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Nr. 54.

HEIDELBERGER

1856.

JAHRBÜCHER DER LITERATUR.

Anthropologie. Die Lehre von der menschlichen Seele. Neu begrün-
det auf naturwissenschaftlichem Wege für Naturforscher, See-
lenärzte und wissenschaftlich Gebildete überhaupt. Von Im-
manuel Hermann Fichte. Leipzig, F. A. Brockhaus, 1856.
XXVIII S. u. 609 S. gr. 8.
Es ist gewiss ein nicht genug zu rügender Fehler der Schel-
ling- Hegel’sch en Identitätslehre, die Anthropologie
aus den Principien der Metaphysik construiren zu wollen. Nur
auf dem Boden der Erfahrung können die Entwicklungen des Men-
schen richtig erfasst und auf ihren letzten Grund, ihr Wesen, zu-
rückgefiihrt werden. So wenig sich die Natur selbst ohne Natur-
wissenschaft und Erfahrung a priori construiren lässt, so wenig ist
es möglich, auf dem Wege der Speculation zu einer so genannten
aprioristischen Wissenschaft des Menschen zu gelangen. Wenn auch
der durch seine philosophischen Schriften rühmlichst bekannte Herr
Verf. zunächst in denselben von dem Boden des Schelling-He-
gel’sehen Idealismus ausging, hat er sich doch von jeher
gegen die Consequenzen eines Systems mit Entschiedenheit ausge-
sprochen, welches die Realität alles Einzelnen aufhebt und die In-
dividuation zu einer blossen Modification einer und derselben Sub-
stanz umgestalten will. In keiner seiner Schriften geschieht dieses
aber mehr, als in der gegenwärtigen, die, frei von den Einflüssen
eines metaphysischen Princips, durch Induktion und Analogie
die Thatsachen zu gewinnen sucht, welche neue Gesichtspunkte für
eine künftige Bearbeitung der Anthropologie bieten sollen.
Das vorliegende Buch soll als ein selbstständiges, „für sich
bestehendes" betrachtet werden, wie dieses S. IX angedeutet wird.
Doch soll ihm, wie der Hr. Verf. zu Anfänge und am Schlüsse sei-
ner Untersuchungen mehrmals darauf hin weist, noch eine zweite
Abtheilung nachfolgen, welche die Aufschrift: „Psychologie, die
Lehre vom menschlichen Bewusstsein“ führen wird, wäh-
rend das gegenwärtige Werk, das in Beziehung auf diese zweite
Abtheilung als erste des ganzen Buches erscheint, den Namen
„Anthropologie“ erhalten hat. Offenbar ist dieser Name zu
generell, da die erste Abtheilung, welche denselben trägt, die „Lehre
von der menschlichen Seele“ enthält.
Unsere Schrift will „rein naturwissenschaftliche Untersuchung
über das menschliche Seelenwesen“ sein. Sie will „Prolegomena
zu jeder künftigen wissenschaftlichen Anthropologie“ geben. Sie
geht ohne „Voraussetzung allgemeiner Principien“ und „ohne eine
fertige philosophische Kunstsprache“ in der Entwicklung ihres Ge-
XLIX. Jahrg. 11. Heft. 54
 
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