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Marées-Gesellschaft [Hrsg.]
Ganymed: Blätter der Marées-Gesellschaft — 4.1922

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Paralipomena
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Meier-Graefe, Julius: Zur Berliner Cézanne-Ausstellung 1921
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https://doi.org/10.11588/diglit.45237#0456

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JULIUS MEIER-GRAEFE

ZUR BERLINER
CEZANNE-AUSSTELLUNG 1921

VON

JULIUS MEIER-GRAEFE


uf Cezanne kam man am spätesten. Das gehört zu ihm und zu uns. Wir wußten An-

2A. fang der neunziger Jahre, als wir jung waren und uns nach Gott und der Welt
sehnten, von Lautrec, von Gauguin, von Munch, von Huysmans, von Mallarme, und hatten
keine Ahnung von Delacroix, von Renoir, von Flaubert. Man begann das Essen beim
Dessert. Nachfolger Cezannes waren uns früher vertraut als er selbst. Man konnte für
hundert Franken hübsche Dinge von ihm haben und verwendete sie lieber für eine Land-
schaft van Goghs oder Seurats. Auch uns Junge von damals, bestürzte Erben unmünz-
baren Goldes, lockte die Einfachheit, Trost der Armen, und wir gedachten, unsere Blößen
mit primitiven Formen zu gürten. Schließlich ist es Cezanne selbst, als er jung war, dem
Bohemien, dem schwarzen brutalen Cezanne, nicht anders gegangen. Man tritt nicht mit
wohlgebauten Harmonien in unsere Welt, sondern mit einem Wort, einem Schlagwort,
einem Schrei. Hier sind wir.
Die verkehrte Reihenfolge ließ viele Irrtümer übrig. Die schlimmsten haben ein halbes
Jahrhundert gehalten und laufen irgendwo immer noch. Zum Beispiel der Aberglaube,
die Kunst der großen Franzosen um 1870 erschöpfte sich mit einer Doktrin von hier bis
da, die sie sich für ihren Privatgebrauch zurechtgemacht hätten. Mit dem sogenannten
Impressionismus. Das ergab Freunde und Gegner des Systems oder der Schlagworte, die
man für das System nahm, während die Leute, die das System betrieben, draußen blieben.
Und da das System bis zu einem weitgehenden Grade nur vermeintlich war, entstanden
vermeintliche Freunde, vermeintliche Gegner. Nur kleine Leute lassen sich in ein System
spannen, und profitieren, solange es geht, von dem Schlagwort. Auch wenn das Wort
mächtiger ist als die Formel Claude Monets. So vergötterte man 1800 den Klassizismus
und verwarf ihn nachher. Die klassizistische Doktrin war noch enger und dümmer als das
Schlagwort der siebziger Jahre und hat die Vermeintlichen lange gehindert, das Künstler-
tum Davids zu sehen, aus dessen Lenden ein nicht unbegabtes Geschlecht hervorging. Weil
sich Renoir, zumal der reife Renoir, mit den allermeisten Werken nicht in dem Schema
unterbringen ließ, trat er hinter Manet und Monet zurück, denen er mit jedem Atemzug
überlegen war, und Cezanne, einst wie sein Ahne Greco für verrückt erklärt, galt zuerst
 
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