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Leonardo
Leonardo da Vinci — Berlin, 1943

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https://doi.org/10.11588/diglit.42331#0272

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E R

B A

U


KUPPEL

In Leonardo haben wir einen Theoretiker der Architektur zu sehen* Nur in ganz wenigen
Fällen nahm er sich konkrete Konstruktionsprobleme vor, wie zum Beispiel, als es sich um die
Errichtung des Vierungsturmes des Mailänder Domes handelte* Endzweck seiner Studien sollte
jedoch höchstwahrscheinlich ein Traktat in der Art derer von Vitruv, Alberti oder Filarete sein*
Die Zuschreibung der Kirche Santa Maria della Fontana in Mailand an Leonardo stützt sich
lediglich auf eine Zeichnung des Cod* Atl*, die zu ungenau ist, um dokumentarischen Wert zu
besitzen; auch bei der Konstruktion des Domes von Pa via kann man nicht mit Sicherheit bestimmte
leonardeske Gedanken nachweisen*
Die Architektur der italienischen Renaissance strebt den integralen Ausdruck jener vollendeten
Eurhythmie, jenes strengen Gleichgewichtes an, in dem die harmonische Einheit des platonischen
Gedankens Gestalt zu werden schien; je mehr man in ihr Studium eindringt, eine desto stärkere
Beleuchtung erhält die Gestalt Leonardos, denn niemand scheint wie er die Bedeutung des Zen-
tralgrundrisses für die Durchsetzung und Entwicklung des neuen Stiles gefühlt zu haben*
Die in den verschiedenen Codices verstreuten Skizzen, die sich am zahlreichsten im Cod*
Atl* vereinen, zeigen uns die qualvolle Arbeit Leonardos, der jede schon gefundene Lösung zu
übertreffen suchte, um alle Möglichkeiten des Schemas zu erforschen*
Beim Suchen treibt ihn das unwiderstehliche schöpferische Bedürfnis seiner Phantasie an,
das von jener wissenschaftlichen Neugier erregt wird, die wir auf dem Grunde jeder Tätigkeit
Leonardos finden*
Der Künstler zeichnet auf das Papier Zeichen, um die Lösungen festzuhalten, die in seinem
Geiste reifen: es sind Notizen, die vielleicht eines Tages entwickelt werden können* Rasche Auf-
zeichnungen, die gemacht sind, um einen improvisierten Gedanken oder die Frucht langen Nach-
sinnens nicht zu vergessen; .Skizzen, die eine ganze Kette von Überlegungen zu erklären und zu
illustrieren scheinen* Diese Überlegungen, die von manchem allzu oberflächlich als einfacher Dilet-
tantismus auf gefasst worden sind und die man auch für akademische Übungen halten könnte, stellen
den tatsächlichen Beitrag Leonardos zur Entwicklung der Architektur der zweiten Renaissance dar*

*
* *
Leonardo verbrachte seine Jugend, ungefähr von 1470 bis 1482, in Florenz; die längste Zeit
weilte er in der Werkstatt Verrocchios*
Filippo Brunelleschi war vor kurzem gestorben und Leone Battista Alberti starb in diesen
Jahren; doch der Antrieb, der von den beiden Grossen der neuen Architektur gegeben wurde,
die Stadt umformte und seinen Zug durch die Welt antrat, war in seiner vollen Blüte*
Es war unmöglich, dass sich der Mitschüler Peruginos und Sandro Botticellis, der Jüngling, der
in einer Umgebung lebendiger humanistischer Kultur in Berührung mit den florentinischen Gelehrten
lebte, nicht für einen derart ausserordentlichen Neuerungswillen begeistert hätte, und sicher hat er
sich schon damals die Probleme gestellt, über die er sein ganzes Leben lang nachdenken sollte*
Die Erinnerung an das Baptisterium, an Santa Maria degli Angeli und Santo Spirito, die er


Grundrisse der auf der gegenüberlie-
genden Seite abgebildeten Kuppel-
kirchen - Ms. B, fol. 18 recto


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* &

Apsis vom Typ der Tribuna von
S. Maria del Fiore in Florenz - Cod.
Atl., fol. 265 verso-a

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