd» S» 59-60): „Der Mensch
spricht durch die Luft, die er in seinen ganzen Körper und besonders in die Körperhöhlen hineinzieht»
Wenn die Luft durch den leeren Raum hinausgestossen wird, so erzeugt sie einen Schall (eigentlich
Geräusch), weil der Kopf mitschwingt» Die Zunge artikuliert durch ihre Schläge, indem sie (die
Luft) im Hals auffängt und gegen den Gaumen, sowie gegen die Zähne stösst, wodurch sie den
Schall deutlich gestaltet» Wenn die Zunge nicht jedesmal artikulieren würde»»», so würde der Mensch
nicht so deutlich sprechen und würde nur einige einfache Naturlaute erzeugen» Den Beweis hierfür
liefern die Taubgeborenen, die nur einfache Laute bilden, da sie nicht sprechen können“» Von der
wirklichen Tätigkeit des Phonationsapparates besass also Hippokrates keine richtige Vorstellung»
Auch Aristoteles* Anschauungen über das Zustandekommen der Stimme sind ebenso ungenau
wie die des Hippokrates» Allerdings hat er sich öfter und ausführlicher als Hippokrates über Pho-
nationsvorgänge geäussert, so z* B» über die verschiedenen Stimmfarben beim Menschen und bei
den Tieren, sowie über Erscheinungen aus der unbelebten Schallwelt (Opera curavit Casaubonus
1590» I» Bd», De anima II, 8, S» 393-394)» Neben Ergebnissen unmittelbarer Beobachtungen finden
wir andere, die offenbar auf spekulativem Wege gewonnen wurden (De audibilibus, ebd» I» Bd»,
S» 732-735)» Besonders erwähnenswert sind die 65 (apokryphen?) Fragen, vorwiegend aus dem
Gebiete der Stimme (ebd» 2» Bd», Problematum sectio XI, S» 422-429)» Den Lauten schenkt
Aristoteles kaum mehr Beachtung als Hippokrates» Er unterscheidet in der akustischen Welt: Schall,
Stimme und Laute» Diese letzten sind nichts anderes als das Ergebnis der Gliederung der Stimme
durch die Zunge» Die Vokale werden durch die Stimme und den Kehlkopf, die Konsonanten da-
gegen durch die Zunge und die Lippen gebildet (ebd» I» Bd», De hist» animalium IV, 9, S» 510, C)»
In dieser Beziehung wiederholt Aristoteles also das bereits von Hippokrates Gesagte»


Muskelbau der Sprechorgane - Ana-
tomiehefte, Bd. V, fol. 17 recto


Leonardo hat erstmalig die Bezie-
hungen zwischen dem Kehlkopf und
der anliegenden Muskulatur erkannt
und ganz richtig die Mitwirkung des
Kopfnickermuskels bei der Stimmbil-
dung beurteilt - Anamiehefte, Bd. I,
fol. 10 recto

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