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Marées-Gesellschaft [Hrsg.]
Ganymed: Blätter der Marées-Gesellschaft — 4.1922

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Aufsätze
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Frisch, Efraim: Der begabte Mensch
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248

EFRAIM FRISCH

Menschen ihm zutiefst fremd geblieben ist, während der Begabte das Neue,
das er herbeisehnt, mit revolutionärer Geste aus seiner eignen Unzulänglich-
keit zu schaffen sich vermißt. Verwirrender noch, wenn, was auch ge-
schieht, die beiden ihre Positionen wechseln: wenn der Begabte das Aus-
gehöhlte und Zusammenbrechende mit den Mitteln seiner Theorie zu er-
halten und auszubauen vermeint und der Unbegabte unter der Fahne der
Zukunft einherzieht. Im Grunde ist es höchst gleichgültig, ob der eine an
Tatsachen, der andere an Wahrheiten glaubt. Beide handeln sie nicht
nach Einsichten, wie sie meinen, sondern zuletzt nach Befehlen aus einem
höheren Plan, aus der Kraft des Berufenen, die in ihnen noch fortwirkt.
In dem einen als Freiheit, in dem andern als Gebundenheit. Die Wirkung
der großen Wellenbewegung im autonomen Menschen der Vergangenheit
erscheint so noch in ihrem fernsten Ausklang als Antinomie, als Entweder-
Oder, über das der Begabte nie hinausreicht. An dieser Stelle bricht für
ihn auch die Fragwürdigkeit aller Sittlichkeit durch. Sie wird ihm not-
wendig zum Problem. Dem Berufenen war sie freiwillige Gebundenheit
im Endlichen, als Drangabe für seine Freiheit im Unendlichen. Und
doch — mag er sich noch so sehr dagegen wehren und seine Theorie mit
aller Dialektik, die ihm zu eigen ist, ausstatten — handelt der Begabte auch
im Politischen immer nur aus jenem Impuls, wenn er richtig handelt.
Demnach ist Demokratie die Zurückforderung der Souveränität an die
Mehrheit, wenn sich erweist, daß der Herrscher oder die Herrschenden
nur noch tote Symbole des Berufenen waren; ist Revolution die Kündigung
der Souveränität an den begabten oder unbegabten Stellvertreter des Be-
rufenen. Und nur dann ist, mit oder ohne Revolution, neuer Beginn,
wenn eine neue seelische Befehlsgewalt geschaffen werden kann. Der
begabte Mensch, dazu unfähig, muß diese letzte Quelle der Macht durch
ein Gebot, religiös oder ethisch, des autonomen Menschen der Vergangen-
heit legitimieren. Ein Weg, den auch die Restauration gehen muß, wenn
sie sich auf Legitimität beruft.
Doch will man dazu helfen, Zukunft vorzubereiten, dann muß — wie
schon angedeutet — noch eine tiefere Täuschung durchschaut werden: der
Kampf des quasi Religiösen, des um sein Seelenheil aufrichtig besorgten
 
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