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Marées-Gesellschaft [Hrsg.]
Ganymed: Blätter der Marées-Gesellschaft — 4.1922

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Paralipomena
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Meier-Graefe, Julius: Die Russen in Berlin
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Pauli, Gustav: Die Zukunft der Kunstkritik
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https://doi.org/10.11588/diglit.45237#0529

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GUSTAV PAULI

versuchen. Die meisten von uns kennen von der Invasion der Russen nur die Gefahr des
Bolschewismus. Früher war es Kaviar. Ein Kriegskamerad aus Pommern sagte immer
Bostanjoglo, wenn er Dostojewskij meinte.
Ob die Großstadt für die russische Propaganda ebenso aufnahmefähig ist, wie es das kleine
Berlin im achtzehnten Jahrhundert für die Hilfe der westlichen Nachbarn war? Die Mittel
der Russen und die Mittel der französischen Hugenotten sind zweierlei. Sprache und Gerät
dringen tiefer als Spiel und Tanz. Und das neue Berlin hat einen ungeheuer widerstands-
fähigen Magen. Es frißt wie ein Russe. Aber auch wenn nur ein winziges Stück Berlins
aus der Invasion dauernden Vorteil gewänne, wäre es genug. Die Zukunft der Welt steht
ohnehin auf Minoritäten.
Man denkt in industriellen Kreisen daran, Rußland zu kolonisieren. Die russischen
Künstler sollten dasselbe mit Berlin versuchen.

DIE ZUKUNFT DER KUNSTKRITIK
VON
GUSTAV PAULI
Die Kunstkritik, ein blühender Zweig unserer Literatur, ist gleichzeitig einer ihrer
spätesten Triebe. Äußerlich betrachtet, ist sie ursprünglich mit dem Ausstellungs-
wesen verwachsen und mit der Akademie, sofern wir diese als den Komplex und Hort
aller Kunstlehre verstehen. Die Ausstellung gab der Kritik den unmittelbaren Anlaß und
die Theorie im Verein mit der überlieferten Praxis gab ihr den Maßstab. Denn ohne einen
Wertmesser, er sei im übrigen beschaffen, wie er wolle, ist ein Werturteil selbstverständ-
lich nicht abzugeben . . . Auch heute nicht!
Wie wir nun aber schon im Elementarunterricht der Geschichte gelernt haben, den äußeren
Anlaß von der inneren Ursache zu unterscheiden, so vermögen wir auch hier neben dem
Anlaß tiefer liegende Voraussetzungen geistiger und sozialer Art für die Kritik aufzuzeigen.
Die geistige Voraussetzung ist das Vorhandensein einer Krisis. Natürlich einer Krisis im
Kunstleben, die indessen — ebenso natürlich — nur das Anzeichen einer allgemeinen kul-
turellen Krisis ist. Wir, auch die Ältesten unter uns, haben nur keine Zeit gehabt, uns
dessen aus eigener Erfahrung so recht bewußt zu werden, weil unser Geschlecht und seine
nächsten Vorfahren seit der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts aus der Krisis nie heraus-
 
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