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Marées-Gesellschaft [Hrsg.]
Ganymed: Blätter der Marées-Gesellschaft — 4.1922

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Swarzenski, Georg: Tintoretto
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https://doi.org/10.11588/diglit.45237#0163

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GEORG SWARZENSKI / TINTORETTO

TINTORETTO
VON
GEORG SWARZENSKI
Es steckte in ihm neben vielem Großen doch auch eine gewisse Roheit
und Rarbarei der Empfindung; selbst seine künstlerische Moralität
schwankt oft, so daß er bis in die gewissenloseste Sudelei versinken konnte. “
So resümierte Jakob Burckhardt im Cicerone sein Urteil über Tintoretto!
Schon bei den Zeitgenossen war seine Kunst schwerem Tadel und Miß-
verständnissen unterworfen, und als man gegen Ende des 19. Jahrhunderts
die Dinge neu zu sehen begann, wurde er gleichsam übersprungen, indem
die Begeisterung sich sogleich auf seinen großen Nachfolger, den Griechen,
warf. Er gehört trotzdem nicht zu den Märtyrern der Kunst und Kunst-
geschichte, sein Genie hat sich voll und ganz auswirken dürfen, und seine
Malerei wird heute geliebt und bewundert. Taine, ein Zeitgenosse Burck-
hardts, feiert ihn in den höchsten Tönen, in der verflossenen Generation
haben Kunstfreunde und Kenner aus so entgegengesetzten Lagern, wie
Wickhoff und Thode, für Tintoretto geschwärmt, den heutigen Freunden
italienischer Renaissance bedeutet die Scuola di San Rocco ein ähnliches
Erlebnis, wie den früheren die Sixtinische Kapelle!
Die Aussprüche der Künstler über Kunst, besonders über ihre eigene, sind
zumeist nicht wörtlich zu nehmen, aber richtig verstanden geben sie oft
die beste Erklärung. Tintoretto bezeichnete die Vereinigung der Malerei
Tizians mit der Formkunst Michelangelos als sein Ziel. Das gilt zwar für
die ganze venezianische Hochrenaissance, aber bei Tintoretto gibt diese
Formel besonders deutlichen Aufschluß über das Ziel und die historische
Einstellung seines Genies, das eine Naturkraft ist und als solche nicht er-
klärt werden kann.
Tintorettos Geburtsjahr, 1518, ist das Jahr, in dem Tizian die Assunta ge-
malt hat: sein erstes Aktionsbild im neuen Sinne, mit der (toskanischen)
 
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