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Leonardo da Vinci — Berlin, 1943

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https://doi.org/10.11588/diglit.42331#0226

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LEONARDO DA VINCI IN ENGLAND

)

„Leonardo da Vinci in England“ bedeutet als Thema ein interessantes Kapitel in der Geschichte
der künstlerischen Beziehungen zwischen Italien und dem vereinigten Königreich* Obwohl aus
bekannten Gründen während des grössten Teiles des Mittelalters in England unter den fremden
Einflüssen der Frankreichs an erster Stelle stand, darf man trotzdem daran erinnern, dass auch
während dieser Epoche die künstlerischen Bande zwischen Grossbritannien und Italien eine beach-
tenswerte Bedeutung besassen* Der Herrscher, der am Ende des Mittelalters den Morgen der
Renaissance in England heraufführt, nämlich Heinrich VIIL, fördert die italienische Kunst in einer
Weise, die an seinen glänzenden Zeitgenossen in Frankreich, Franz L, erinnert* Zur Zeit Heinrichs
VIIL geht es allerdings mehr um Bildhauer als um Maler: der berühmteste unter jenen war Pietro
Torreggiani, dessen wenig schmeichelhafte Bemerkungen über die Engländer dadurch Unsterblich-
keit erlangten, dass Benvenuto Cellini sie in das zwölfte Kapitel des ersten Buches seiner Selbst-
biographie aufnahm* Es wäre nicht uninteressant sich auszumalen, welchen Zauber die Persönlichkeit
eines Leonardo auf Heinrich VIII* hätte ausüben können* Holt er sich denn nicht wirklich jenen
Girolamo da Treviso, einen Italiener, der, den Maler mit dem Militärarchitekten verbindend,
wenigstens auf einer niedrigeren Stufe eine Analogie zu dem Universalgenie Leonardos bildet! Aber
keine Einladung gelangt an Leonardo von England aus, und der Meister überquerte niemals den Ärmel-
kanal, über dessen „Ebbe und Flut“ sich eine kurze Bemerkung in einem seiner Codizes findet (x)*
Im Jahre 1534, also fünfzehn Jahre nach dem Tode Leonardos, findet der Bruch zwischen Hein-
rich VIIL und der katholischen Kirche statt, ein Ereignis, das auf künstlerischem Gebiete eine radikale
Veränderung der Beziehungen zwischen Italien und England bedeutet und letzten Endes dahin führt,
dass die italienische Kunst des Cinquecento in weitestem Masse „terra incognita“ für das England dieser
Epoche bleibt* Andererseits kann man aber in diesem Jahrhundert die Ursprünge dessen, was man später
die „Grand Tour“ genannt hat — die, als Bestandteil einer grosszügigen Bildung, gewöhnlich in einer
Reise nach Frankreich und Italien bestand — nachweisen; und man weiss auch, dass ein Grosser aus dem
Kreise der Königin Elisabeth, Sir Philip Sidney, in Venedig Freundschaft mit Tintoretto und Veronese
geschlossen hatte* Aber das ist ein Einzelfall, und die Gesamtlage bleibt grundsätzlich unverändert* Ein
charakteristisches Beispiel dafür ist auch der Umstand, dass bei Shakespeare nur ein einziger Hinweis
auf die italienische Kunst der Renaissance zu finden ist, nämlich jene Stelle des zweiten Aufzugs des
fünften Aktes im „Wintermärchen“, wo „Giulio Romano, jener grosse italienische Meister“ („that rare
italian master Julio Romano“) erwähnt wird, nicht als Maler, sondern als Bildhauer, was er wahrschein-
lich niemals war* Sonderbarerweise wird Giulio Romano an derselben Stelle ein „Nachahmer der Natur“
(„Ape of nature“) genannt, eine Bezeichnung und ein Ausdruck, der in der italienischen Kunstliteratur in
Wirklichkeit nur auf einen Nachfolger Giottos, den „Stefano“, angewandt wird* So müssen wir zu dem
Schluss gelangen, dass, sei die Verwandtschaft zwischen Leonardo und den grossen Denkern des Elisabe-
thanischen Zeitalters noch so eng, diese ohne weiteres als ein Akt „spontaner Zeugung“ bezeichnet wer-
den kann; jede Frage eines direkten Einflusses von Seiten Leonardos muss als ausgeschlossen gelten (2)*
(!) J. P. Richter: The Literary Works of Leonardo da Vinci. 2. Auflage. Oxford, 1939, S. 959.
(2) Karl Borinski: Die Antike in Poetik und Kunsttheorie, I (1914), S. 167; A. B. in Journal of the Warburg Institute, II (1939), S. 260-262.


Männliche Haartrachten - Kgl. Samm-
lung Windsor, Nr. 12478 und 1922 recto

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