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368 Winterling, die Eroberung von Granada.
und neugeboren. Nur so konnte auch das Gedicht die heutige
Lesewelt ansprechen; der deutsche Bearbeiter fühlte dies, und
bewährt schon hierdurch seinen Blich, sein Talent. Denn die
übertriebenen Lobsprüche, die einst Graziani's mehr dem Krieg
als den Musen dienende Zeitgenossenschaft nicht allein an dies
Gedicht, sondern auch an die frühere Cleopatra in ähnlicher Form
(6 Gesänge in Oktaven, zuerst in Bologna 1626 gedruckt, als
der Dichter 22 Jahr alt war), und noch mehr an die Spätfrucht
II Cromvello, Bologna 1671 , ein mit ungeheuerem Beifall aufge-
nommenes Trauerspiel, verschwendete, sind längst verhallt, und
namentlich als epischen Dichter setzt man heut zu Tage den
Modeneser Staatssekretär weit unter Ariost, ja sogar unter Berni.
Als prosaischer Panegyrist aber, sowohl des Kardinals Mazarin
(II Colosso, Paris, königl. Druckerei, 1656, Folio), als Ludwigs
des XIV. (Applicazione profetica delle glorie di Luigi XIV. Mo-
dena 1673.), war er gleich Anfangs so übel berüchtigt, dafs davon
beinahe seine Dichterlorbeern verwelkt wären.
Sonach finden wir es unnöthig, eine ins Einzelne einge-
hende Vergleichung des seltnen Originals mit dieser Nachbildung
anzustellen. Vielmehr betrachten wir dieselbe, so behandelt und
ausgestattet wie sie ist, als ein deutsches Werk und als ach-
tungswürdigen Kepräsentanten seiner Gattung. Eine Uebersetzung
Grazani’s würde kaum lesbar gewesen seyn ; Hrn. W.’s Bearbei-
tung schwingt sich weit über diese Sphäre hinauf, und behauptet
einen mittlern Ehrenplatz zwischen den Wieland, Alxinger,
Pyrker auf der einen Seite und den Gries, Streckfufs,
Donner auf der andern. Unser Dichter hat Geist, Phantasie,
Gefühl, Sprachgewalt. Alles, was diese mächtigen Potenzen nur
vermögen, ist hier erreicht. Und was wäre es denn, was die
Kritik noch vermissen könnte? — Vielleicht Zweierlei, ein wir
möchten sagen Himmlisches, und ein Menschliches; wir meinen
den höhern Hauch, und — den Fleifs.

(Der Beschlufs folgt.)
 
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