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706

D. As her: Der religiöse Glaube.

einer andern bedingt werden, welche Art des Glaubens im engeren Sinne
Ueberzeugung, als Gewissheit aus dem Zeugnisse beweisender Gründe,
genannt werden mag. Sowie nun nichts bewiesen werden könnte, wenn
nicht gewisse, des weiteren Beweises überhobene Gründe vorhanden wären,
so könnte auch kein mittelbares Glauben stattfinden, wenn es nicht ursprüng-
liche Gewissheit, unmittelbares Fürwahrhalten im Geiste gäbe. Es ist leicht
einzusehen, dass jede Erkenntnissart, nach ihren Quellen, ihre eigenthümliche
Fürwahrhaltung mit sich führt, und dass jede Ueberzeugung, die wir auf
Grund einer andern Erkenntniss genehmhalten, der letzteren in diesem Be-
tracht untergeordnet wird, dass folglich die höchste und unbedingte Wahrheit
auf sich selbst etehen muss, als Inhalt einer unbedingten Erkenntniss, die eine
sich selbst genügende ursprüngliche Ersichtlichkeit einschliesst, der die Ver-
nunft ihre Zustimmung nicht versagen kann. Schon die alte Philosophie war
darüber im Klaren, und Aristoteles selbst, der scharfe, gründliche Denker,
schlug für die sich selbst genügende Gewissheit den Namen πίοτις vor. Die
Wissenschaft muss darauf bestehen, dass die Anerkennung, welche wir Glau-
ben nennen, eine Bestimmniss am Erkenntnissverhältniss selber sei, dass man
also, um den Glauben zu schöpfen, nicht in ein anderes Gebiet, in das der
Gefühle, hinüberschweife, was man in der neueren Philosophie, nach Jacobi
und Fries, häufig gethan hat und noch thut. Aus unserer Darlegung geht
hervor, dass es ebenso viele Stufen des Glaubens, wie überhaupt im
Gedankenleben, giebt; sinnlichen, nichtsinnlichen, übersinnlichen, unbedingten.
Der religiöse Glaube muss sich auf ein unbedingtes Fürwahrhalten, auf
eine sich selbst verbürgende Gewissheit von der Wahrheit des Gedankens
Gott gründen. Der Menschengeist gelangt zu dem Bewusstsein davon durch
gesetzmässige Entwicklung seines Vernunftvermögens, indess nicht ohne Zuthun
der ewigen und zeitlichen Offenbarung Gottes an die Menschheit. Er bedarf
zu seiner Erhebung zur Gottesgewissheit mannichfacher Vermittlungen; aber
auf dem ganzen Wege dahin und von Anfang an lebt und treibt in ihm jene
Wahrheit, die den innersten Grund und Inhalt des vernünftigen Denkens aus-
macht, als eine Voraussetzung, die still geglaubt wird, als leitendes Gesetz
und Ziel, als lebendige, hebende Kraft des Vernunftgeistes.
In der hier anzuzeigenden Schrift wird richtig bemerkt, dass der Glaube
als βυγηατά&εβις, als approbatio oder assensio, schon bei dem Kinde „eine
nothwendige Bedingung alles Erlernens und die Grundlage alles Wissens“ sei
(S. 5), obschon der Verfasser meint, dass die weitere wissenschaftliche Aus-
bildung des Geistes durch den Zweifel hindurchgehen müsse (S. 70 f.). Wir
können diesem letzteren Satze, der gegenwärtig, da auch die Herbartianer
und mehrere Eklektiker davon viel halten, zahlreiche Anhänger hat, nur eine
sehr eingeschränkte Geltung einräumen. Ob Einer durch den Zweifel hin-
durch muss, das hängt von seiner individuellen Geisteslage ab; immer ist der
Zweifel an der Wahrheit, wie das Nichtwissen, ein Uebel, und es ist kein
ungestörter Lebenslauf des Denkens, wenn es erst durch einen systematischen
Zweifel sich des Irrthums entschlagen muss. Gesunder, freier und schöner ist
die Entwicklung des Bewusstseins, das auf dem unverlorenen Wege des
Erkennens und Glaubens, der Wahrheit und Wissenschaft treu und glücklich
verharrt,
 
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