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N°. 24. HEIDELBERGER 1835.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.

Winterling, die Eroberung von Granada.
(Besch lufs.)
Genug sind hier der handelnden Personen, genug der Bege-
benheiten; auch sind Personen und Begebenheiten interessant;
aber Alles ist zu flüchtig skizzirt, zu locker an einander gereiht,
zu wenig in einander greifend, als dafs es eine grofse Totalwir-
kung hervorbringen könnte. Es fehlt, wenn wir unserem und
unserer Freunde Gefühl trauen dürfen, an einem geistigen Ce-
ment, das Alles schön verbände, und zu einem Ganzen machte.
An lebhafter Auffassungskraft, an glücklichen Gedanken, an ge-
lungenen Stellen, ist kein Mangel, aber wohl vermifst man jenen
Lebensathem, der Dädalus’ Bilder wandeln machte; jenen Him-
melsstrahl, der in Pygmaleons Statue fiel; jenen unversiegbaren
Springquell von Ideen, der Homers Werke mit unwiderstehli-
chem Zauber durchdringt. So lassen manche Gemälde bei rich-
tiger Zeichnung und guten Lokalfarben aus Mangel an Mitteltinten
und an einem tüchtigen Hintergrund unbefriedigt; und ebenso
zerfallen, so Zusagen, viele Tonstücke in glänzende Einzelheiten,
weil es an einem recht ergiebigen Symphonienflufs fehlt. Frei-
lich ist, was wir verlangen, die Blüthe der Kunst; jenes Höchste,
was nicht erlangt wird, was, wie der grofse Dichter sagt, die
Götter in unsern Schofs senken. Aber man kennt ja das Wesen
der Kunst, die stets nach dem Höchsten strebt, und nichts für
erreicht hält, wann noch ein entfernteres Ziel übrig bleibt. Doch
stehen wir vor der Hand — unser Dichter ist ja noch in den
Jahren, ubi vir ent genua — von dieser Anmuthung ab. Wenig-
stens aber von der Forderung gröfsern Fleifses können wir nichts
nachlassen : denn dazu bedarf es ja nur der Geduld, und jenes
bescheidenen Mifstrauens, das der alte Lebensbeschreiber an Virgil
rühmt. Schade, dafs diese Eigenschaft gewöhnlich dem jugend-
lichen Talente fehlt! So ist auch unser Heldendichter zu sorglos
in Festhaltung des rechten Tons, der öfters unter die Linie des
Epos, beinahe bis zur Prosa, hinuntersinkt; Bilder und Gleich-
nisse erinnern manchmal zu sehr an die Vorgänger; die Beschrei-
bungen, z. B. der Gefechte, sind im Ganzen genommen zu ein-
XXVIII. Jahrg. 4. Heft. 24
 
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