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Görling, Adolph; Woltmann, Alfred [Bearb.]; Meyer, Bruno [Bearb.]
Deutschlands Kunstschätze: eine Sammlung der hervorragendsten Bilder der Berliner, Dresdner, Münchner, Wiener, Casseler und Braunschweiger Galerien : eine Reihe von Porträts der bedeutendsten Meister (Band 1) — Leipzig: Verlag von A. H. Payne, 1871

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https://doi.org/10.11588/diglit.62315#0407
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Tizian. 73

er blickt über das Augenblickliche und Vorübergehende hinweg nach dem Bleibenden in ihrem
Weſen, ohne daß dabei das Frappante der Situation verloren geht. Er fühlt heraus und bringt
zur Erſcheinung, was an ſeinen Vorbildern werth iſt, für Mitwelt und Nachwelt feſtgehalten zu
werden. Ein Zug des Ariſtokratiſchen iſt Tizian's Bildniſſen aufgeprägt, mag das nun eine Vor-
nehmheit der äußeren Lebensſtellung, mag es eine Vornehmheit des Geiſtes, oder auch diejenige
der Schönheit ſein. Zur erſten Gattung gehören z. B. Karl's V. Reiterportrait in Madrid, das
Bildniß Franz L. im Louvre, im Palazzo Pitti Philipp II von Spanien und der Cardinal
Hippolyt von Medici in phantaſtiſcher Tracht, ein paar Venetianiſche Nobili im Louvre, und in
deutſchen Galerien beſonders einige Bildniſſe in Wien. Aus der zweiten Gattung ſei vor Allem
Tizian's eigene mächtige Halbfigur im Greiſenalter (Muſeum von Berlin), dann auch das Portrait
Pietro Aretino's in Pitti genannt, höchſt intereſſant, obwohl auch die intriguanten und bedenk-
lichen Züge der Perſönlichkeit hervortreten, aus der dritten namentlich ſo manche Frauenſchönheiten,
welche der Künſtler mit wunderbarem Zauber umkleidet hat. Da hängt im Palazzo Pitti die
neuerdings von Maͤndel vorzüglich geſtochene „Bella di Tiziano“ mit dem Ausdruck voll Sinnen-
luſt und Liebreiz, dieſelbe Perſönlichkeit, welche er unbekleidet auf dem einen Bilde in der Tribune
der Uffizien gemalt; ferner das heroiſch-ſchöne Bruſtbild der ſogenannten Flora in den Uffizien,
die, nur leicht in das weiße Gewand gehüllt, dem Beſchauer Roſen entgegenſtreckt; das üppig
prangende Weib bei der Toilette im Louvre, hinter welcher ein Mann zwei Spiegel hält, um
die Formenſchönheiten dieſes Körpers auch von der andern Seite zu zeigen — wahrſcheinlich
Laura de' Dianti, die Geliebte Alphons I. von Ferrara. Endlich jene öfter wiederholte Geſtalt,
die für Tizian's Tochter gilt; und von der das vorzüglichſte Exemplar im Muſeum zu Berlin
das bekannteſte iſt: die gedrungene Figur im ſchweren Damaſtgewande, welche in anmuthiger
und ſchwungvoller Bewegung die Silberſchale mit den Früchten emporhält, in kühner Stellung
und doch von unbelauſchter Natürlichkeit, unübertrefflich in der Malerei des Fleiſches und des
goldenen Haares und von verführeriſchem Reiz des Blickes und der Erſcheinung. Lavinia wird
ſie gewöhnlich genannt, und Tizian hatte in der That eine Tochter dieſes Namens, die ſich 1555
mit Cornelio Sarcinelli vermählte. Außerdem beſaß er aber noch eine Tochter Cornelia, die 1530
Kammerfräulein der Gräfin Eliſabetta von Pepoli war. Es exiſtirt ein Brief des Federigo
Gonzaga, Marcheſe von Mantua, an die Gräfin, in welchem er ihr mit rühmenden Ausdrücken
Tizian empfiehlt, der kommen wolle, um ſeine Tochter Cornelia zu malen.

Wir dürfen es überhaupt nicht verſäumen, noch auf Tizian's Familienverhältniſſe und das
Aeußerliche ſeines Lebens zurückzukommen. Seine Verbindung mit Alphons von Ferrara, bei wel-
cher wir in der Schilderung deſſelben abbrachen, war nur der Anfang zahlreicher Beziehungen mit
den Großen Italiens. Schon 1513 hatte ihn Papſt Leo X. nach Rom berufen wollen Der
früh verſtorbene ritterliche Cardinal Hippolyt von Medici beſchäftigte ihn. Ganz beſonders ward
er für Federigo Gonzaga in Anſpruch genommen; er ſtand mit dieſem in Correſpondenz, und die
Briefe athmen ſogar einen Ton gegenſeitiger Vertraulichkeit, der nur bei ſolchen perſönlichen Vor-
zügen, wie der Künſtler ſie beſaß, bei ſo weltmänniſch feinem Weſen erklärlich iſt. Zeitgenoſſen
rühmen ſeine Beſcheidenheit, die Milde ſeiner Natur, ſeinen Geiſt und ſein Urtheil nicht minder
als ſeine Freundlichkeit, ſeine angenehmen Sitten, das Anziehende ſeiner Perſonlichkeit, ganz
beſonders aber, daß er Jeden zu bezaubern wußte, mit dem er ſprach. Schon ſeine Briefe bieten

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Deutſchlands Kunſtſchätze 19
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