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Nr. 45.

HEIDELBERGER

1856.

JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Bergmann: Schmeller’s sogenanntes Cimbrisches Wörterbuch.
(Schluss.)

Sehr erwägenswerth ist der XII. Abschnitt, der letzte der Einleitung,
„der heutige Zustand der cimbrischen Sprache“, „eines hochbetagten able-
benden Greises, der noch stammelnd nach Wort und Ausdruck ringt.“ Die
Leute denken schon italienisch und suchen übertragend mit Mühe ihr Cimbro.
Nennwörter, besonders solche, welcheDinge des alltäglichen
einfachen Lebens, Zeitwörter, welche gewöhnliche Begriffe
von Thun und Leiden enthalten, hört man noch; Verbindung
aber und Satzordnung sind häufig italienisch oder fehlen
manchmal ganz, ein fremdes Element hat das alteBand gelös’t
und den alten Sprachbau überwuchert. — So schildert der Heraus-
geber den jetzigen Stand des Dialekts und führt S. 100—102 die Ursachen
des Verfalls der alten Sprache auf, einen interessanten Beitrag zur Geschichte
der Schwankung, der Ebbe und Fluth deutschen und romanischen Elements,
der sich hier und in Graubünden am deutlichsten in der ganzen Alpenragion
kund gibt, im gegenwärtigen Augenblicke aber in einem für das deutsche
Element fast durchweg ungünstigen Stadium sich befindet.
Die Eintheilung des Wörterbuches haben wir oben gegeben.
Aus ihr lässt sich schon von vornherein das Bild dessen entwerfen, was
in demselben zu suchen ist.
Eine Bemerkung nur will Ref. sich zum Schlüsse erlauben.
Schon im „Kloane Catechismo“ von 1813 sind die dogmatischen Begriffe
subtilerer Art meistens mit italienischen Wörtern gegeben, z. B. die Frage:
Baz bil konde unitä und Trinitä Gottez? (Was will heissen Dreieinigkeit
Gottes ?)
Auf gleiche Weise sind äusser Orts- und Standes-Namen, äusser techni-
schen Ausdrücken, wie Abatisse, Arciprete, dottrinen, Leute secolari und re-
golari, koparn (copare, couper, umbringen), marasca (Weichsel), lancuna (Fi-
gur vgl. venet. ancuna gr. e’.zwv), brotz (zweiräderiger Karren, barroccio vgl. d.
Artillerie-Ausdruck Protze) u. s. f., überhaupt solche Begriffe, die dem einfa-
chen Bauer fremd waren, dem italienischen entlehnt, z. B. fonteg (föndaco,
Tuchladen), bösema (bozzima, Weberschlichte), bekker (beccajo Fleischer) bö-
schen (bozzolare, die Mahlmezze nehmen, auch stehlen!), burziel (braciatello,
Brezzel). Natürlich wird dieses wälsche Element von Jahr zu Jahr in dem
Wortverzeichnisse mehr Raum erobern, und auch die Begriffe des alltäglichen
Lebens, welche jetzt noch in deutschem Stamme geläufig sind, haben voraus-
sichtlich keine lange Lebensdauer mehr. Vielleicht in wenigen Jahren ist das
Wörterbuch, welches wir bisher besprochen haben, das einer todten Sprache.
XLIX. Jahrg. 9. Heft. 45
 
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