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Leonardo
Leonardo da Vinci — Berlin, 1943

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https://doi.org/10.11588/diglit.42331#0380

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DER VOGELF

Seine ersten Untersuchungen über den Vogelflug begann Leonardo — soweit sich feststellen
lässt — in Mailand, wohin er sich im Jahre 1483 begeben hatte, um in d^n Dienst Ludovicos,
genannt il Moro, zu treten* Er hatte die Dreissig gerade überschritten, und man kann wohl sagen,
dass von dieser Zeit an bis in seine letzten Lebensjahre, d* h* bis in die Zeit seiner freiwilligen
Verbannung in Frankreich, das Problem des Fliegens ihn nicht mehr losgelassen hat* In unzähligen
Zeichnungen und Notizen hat er damals den Grund zur mühevollen Eroberung des dritten Elements
gelegt* Das Werk, das uns in verschiedenen Handschriften und Sammelbänden überliefert ist, zeugt
von einer geradezu erstaunlichen Geistesschärfe*
Die Wirkung des Luftwiderstandes, die Strudelbewegung der Flüssigkeiten, die Kraftleistung
des Menschen, der an der Waage die Tragkraft der Flügel ausmisst, die verblüffenden Möglichkeiten,
die den Vögeln als Beherrschern der Luft gegeben sind, und deren akrobatische Kunststücke, die
Beobachtungen über die unsichtbaren Luftströmungen, den behenden Flügelschlag der Vögel, das
Gleichgewicht, die Stabilität, das Einhalten der Flugrichtung, dies alles hat der Meister in seinen
Aufzeichnungen niedergelegt* Und gerade weil diese sehr zahlreich und ganz verschiedenartigen
Inhalts sind, haben sie den Nachteil der Unvollständigkeit und der Bruchstückhaftigkeit* Nur der
liebevollen Bemühung der Gelehrten, die von dem Wunsche beseelt waren, das Geheimnis jener
gedrängten, in Spiegelschrift geschriebenen, im Laufe der Jahre verblichenen Zeichen zu lüften,
ist es daher gelungen, jenes kostbare Material wieder zum Leben zu erwecken* Dies geschah gerade
Zu der Zeit, als die Naturwissenschaft in ihrem langsamen und beschwerlichen Fortschreiten endlich
jene Positionen erreichte, die Leonardos Geist vier Jahrhunderte vorher berührt hatte* Und was soll
man vom Flug mit menschlicher Muskelkraft sagen? Wird dies stets aktuelle Problem nicht immer
noch von einem kleinen Kreise ehrlich Strebender, die den Spuren des Meisters folgen, zu lösen
versucht? Was ist dem noch hinzuzufügen, was Leonardo mit erstaunlichem Scharfsinn als die
Grundbegriffe des Fluges mit Muskelkraft erkannte?
Die mechanische Möglichkeit des menschlichen Fliegens wird von Leonardo zum ersten Male
gegen das Jahr 1486 behauptet* Auf fol* 381 des Cod* Atl* legt er folgender-massen den Begriff des
Auftriebs fest: „Mit einem Ding übt man gegen die Luft soviel Kraft aus als die Luft gegen dieses
Ding* Du siehst, wie die Flügel, die gegen die Luft geschlagen werden, bewirken, dass der schwere
Adler sich in der höchsten dünnen Luft halten kann* Weiterhin siehst du, wie die Luft, die sich
über dem Meer bewegt, das beladene und schwere Schiff dahineilen lässt, wenn sie ihm in die
geschwellten Segel stösst* Aus diesen augenfälligen Gründen kannst du ersehen, dass der Mensch
die Luft wird unterjochen und sich über sie erheben können, wenn er gegen die Widerstand leistende
Luft mit seinen grossen von ihm gefertigten Flügeln eine Kraft ausübt und diesen Widerstand
überwindet“*
Solche Äusserungen könnten zu der Vermutung Anlass geben, Leonardos Untersuchungen
und Beobachtungen über den Vogelflug lägen vor seinen Studien zum mechanischen Flug, was
natürlich und logisch gewesen wäre* Es steht aber heute fest, dass die Handschrift über den Vogel-
flug erst im Jahre 1505 verfasst wurde* Mit seiner Beobachtung des Vogelflugs hat Leonardo jedoch
Zweifellos bereits früher begonnen und seine Gedanken dann erst später schriftlich niedergelegt, als
er den Vorsatz fasste, seine wesentlichen Beobachtungen einmal zusammenfassend im Ganzen dar-
zustellen, nachdem ihn in der Zwischenzeit andere Probleme aus seiner vielseitigen Tätigkeit ge-
fesselt hatten* Da der Wunsch, den Vögeln gleich in der Luft zu schweben, den menschlichen
Geist seit alters her bewegt hat, muss auf jeden Fall, so will es uns scheinen, die Untersuchung

LUG


„Wie der Wind, der von einer Seite auf
eine Wolke auftrifft, diese umdreht“
Leonardo - Ms. G, fol. 91 verso -
Institut de France


„Wenn zwei Wolken aneinanderstossen,
so umhüllt die grössere die kleinere
und verdichtet sich und wird zu
Regen“ Leonardo - Ms. G, fol. 91
verso - Institut de France


„Wenn ein Mensch ein Zelt aus
12 Ellen langem und ebenso hohem
Zeug hat, kann er sich ungefährdet aus
jeder beliebigen Höhe herabstürzen“
Leonardo - Cod. Atl., fol. 381 verso-a

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