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Marées-Gesellschaft [Hrsg.]
Ganymed: Blätter der Marées-Gesellschaft — 4.1922

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Aufsätze
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Hausenstein, Wilhelm: Renoir
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https://doi.org/10.11588/diglit.45237#0193

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RENOIR

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begreift — der aber auf seine Weise selbst das Deutsche umschließt und
eben deshalb um so großartiger wird.
Renoir: die Erscheinung kann nicht anders bezeichnet werden denn als
das Phänomen der Einheit und Ganzheit — als das leuchtende Beispiel der
Identität.
Man kann das Bild der Identität auf allen Linien verfolgen, durch alle
Räume: nach der Tiefenlinie des Historischen; nach der Höhenlinie des
Nationalen und Rassigen; nach der Breitenlinie des Sozialen, des Inter-
sozialen, des Internationalen — und so fort.
Renoir selbst hat in einem Brief an Henri Mottet — als i g 11 Mottet den
Kunsttraktat des Cennini neu herausgab — diese Worte geschrieben:
„Die Gesamtheit der Werke, die von zahlreichen vergessenen oder un-
bekannten Künstlern hinterlassen wurden, macht die Größe eines Landes
aus, nicht der originelle Einfall eines genialen Einzelnen. “ Der Meister
schwärmt von dem „genossenschaftlichen Kunstgeist des Mittelalters“,
den „kollektivistischen Meisterwerken“, die noch der Renaissance zu
eigen seien, und beklagt (wie kurze Frist zuvor van Gogh), „daß unsere
Zeit für solche Genakel keinen Sinn mehr hat.“ Ihm scheint „die ganze
Kunst von der pompejanischen Wandmalerei über Poussin bis zu Corot
aus der nämlichen Palette zu stammen.“ Er selbst ist bewußt nur Teil
dieses Zusammenhangs. Sich selbst ist er undenkbar ohne Fouquet, Wat-
teau, Latour, Boucher, Delacroix, Ingres und ohne den von ihm bis zum
äußersten verehrten Corot.
Das Gefühl der Verpflichtung gegenüber dem Historischen ergibt, ist es
nicht mehr als eben dies, einen Historizismus. Für Renoir bestand die
Gefahr des Archaisierens, das so oft der Irrtum deutschromantischer Sen-
timentalität gewesen ist, keinen Augenblick. Die historische Tiefenlinie
wurde in die hochgespreizte Fläche nationaler Gegenwärtigkeit vorgezogen.
Sie konnte vorgezogen werden, da sie im Lande Renoirs elastisch ge-
blieben ist. Dies war die Kunst: daß ein Vorrat an Formen der Anschau-
ung mehr als historisch sein konnte — daß er aktuell blieb. Ernte war
er, von der ein Teil verzehrt werden mußte, damit das Leben erhalten
werde. Den andern Teil warf dies genährte Leben in die lockeren Für-
 
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